Politik bleibt Männersache
In einem Landhaus weit im Norden Niedersachsens brennt an einem späten Novemberabend noch Licht. Der Rat der Gemeinde Ovelgönne hat sich zu einer Sitzung versammelt. Die Reihen im Saal sind bis auf den letzten Platz besetzt. Es geht um öffentliche Planung und Infrastruktur, Fragen der Bürger zu Bauflächen und altengerechten Wohnungen. Die 17 Vertreter der 5.700-Einwohner-Gemeinde diskutieren über vieles, was auch andere Gemeinden beschäftigt. Nichts Besonderes, könnte man meinen.
Und doch weist die Kommune auf ein charakteristisches Problem in der norddeutschen Politik hin: Nur zwei der 17 Ratsmitglieder sind Frauen. Politik ist in Norddeutschland Männersache. "Es ist schwierig, Frauen zu kriegen, die mitmachen wollen“, sagt Carsten Meiners, Ratsmitglied der Grünen. "Wir hätten gerne mehr Frauen", sind sich alle im Rat einig. "Aber wir finden sie nicht."
Frauenanteil in Landtagen zurückgegangen
Die Politik in Norddeutschland wird auf allen Ebenen von Männern dominiert. Panorama 3 hat für ganz Norddeutschland den Anteil der Frauen in Landtagen, Kreistagen und Städtevertretungen sowie Bürgermeisterämtern ausgewertet.
Karte: Frauenanteil in den norddeutschen Kreistagen und Räten / Frauenanteil unter den Bürgermeistern
Im Schnitt sind aktuell nur 31,8 Prozent der Landtagsabgeordneten im Norden weiblich - nicht einmal jeder dritte Abgeordnete ist eine Frau. Am niedrigsten ist der Frauenanteil im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern (25,4 Prozent), am höchsten in der Hamburgischen Bürgerschaft (38,0 Prozent).
Besonders überraschend: Nachdem der Frauenanteil in der Politik in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen hatte, hat sich der Trend jetzt umgekehrt: In allen fünf norddeutschen Landtagen ist der Frauenanteil nach den jüngsten Wahlen zurückgegangen.
Rückgang ist alarmierend
"In der Gleichstellungspolitik ging es immer langsamer voran“, sagt die neue niedersächsische Ministerin für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Carola Reimann (SPD), "aber jetzt haben wir zum ersten Mal die Situation, dass es rückwärts geht. Das ist schon alarmierend."
Reimann ist eine von vier Frauen im neuen Kabinett von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). "Dinge, die maßgeblich von Frauen vorangetrieben worden sind, finden dann nicht so stark Beachtung, wenn zu viele Männer im Parlament sind“, sagt die Ministerin. Themen wie die Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie könnten auf der Agenda nach unten rutschen.
Kommunalebene: Kreistage in denen fast keine Frauen sitzen
Wer entscheidet, ob die neue Kreisstraße gebaut wird? Die Antwort: überwiegend Männer. In der Kommunalpolitik sind noch weniger Frauen beteiligt als auf Landesebene. In den Kreistagen und Räten kreisfreier Städte in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sind im Schnitt nur 27,1 Prozent Frauen vertreten.
Besonders niedrig ist der Frauenanteil in den niedersächsischen Kreistagen Wesermarsch (14,0 Prozent), Vechta (14,6 Prozent) und Uelzen (16,3 Prozent). Bei den Bürgermeistern der Städte und Gemeinden ist der Frauenanteil noch geringer: Hier liegt nach Panorama 3-Recherche der Anteil der weiblichen Bürgermeister in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen bei lediglich 16,8 Prozent.
"Ich hatte Angst, dass ich meine Kinder vernachlässige“
Besonders viele Frauen sitzen dagegen Rat der Stadt Osnabrück. Dort sind 43,1 Prozent der Räte weiblich, norddeutschlandweit der höchste Wert. Ratsvorsitzende Eva Maria Westermann (CDU) erklärt im Interview mit Panorama 3, dass der Weg in die Politik oft über ehrenamtliches Engagement führe.
Als Westermann selbst zwischen Familie, Politik und Beruf wählen musste, habe sie sich gegen ihren Beruf entschieden. "Ich hatte Angst, dass ich neben Beruf und diesem großen Ehrenamt meine Familie, auch meine Kinder, vernachlässigt hätte“, sagt Westermann.
Frauen stellen die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland. Aber Geschlechterparität wird in keinem der untersuchten Landesparlamente, Kreistage oder Stadtvertretungen erreicht. Knapp 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts sind die politischen Entscheidungsträger in Norddeutschland immer noch vor allem: Männer.
Mitarbeit: Laura Garvs