Scharfe Waffen nicht erkannt - Chaos in Waffenbehörde
Eine Recherche von Panorama 3 mit "t-online" zeigt: Statt mit korrekten Listen arbeiteten die Behörden im Fall des Waffensammlers von Schwesing (Nordfriesland) mit fehlerhaften Aufzeichnungen und Strichlisten - und gaben am Ende offenbar eine unerkannt scharfe Waffe wieder heraus.
Ein Schießstand in Kulmbach in Bayern, in den Händen eines Waffenhändlers ein Gewehr. Anlegen, zielen, abdrücken. Schüsse peitschen durch den Raum - doch genau das dürfte nicht passieren. Denn nach Einschätzung der Waffenbehörde in Husum handelt es sich beim K98 mit der Seriennummer 2222G um eine Dekowaffe, also eine unbrauchbare Waffe. Mit Dekowaffen schießen - unmöglich.
Bis zum 4. Februar 2021 gehörte dieses Gewehr dem Waffensammler Peter Frank aus Schwesing. Er hatte mit knapp 1.000 Waffen eine der größten Waffensammlungen Deutschlands, geschätzter Wert 1,5 Millionen Euro. In Franks Waffenkammer stehen heute aber nur noch ein paar Schäfte: Holzgriffe, die die Behörden ihm gelassen haben.
Ein gewissenhafter Sammler
Von einer chaotischen Waffenkammer spricht die für ihn zuständige Husumer Waffenbehörde. Dabei haben die Sachbearbeiterinnen Peter Frank noch bis 2016 ganz anders eingeschätzt. In einem Schreiben an den Zoll, das Panorama 3 vorliegt, schreibt die Waffenbehörde damals, Frank sei ein verantwortungsbewusster und gewissenhafter Sammler "mit dem Hang zum Überkorrekten".
Verhängnisvoller Mailverlauf
Doch als er 2017 ein Gewehr aus Österreich importieren will und die Daten des Verkäufers samt Mailverlauf an die Waffenbehörde weiterleitet, fällt der neuen Sachbearbeiterin etwas auf: Frank fragt den Händler im Mailverlauf nach Waffenteilen: "Freue mich auch über unvollständige Waffen. Genauso über Deko-/Salutwaffen. (…) Habe Ersatzteile, um mir daraus wieder eine vollständige, der Epoche entsprechende Waffe zusammen zu bauen (…)."
"Aus diesem Satz", sagt Frank, "hat die Dame eine kriminelle Handlung erahnt, dass ich illegal Waffen einführe und diese zusammenbaue. Nirgendwo steht in dieser Mail, dass es sich um scharfe Waffen handelt."
Verschiedene Seriennummern bei historischen Waffen keine Ausnahme
Trotzdem durchsucht die Behörde im November 2017 seine Waffenkammer. Und finden etliche Gewehre mit mehreren verschiedenen Seriennummern auf den unterschiedlichen Teilen, also beispielsweise dem Lauf oder dem Verschluss. Was bei aktuellen Waffen ein Hinweis auf eine mögliche Straftat wäre, nämlich den tatsächlich illegalen Zusammenbau von Waffen, ist bei historischen Waffen wie dem K98 dagegen normal, sagt der Waffensachverständige Ralph Herrmann: "Häufig war es so, dass die Reparaturwerkstätten während des Krieges aus erbeuteten Waffen oder Waffen, die beschädigt waren, eine funktionstüchtige Waffe gebaut haben. Es wurden Läufe ausgetauscht, es wurden Verschlüsse ausgetauscht, und da hatte man eben ein Wirrwarr an Nummern."
Ein Fakt, der den Mitarbeitern der Waffenbehörde möglicherweise nicht klar ist. Denn auch auf unsere Anfrage wiederholen sie: "Vorgeworfen wird ihm (…) das unerlaubte Herstellen von Waffen." Peter Frank habe bewusst unpräzise Angaben zur Seriennummer gemacht, um aus Waffenteilen ganze Waffen herzustellen.
Behörde erhebt schwere Vorwürfe gegen den Waffensammler
Dabei ist dieser Punkt nicht mal Teil einer Anklage gegen den Waffensammler. Denn gegen Frank läuft mittlerweile ein Strafverfahren. Die Vorwürfe der Waffenbehörde Husum sind gravierend: er soll gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen haben. Das wären gravierende Gesetzesverstöße, in besonders schweren Fällen sieht der Gesetzgeber eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vor. Derzeit ruht das Verfahren, weil die Richterin für befangen erklärt wurde.
Ein Blick in den Lauf reicht aus
Am 4. Februar 2021, dreieinhalb Jahre nach der ersten Durchsuchung und Versiegelung seiner Waffenkammer, rücken Waffenbehörde und LKA wieder an und räumen aus: 174 Gewehre kommen in die kriminaltechnische Sammlung des LKA, 783 weitere Waffen, Waffenteile und Waffenläufe sollen vernichtet werden. Andere Waffen, unter anderem das K98 mit der Seriennummer 2222G, werden in die Kiste für Dekowaffen gepackt, geprüft von den Sachverständigen des Landeskriminalamts.
