Safia S: Ein Urteil und doch keine Lösung
Ein Zwischenruf von Djamila Benkhelouf
Das Oberlandesgericht in Celle hat das Urteil gegen die 16-Jährige Safia S. aus Hannover gesprochen. Sechs Jahre Jugendhaft wegen versuchten Mordes und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Die damals 15-jährige Schülerin hat im Februar vergangenen Jahres im Hauptbahnhof Hannover einen Bundespolizisten mit einem Messer lebensgefährlich am Hals verletzt. Die Tat war zweifellos furchtbar. Kein Polizist rechnet damit, bei einer Routinekontrolle von einem 15-jährigen Mädchen mit einem Messer angegriffen zu werden. Dass der Polizist bis heute darunter leidet, daran habe ich keine Zweifel.
Im Fall von Safia S. war sehr schnell klar, dass das Mädchen von Kindesbeinen an nicht nur in streng religiösen Familienverhältnissen groß geworden ist, sondern auch durch Salafisten außerhalb der Familie sehr früh beeinflusst wurde. Nach Recherchen von Panorama 3 wurde außerdem deutlich, dass es einen enormen religiösen Einfluss der Mutter auf die Tochter gegeben hat.
Safia S. habe immer wieder angegeben, sich nicht verstanden gefühlt zu haben: nicht von ihren nicht-muslimischen Mitschülern, nicht von Lehrern, nicht von Freunden. Immer wieder ging es dabei vor allem um das sichtbare Zeichen ihres Glaubens: das Kopftuch. Sie habe sich benachteiligt gefühlt, nicht ernst genommen, und sich zurückgezogen. Zurückgezogen in ein streng religiöses Elternhaus. Ein Spannungsverhältnis, das für ein 15 Jahre altes Mädchen sicher schwer auszuhalten war.
Sie ging nicht in irgendeine Moschee, sie besuchte eine Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Sie kam über soziale Medien in Kontakt mit Anhängern des Islamischen Staates. Und die, das belegen Recherchen von Panorama 3, Safia S. ermutigt haben, in Deutschland einen Anschlag zu begehen. Sie haben dieses Kind gnadenlos für ihre Zwecke ausgenutzt, und sie können nicht dafür belangt werden, da sie schlicht nicht greifbar sind.
Ein Fakt, der mich persönlich wütend macht. Ich will das Urteil nicht angreifen. Die Tat war unmissverständlich. Safia S. hatte anscheinend zum Tatzeitpunkt die Absicht, diesen Polizisten zu töten und wäre sogar bereit gewesen, dabei zu sterben. Doch diese Absicht, diese wahnwitzige Vorstellung, für Gott sterben zu wollen, kommt nicht einfach über Nacht. Safia S.‘ Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wohin religiöser Fanatismus führen kann.
Dieser Fanatismus ist allerdings über Jahre gefördert und stets gefüttert worden, offenbar vom Elternhaus und von salafistischen Predigern und Anhängern einer extremen Auslegung des Islam. Es ist kein Fanatismus, der plötzlich entstanden ist, Safia S. war keine gescheiterte Persönlichkeit, keine Kleinkriminelle, die irgendwann im Schnelldurchgang radikalisiert wurde und dann durchgedreht ist.
Wenn man sich die Biographie von Safia S. anschaut, hätte sie in ein paar Jahren an der Uni sitzen können und nicht in einer Justizvollzugsanstalt. Was mir Sorgen bereitet ist, dass Safia S. eine ganze Generation widerspiegelt. Es gibt viele junge Menschen, die genau in diesem Spannungsverhältnis leben oder auch leben müssen. Weil die extreme Form des Islam ein fester Bestandteil des Elternhauses ist. Weil salafistische Prediger ihnen "die Wahrheit" einflüstern. Es sind junge Menschen, die in zwei Welten leben und jeden Tag kämpfen, irgendwie damit klar zu kommen.
Im Fall von Safia S. ist es nicht gut ausgegangen. Ein Polizist, ein junger Mann, wurde lebensgefährlich verletzt und hat noch heute mit der Tat zu kämpfen. Aber ich betrachte Safia S., trotz der Schwere ihrer Tat, auch als ein Opfer. Opfer von fanatischen Islamisten, denen es völlig egal ist, dass sie ein Kind indoktrinieren, es nach ihren religiösen Vorstellungen formen und verbiegen. Es sogar wie eine kleine Trophäe der Welt präsentieren, das ja so schön Koranverse auswendig kann und bereit ist, in sehr jungen Jahren das Kopftuch zu tragen. Sie alle haben das Kind solange beackert, bis es selbst nicht mehr wusste, wohin mit sich.
In der Berichterstattung rund um die Urteilsverkündung heute fiel tatsächlich der Satz, "es gibt Hoffnung auf Heilung", auf die Frage, ob Safia S. Chancen auf eine Resozialisierung habe. Heilung! Ich denke nicht, dass Safia S. krank ist und auch nicht war. Safia S. war meines Erachtens zunächst eine liebliche, unschuldige Projektionsfläche für eine extrem religiöse Überzeugung, später dann war sie das perfekte Tatwerkzeug für fanatische Gotteskrieger. Sicher, die Tat selbst hat sie ausgeführt. Unbestritten.
Deshalb ist es mehr denn je an der Zeit, gegen einen extremistischen und salafistischen Islam vorzugehen und entschieden und mit Nachdruck die Integration voranzutreiben. Gezielte und professionelle Prävention ist das eine. Doch wenn wir als Gesellschaft es nicht schaffen, diese Kinder und Jugendlichen aufzufangen, wird es nicht der letzte Prozess gewesen sein.