Tierquälerei in einem Milchbetrieb - Berichterstattung Panorama 3 vom 23.06.2020
Am 23.06.2020 hat Panorama 3 unter dem Titel "Getreten und geschlagen - Tierquälerei in einem Milchbetrieb?" über einen Milchviehbetrieb in Schleswig-Holstein berichtet. Der Film hat in der Öffentlichkeit und bei Landwirten viel Aufmerksamkeit und viel Kritik ausgelöst: Die Redaktion Panorama 3 hätte bewusst vorliegende Informationen verschwiegen und einseitig berichtet. Der Fernsehbeitrag habe so ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit wiedergegeben.
Kritische Zuschriften, insbesondere solch eine harsche Kritik, nehmen wir sehr ernst. Daher haben wir den gesamten Sachverhalt erneut geprüft und die Recherchen ausgeweitet. Wir haben weitere Bewerter hinzugezogen und ausführlich mit dem betroffenen Landwirt gesprochen. Das Ergebnis dieser erneuten Betrachtung zeigt: Das Bild, das der Beitrag gezeichnet hatte, ist unvollständig. Das tut uns leid und dafür bitten wir um Entschuldigung. Wir haben den Beitrag offline gestellt.
Der Beitrag vom 23.6.2020 zeigte in mehreren Videosequenzen Szenen aus dem Stall eines Milchviehbetriebs in Schleswig-Holstein. Auf den Bildern ist zu erkennen, dass Kühe im Melkstand mit dem stumpfen Ende eines Besenstils gestoßen und geschlagen werden. Darüber hinaus schlägt ein Melker, der sich später als der Sohn des Landwirts herausstellt, eine Kuh über einen längeren Zeitraum auf dem Melkstand mit seiner Faust. In dem Videomaterial sind auch einzelne Kühe mit Schwellungen an den Gelenken zu sehen, die sich humpelnd in den Melkstand schleppen.
Kommentiert werden die Bildsequenzen im Beitrag von einem unabhängigen Experten, Prof. Edgar Schallenberger. Er ist emeritierter Professor für Tiermedizin und Vertrauensmann Tierschutz in der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein. Sein Fazit nach Ansicht des Videos: Die Schläge, sollten sie sich wiederholt ereignen, seien ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Zu den geschwollenen Gelenken sagt er: "Solche Beinprobleme, solche Gelenkprobleme, die entstehen nicht innerhalb weniger Tage, sondern das sind etliche Monate, die da auf die Tiere einwirken, damit das so schlimm aussieht. Und das ist dann lange andauernde Vernachlässigung von Tieren und zwar sichtbare Vernachlässigung von Tieren." Auch ein anonymer Zeuge, der den Hof gut kennt, kommt in dem Beitrag zu Wort. Er kommentiert das Videomaterial und erklärt, es handele sich bei den Schlägen nicht um Einzelfälle. Seiner Aussage zufolge würden ungefähr zehn Prozent der Kühe auf dem Hof lahmen. Die Aussagen hat dieser Zeuge eidesstattlich versichert. Für die Redaktion Panorama 3 stand der Verdacht der Tierquälerei im Raum. Diesen Verdacht legte auch der dann am 23.6.2020 ausgestrahlte Beitrag nahe. Ein Interview hatte der Landwirt der Sendung Panorama 3 damals trotz Anfrage nicht gegeben. Wir möchten das Gesamtbild nun vervollständigen und wichtige Informationen nachliefern, die den Sachverhalt präziser einordnen.
Wir haben im August den Hof ohne Kamera besucht und vor Ort mit dem Landwirt gesprochen. Gegenüber Panorama 3 bestätigt der Landwirt, dass die von uns ausgestrahlten Aufnahmen auf dem Hof entstanden sind und sein Sohn auf einigen Bildern zu sehen ist. Die Schläge gegen die Kühe bezeichnet der Landwirt als Fehler, so etwas dürfe nicht passieren. "Die Aufnahmen sind nicht schön anzusehen und es tut mir leid, dass so etwas passiert ist", erklärt er. Sein Sohn habe ihm gegenüber erklärt, die Schläge mit der Hand seien ein Reflex gewesen, ausgelöst durch einen Tritt der Kuh. Der Sohn habe sich dafür entschuldigt.
Die Videosequenzen zeigen jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit und liefern kein Gesamtbild der Herde oder des Hofes. Sie sind vielmehr eine Momentaufnahme, sie dokumentieren einen Zeitraum von rund drei Wochen über zwei Monate verteilt. Darauf hatte auch der Experte Prof. Schallenberger im Interview mit uns hingewiesen. Er hatte betont, was die Bilder zeigten, sei nicht in Ordnung, er könne aber keine Rückschlüsse auf den gesamten Betrieb ziehen. Diese Einordnung hätte von uns im Beitrag deutlich gemacht werden müssen.
Wichtig für ein umfassenderes Bild des Gesamtsituation sind unter anderem die vorliegenden Informationen der zuständigen Tierärztin des Hofes und des zuständigen Amtstierarztes. Der Landwirt hatte uns eine allgemeine Bestätigung der zuständigen Tierärztin geschickt, aus der hervorgeht, dass sie den Betrieb seit vielen Jahren tiermedizinisch betreue und zu den kranken Tieren hinzugerufen werde, um diese zu therapieren.