Nach Angaben der Waffenbehörde wurden die Dekowaffen anschließend im Kreishaus noch einmal gesichtet. Dass es sich bei 2222G um eine scharfe Waffe handelt, haben die Behördenmitarbeiter wohl auch bei dieser Prüfung nicht erkannt. Dabei ist das eigentlich für Experten kein Problem: Dekowaffen sind unter anderem daran zu erkennen, dass die Läufe zugeschweißt sind. Für eine Prüfung reicht ein Blick in den Lauf aus.
Verstoßen die Beamten gegen waffenbehördliche Vorgaben?
Die Räumung der Waffenkammer verläuft offenbar noch an anderer Stelle nicht nach den waffenbehördlichen Vorgaben. Frank hat sie als chaotisch in Erinnerung: "Am Ende saß der Hauptkommissar hier an diesem Tisch und als er gehen wollte, sage ich: 'Halt! Ich brauche noch eine Quittung, einen Beleg über die annähernd 1.000 Waffen, die Sie mir jetzt weggenommen haben.' Da setzte er sich hin und sagte, 'sowas gibt es hier nicht.'"
Doch es muss sie geben. Eine Excel-Liste, angefertigt nach dem Vier-Augen-Prinzip, so besagt es eine Verwaltungsvorschrift. Was in Franks Fall stattdessen auftaucht: handschriftliche Listen, auf denen laufende Nummern springen, Seriennummern doppelt oder gar nicht eingetragen sind. Für den Verwaltungsrechtler Jürgen Punke ist das inakzeptabel: "Die Liste soll lückenlos dokumentieren, was vorgefunden ist und auch waffenrechtlich sauber sortieren. Und wenn die Methode so zur Anwendung gelangt, dass das gar nicht möglich ist, dann möchte man fast böse formulieren, dann kann man sich solche Listen von vornherein sparen." Dabei gelte für Mitarbeiter von Behörden im Umgang mit Waffen eine besondere Pflicht zur Penibilität.
"Die Liste ist nicht fehlerhaft"
Auf Nachfrage antwortet die Waffenbehörde anfangs: "Die Liste ist nicht fehlerhaft. Sie gibt vollständig wieder, was am Tag der Räumung des Waffenraumes bei Herrn Frank gefunden wurde." In einer internen Mail, die Panorama 3 und t-online vorliegt, heißt es hingegen: "Wir haben irgendwann nur noch gezählt." Und tatsächlich finden sich auf den handschriftlichen Listen Strichlisten. Später räumt die Landesregierung offiziell Unstimmigkeiten ein. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage heißt es: "Dabei kam es zu falschen Zuordnungen von Waffennummern". Man habe, so die Landesregierung weiter, die Fehler korrigiert und werde künftig elektronische Listen führen.
LKA kann Herausgabe scharfer Waffe nicht nachvollziehen
Doch können tatsächlich alle Fehler korrigiert werden? Ein Großteil der Waffen ist schon kurz nach dem Ausräumen im Bremer Hochofen eingeschmolzen worden - unter anderem auf Grundlage einer Strichliste. Und zwar alle, bis auf die 174 Waffen, die das LKA in die kriminaltechnische Sammlung aufnehmen will und die Dekowaffen. Unter ihnen ist auch das Gewehr mit der Nummer 2222G. Auf Anfrage schreibt das LKA: "Die Behauptung, es wurden diverse scharfe Waffen ausgehändigt, kann von hier aus nicht nachvollzogen werden."
In Kulmbach am Schießstand lässt sich das nachvollziehen. Wir haben die Nummer des Gewehres überprüft und mit den Waffenbesitzkarten von Peter Frank abgeglichen. Er hatte sie korrekt als scharfe Waffe angemeldet. Später haben die Behörden sie als Dekowaffe dem Kulmbacher Waffenhändler ausgehändigt. "Diese Waffe ist eine scharfe Waffe, keine Dekowaffe", sagt der Büchsenmacher aus Bayern.
Politiker fordert Konsequenzen
Wir zeigen Jan Kürschner (Grüne) unsere Aufnahmen vom Schießstand. Er ist Mitglied der schwarz-grünen Regierungskoalition in Schleswig-Holstein und Vorsitzender des Innen- und Rechtsausschusses. "Dass man jetzt Dekowaffen mit scharfen Waffen irgendwie verwechselt, hielt ich eigentlich für ausgeschlossen. Das darf auf keinen Fall passieren. Wenn sich das jetzt bewahrheitet, dass da eine scharfe Waffe als Dekowaffe gekennzeichnet rausgegeben wurde, müssen wir gucken, wie ist es dazu gekommen? Wo ist die Stelle? Und dann muss man diese Stelle abstellen."
Waffenbehörde streitet Verantwortung ab
In der Waffenbehörde jedenfalls fühlen sie sich nicht so recht verantwortlich. "Wenn das LKA eine Waffe als Deko- und Salutwaffe und damit als erlaubnisfrei einstuft, dann gehen wir davon aus, dass das stimmt. Wir selbst schießen nicht mit den Waffen." Sollte tatsächlich ein Fehler passiert sein, wäre jetzt der Waffenhändler verpflichtet, die Waffe zu melden.
Welche Verstöße Sammler Frank am Ende tatsächlich begangen hat, muss im Strafverfahren geklärt werden. Ein Angebot über sechs Monate auf Bewährung gegen ein Schuldeingeständnis hat er abgelehnt. Andere Fragen müssen die Behörden jetzt beantworten. Denn, anstatt die Menschen zu schützen, haben die Behörden sie offenbar einem Risiko ausgesetzt.