Widerruf bei Kettenkrediten: Verbraucherschutz ausgehebelt?

Stand: 03.05.2022 06:00 Uhr

Hunderttausende Deutsche sitzen in sogenannten Kettenkreditverträgen fest, eine Geschäftsmasche von Banken, mit denen diese viel Geld verdienen. Jetzt nimmt die Regierung ihnen den letzten Ausweg aus der Schuldenfalle, indem sie das Widerrufsrecht bei Konsumkrediten einschränken will.

von Katrin Kampling

Eigentlich sind Marina und Jürgen A. aus Hamburg Bergedorf keine gutgläubigen Menschen. Aber sie hätten beinahe alles verloren, weil sie wie viele hunderttausende andere Deutsche auf eine Kreditmasche ihrer Bank reingefallen sind: Eigentlich wollten sie nur ein Auto kaufen, erzählt Jürgen A. Er ist Handwerker, hat sein Leben lang im Schiffbau gearbeitet, seine Frau Marina ist Altenpflegerin. Sie brauchten das Auto, um zu Arbeit zu fahren. Für den Wagen haben sie einen Kredit aufgenommen, "weil es uns finanziell nicht möglich war, das Auto in bar zu bezahlen." So, wie es viele in Deutschland machen.

Die Rate für ihr Auto können sich die beiden gut leisten. Doch dann lädt die Bank sie zu einem Gespräch über ihren laufenden Kredit ein. "Sie haben Kaffee angeboten und Selters, und dann kamen schon die ersten Papiere auf den Tisch", sagt Marina A. "Sie haben viel geredet und auch schnell. Und dann haben wir unterschrieben." Mit einem guten Gefühl seien sie danach nach Hause gekommen, erinnern sie sich, dass nun alles erledigt sei und sie ihren Kredit abbezahlen würden. Dabei hatten sie gerade ihren alten Kredit gekündigt und einen neuen, höheren Kredit abgeschlossen.

Teufelskreis mit Kettenkreditverträgen

Doch es war nicht das letzte Mal, dass sie ihren alten Kredit kündigten und einen neuen, höheren Kredit abschlossen, ohne zu verstehen, was da genau passierte. Mehr als vier Mal wurden sie von ihrer Bank dazu motiviert: zum Beispiel, als sie eine Küche für ihre Wohnung kaufen mussten, und auch immer, wenn ihnen eine neue Stammfiliale zugewiesen wurde. Und jedes Mal verkaufte ihnen die Bank teure Zusatzprodukte noch mit.

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Mann hält Kreditkarte und tippt Daten online mit Tablet ein. © Fotolia Foto: Mymemo

Konsumkredite: Bund will Widerrufsrecht einschränken

Hunderttausende Deutsche sitzen in sogenannten Kettenkreditverträgen fest - einer Geschäftsmasche von Banken, die damit viel Geld verdienen. Jetzt will der Bund den letzten Ausweg aus der Schuldenfalle schließen. extern

"Kettenkreditvertrag" heißt diese Masche, auf die das Ehepaar reingefallen ist. Dabei beginnt alles bei einem einfachen Kredit, meist mit einer Versicherung. Dann bietet die Bank - oft unter einem Vorwand - eine Krediterhöhung an. Dafür wird der alte Kredit gekündigt und ein neuer, höherer Kredit abgeschlossen. Die Bank schlägt wieder eine Versicherung mit drauf, für die sie Provision bekommt. Dieses Muster wird immer wieder wiederholt: Dadurch steigt die Gesamtsumme der Schulden immer weiter. So wurden aus rund 20.000 Euro, die Familie A. der Bank anfangs schuldete, schließlich mehr als 70.000 Euro - allein 10.000 Euro davon für eine unnötige Versicherung. Und das, ohne dass Familie A. finanziellen Spielraum gewonnen hätte. Im Gegenteil: Die Raten übersteigen schließlich ihr Familieneinkommen, als Jürgen in Rente geht.

Notanker "ewiger Widerruf"

Dorothea Mohn, Verbraucherzentrale Bundesverband © Screenshot
Sieht in den Kettenkreditverträgen die Gefahr einer Schuldenspirale: Dorothea Mohn von der Verbraucherzentrale.

Familie A. ist kein Einzelfall, sagt Dorothea Mohn von der Verbraucherzentrale Bundesverband. "Die Banken verdienen an diesem Konstrukt und für Verbraucher wird es schwierig. Nicht selten landen sie in einer Schuldenspirale, die sich nicht mehr bewältigen können." Dann gibt es für sie eigentlich nur noch einen Ausweg: Sie können die Verträge widerrufen. Das geht, weil das deutsche Recht einen so genannten "ewigen Widerruf" vorsieht, wenn Banken in ihren Kreditverträgen beispielsweise den Zinssatz nicht klar definieren, eine falsche Widerrufsbelehrung abgeben oder andere signifikante Fehler in den Unterlagen sind, welche die Verbraucher:innen benachteiligen. Expert:innen schätzen, dass ein Großteil der Konsumkreditverträge mangelhaft sind. "Ein Notanker" nennt Verbraucherschützerin Mohn diese Form des Widerrufs.

Mögliches Ende des ewigen Widerrufs?

Doch genau diesen Notanker will die Bundesregierung signifikant einschränken. Das geht aus mehreren Papieren der deutschen Bundesregierung hervor, die Panorama 3 und die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) einsehen konnten. Demnach soll der "ewige" Widerruf höchstens ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss möglich sein, wenn die Banken die Kundinnen und Kunden beispielsweise falsche Zinsen in den Unterlagen angegeben haben. Hintergrund ist die Überarbeitung der EU-Richtlinie für Konsumkredite. Dabei konnte sich die Bundesregierung offenbar mit ihrer Position durchsetzen: In einem Kompromissentwurf von Ende April greift der EU-Rat den Vorschlag Deutschlands auf und läutet damit womöglich das Ende des ewigen Widerrufs ein.

Auf Anfrage von Panorama 3 und SZ teilt das zuständige Bundesjustizministerium mit, man kommentiere laufende Verhandlungen im EU-Rat nicht. In einer öffentlichen Diskussionsrunde vergangene Woche hielt sich der zuständige Attaché der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, allerdings weniger bedeckt: "Das allerwichtigste Anliegen der Bundesregierung ist das Ende des ewigen Widerrufs", sagte Daniel Bornhöfer. Viele Verbraucher:innen würden diesen "Widerrufsjoker" nutzen, um unberechtigt Vorteile zu erlangen. Belegen kann er diese bankenfreundliche Einstellung der Bundesrepublik auch auf Nachfrage jedoch weder mit konkreten Zahlen noch mit Studien.

Für Verbraucherschützer:innen ist diese Entscheidung schwer nachvollziehbar. "Es ist wichtig, verbraucherschützende Instrumente wie den Widerruf zu haben, um sich gegen diese schändliche Vertriebspraxis der Banken wehren zu können", sagt Dorothea Mohn. So, wie es Familie A. getan hat. Der Widerruf hat ihnen geholfen, einen Vergleich mit der Bank zu schließen und sich aus dem Kettenkreditkonstrukt zu befreien. In drei Jahren werden sie schuldenfrei sein.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 03.05.2022 | 21:15 Uhr

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