Die nun vorliegenden Arztrechnungen dokumentieren, dass die Ärztin den Hof in der Regel wöchentlich besucht. Sie zeigen auch, dass die in den Videosequenzen gefilmten Tiere von ihr behandelt wurden. Der Landwirt erklärt, dass die gezeigten Tiere in Behandlung bzw. durch ihn und seine Mitarbeiter*innen behandelt worden seien. Nach Angaben des Landwirts wurde die Wunde, die am Hinterbein einer Kuh auf dem Videomaterial zu sehen ist, dem Tier ursprünglich durch ein anderes Tier zugefügt. In der Folge habe diese sich entzündet. "Es handelte sich um einen Abszess, der durch die Tierärztin geöffnet wurde, um anschließend ausheilen zu können", so der Landwirt. Der zuständige Amtstierarzt Dr. Volker Jaritz bestätigt gegenüber Panorama 3, dass sich die Wunde zum Zeitpunkt der Aufnahmen in Abheilung befunden habe. Der Hof sei in der Vergangenheit nicht aufgefallen, berichtet der Amtstierarzt Dr. Jaritz auf Nachfrage. "Es sind hier keine tierschutzrelevanten Sachverhalte zur amtlichen Kenntnis gelangt, insbesondere auch nicht in den zurückliegenden Monaten." Auch während der Betriebsüberprüfung Anfang Juli 2020 habe es auf dem "gut geführten Hof" keinen Anlass für tierschutzrelevante Beanstandungen gegeben. "Der Gesundheitszustand war insgesamt nicht zu beanstanden", erklärt der Amtstierarzt. Der Landwirt selbst bestätigt, dass rund 10-15 Prozent seiner Tiere Klauenprobleme hätten. Diese werden aber regelmäßig, ein- bis zweimal im Jahr, von einem Klauenexperten behandelt. Zudem würde laufend ein Mitarbeiter des Hofes die Klauen versorgen.
Auch die Molkerei äußert auf Nachfrage keine Kritik an dem Hof. In der Vergangenheit habe es keine Auffälligkeiten gegeben. Ihre positive Bewertung von dem Hof "ergebe sich durch regelmäßige Besuche und Audits und vor allem durch die gelieferte Milchqualität, die einen maßgeblichen Eindruck zur Tiergesundheit ermöglicht." In der Vergangenheit habe der Hof teilweise überdurchschnittliche Bewertungen in Audits und Milchqualität bekommen. Die aktuellen Hinweise hatten die Molkerei zudem veranlasst, einen unangekündigten Kontrolleur zum Hof zu schicken. "Die Tiere zeigen alle einen guten, gesunden Zustand. Sie haben keinen Eindruck von Angst oder Stress hinterlassen." Ein am 22.6.2020 veranlasstes, unangekündigtes externes Audit (QM-Milch Standard 2020) bescheinigt dem Hof die Bestnote für den Bereich Tierschutz, 13 von 13 möglichen Punkten. Die Milchhygiene wird mit 13 von 14 Punkten hoch bewertet. Die Milch kranker bzw. behandelter Kühe gehe nicht in den Handel, sondern würde aussortiert und entsorgt, erklärt der Landwirt. Nach einem Hofbesuch am 25.06.2020 vor Ort kommt auch Prof. Schallenberger zu der Bewertung: Bei dem Hof handele es sich um "einen der überdurchschnittlichen Höfe".
Trotz dieser Einschätzungen dokumentiert das uns zugespielte Videomaterial, dass Tiere vom Melker geschlagen und gestoßen werden. Auch Amtstierarzt Dr. Jaritz stellt hierzu fest, die im Videomaterial gezeigten Stöße und Hiebe seien nicht zu tolerieren. "Sie sind aus hiesiger Sicht tierschutzrelevant." Wie oft es in der Vergangenheit auf diesem Hof zu den dokumentierten Schlägen kam, lässt sich heute nicht mehr klären. Die Staatsanwaltschaft Flensburg ermittelt noch, inwieweit es sich bei den Vorfällen tatsächlich um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz handelt. Wann genau die Ermittlungen abgeschlossen sein werden, steht noch nicht fest.
Wir stellen abschließend fest, dass wir in diesem Fall nicht genau genug gearbeitet haben. Unser oberstes Ziel ist eine objektive, faire Berichterstattung. Unser Anspruch an uns ist es, jeden Tag präzise und umfassend zu recherchieren und dann zu berichten. Dass dabei jede Partei in Argumenten und Fakten korrekt abgebildet wird, gehört zu unseren journalistischen Grundätzen. Der Beitrag war unvollständig und hat so einen falschen Eindruck erwecken können. Wir nehmen diese Erfahrung zum Anlass, unsere internen Abläufe weiter zu überarbeiten. Wir hoffen mit dieser Aufarbeitung auch verloren gegangenes Vertrauen wiederzugewinnen.