Soja aus Brasilien: Blutige Konflikte für deutsches Tierfutter
Mit rund 25 Millionen Tieren jährlich ist Deutschland der fünftgrößte Schweinehalter weltweit. Weil die hierzulande produzierten Futterpflanzen nicht ausreichen, sind auch norddeutsche Intensivmäster auf proteinhaltige Futtermittel aus dem Ausland angewiesen - vor allem auf Soja aus Brasilien.
Doch dort, wo das Soja herkommt, eskalieren immer wieder Konflikte um Farmland. Wir bekommen Videos geschickt, aufgenommen Ende Juni in Brasilien, im Bundesstaat Mato Grosso do Sul. Dort, wo auch das zweitgrößte Agrarunternehmen Deutschlands, die Firma Agravis, Soja einkauft. Ein Video zeigt, wie Schüsse auf eine Gruppe von Indigenen abgefeuert werden.
Augenzeuge beschreibt Greueltaten
Wir können mit einem Augenzeugen darüber sprechen. Er nennt sich Scott. Inzwischen ist er untergetaucht. Er wird bedroht, fürchtet um sein Leben. Denn er hat gefilmt, wie Farmer, private Sicherheitsleute, aber auch ein Einsatzkommando der Militärpolizei die indigenen Menschen angegriffen haben, erzählt er. Mit Tränengas, Gummigeschossen - und auch scharfer Munition.
Ein Kind stirbt, es gibt viele Verletzte: "Wissen Sie, als wir den Jungen fanden, schwebte er zwischen Leben und Tod," erzählt Scott. Er sagt: "Es war ein Schock. Du siehst ein Kind am Boden, dessen Eingeweide hervorquellen, es waren etliche verletzte Personen, aber dann siehst du da ein Kind, das liegt da, hingeworfen wie ein Tier."
Mächtige Kooperative liefert auch nach Deutschland
Auch den Rechercheuren der NGO Christliche Initiative Romero wird häufig von Einschüchterungsversuchen und Gewalt berichtet. Sie dokumentieren die Landbesetzung, forschen nach. Immer wieder würde auch von umstrittenem Land Soja an eine Kooperative namens "Coamo" geliefert. Und Coamo liefert an den deutschen Futtermittelproduzenten Agravis.
Coamo ist zwar eine Kooperative, aber auch ein riesiger Player. Die Kooperative hat rund 30.000 Mitglieder und ist einer der wichtigsten Sojaexporteure des Landes. Das mächtige Unternehmen betreut weite Flächen im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso do Sul.
Seit Jahrzehnten eskalieren im Süden von Mato Grosso do Sul zahlreiche Landkonflikte. Laut brasilianischer Bundesanwaltschaft waren auch Bauern der Coamo-Kooperative an Angriffen auf Indigene beteiligt. Spätestens 2020 wird das durch Panorama hier in Deutschland bekannt. Doch die Firma Agravis bewirbt das Soja von Coamo auf ihrer Internet-Seite weiter als nachhaltig. "Ein wichtiges Engagement ist die Zusammenarbeit mit der größten brasilianischen Kooperative Coamo, die über ein eigenes Nachhaltigkeitssystem verfügt", verspricht Agravis.
Agravis weist Vorwürfe schriftlich zurück
Agravis gibt uns kein Interview. Und von unseren schriftlichen Fragen lassen sie einige unbeantwortet, schicken stattdessen ein Statement. Man nehme "Menschenrechte sehr ernst". Weiter schreiben sie "Wir distanzieren uns von jeglicher Form der Gewalt. Auch Coamo hat sich hier unmissverständlich klar positioniert."
Zudem hätten sie unsere Fragen und Recherchen noch einmal an Coamo zur Prüfung weitergereicht und verweisen auf die Unschuldsvermutung. Auch Coamo verurteilt in einem Statement die Gewalt und erklärt, der Eigentümer des umstrittenen Landes sei kein Mitglied der Kooperative, sämtliche ihrer Produkte stammten nicht von irregulärem Land. Wie ließe sich so ein Widerspruch aufklären?
Genau das ist das Problem, sagt Tina Lutz von der deutschen Umwelthilfe. Am Ende sei immer keiner verantwortlich. "Deshalb ist der erste wichtige Schritt, dass die Unternehmen wirklich Transparenz und Rückverfolgbarkeit bis zur Anbaufläche, also bis zum wirklich zum Ort, wo das angebaut wurde, offenlegen und das auch mit Geo-Koordinaten überprüfbar ist." Doch sie erzählt auch, dass sie "gerade massiven Gegenwind erfahren von den europäischen Futtermittelproduzenten, die auf jeden Fall verhindern wollen, dass es diese Transparenz gibt und damit auch diese Kontrolle über die Lieferkette."
Ab 2023 soll das Lieferkettengesetz in Kraft treten, zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Sie müssen dann sicherstellen, dass in ihren Lieferketten Menschenrechte geachtet werden. Das gilt dann auch für Agravis.