Mordfall Frederike: Was ist ein Freispruch wert?

Stand: 22.03.2022 14:44 Uhr

Anfang der 1980er Jahre wird die 17-jährige Frederike von Möhlmann ermordet, ein mutmaßlicher Täter verhaftet. Und freigesprochen. 2012 werden seine DNA-Spuren gefunden. Was bedeutet das für die Justiz? Denn eigentlich darf niemand wegen derselben Tat erneut angeklagt werden.

von Simone Horst

November 1981: die 17-jährige Frederike von Möhlmann wird vergewaltigt und ermordet. Kurz darauf wird der mutmaßliche Täter Ismet H. festgenommen. Am Tatort werden Reifenspuren und Fasern gefunden, die auf sein Auto hinweisen. Doch vor Gericht kann nicht eindeutig bewiesen werden, dass Ismet H. selbst am Tatort war. Rund zwei Jahre nach dem Mord wird er vom Gericht in Stade freigesprochen.

Ende der 1980er Jahre wird das damals neuartige DNA-Verfahren zum ersten Mal in der Beweisaufnahme vor Gericht zugelassen. Frederikes Vater, Hans von Möhlmann, sieht eine Chance, den Mörder seiner Tochter doch noch zu finden. Er schafft es allerdings erst 2012, dass in diesem Fall eine DNA-Analyse gemacht wird. Tatsächlich werden Spuren von Ismet H. an Frederikes Kleidung gefunden.

Erneute Anklage rechtens?

Wolfram Schädler, Rechtsanwalt © NDR
Setzt sich dafür ein, dass das Verfahren wieder aufgenommen werden kann: Strafverteidiger Wolfram Schädler.

Kann Isemt H. nun wieder vor Gericht gestellt werden? Laut Grundgesetz ist das nicht möglich. Dort steht: "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden". Das heißt, wenn es ein rechtskräftiges Urteil gibt, darf der Angeklagte nicht noch einmal für dieselbe Tat vor Gericht gestellt werden - nur in seltenen Ausnahmen. Diese Ausnahmen regelt die Strafprozessordnung. Nach einem Freispruch dürfte der Angeklagte noch einmal vor Gericht gestellt werden, "wenn jemand absichtlich falsch Zeugnis abgelegt hat. Ein Richter befangen war oder wenn der Angeklagte im Nachhinein ein Geständnis abgelegt hat", erklärt Wolfram Schädler. Der Strafverteidiger kämpft seit einigen Jahren an der Seite von Hans von Möhlmann dafür, dass Frederikes Mörder zur Rechenschaft gezogen werden kann. Dafür sammelten sie 2016 mit einer Petition mehr als 180.000 Unterschriften, um die Strafprozessordnung zu ändern. Sie wollten erreichen, dass auch neue Beweismittel dazu führen können, dass ein Verfahren wieder aufgenommen werden kann.

Ein Freispruch muss ein Freispruch bleiben

Verfassungsrechtler Helmut Aust © NDR
Sorgt sich um den sogenannten Rechtsfrieden: Verfassungsrechtler Helmut Aust.

Für den Verfassungsrechtler Helmut Aust von der Freien Universität Berlin ist das der völlig falsche Ansatz. Er findet die Gesetzeslage richtig, so wie sie ist, denn sie schütze den sogenannten Rechtsfrieden. "Natürlich kann man in so extremen Fällen wie dem Fall Frederike von Möhlmann sehen, dass man da schier daran verzweifeln kann, wenn Gerechtigkeit aus der Perspektive von Einzelnen nicht hergestellt werden kann", sagt Aust. Aber das Rechtssystem müsse auch darauf achten, dass Fälle abgeschlossen werden können. Ein gerichtliches Urteil müsse das Ende eines Prozesses sein. Das heißt, ein Freispruch muss ein Freispruch bleiben, auch wenn es neue Beweise gibt, die auf die Schuld des Freigesprochenen hindeutet.

Petition hat Erfolg - Änderung der Strafprozessordnung

Doch Hans von Möhlmann hat Erfolg mit seiner Petition. 2021 legt die alte Regierung einen Gesetzentwurf vor, der kurz darauf verabschiedet wird. Im neuen Artikel der Strafprozessordnung heißt es nun, dass eine Wiederaufnahme auch möglich ist, "wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte(...) verurteilt wird."

Zwar spricht das Gesetz von dringenden Gründen, aber Verfassungsrechtler Aust sieht diese Neuerung trotzdem kritisch und hatte sich in einer Expertenrunde im Bundestag gegen die Änderung ausgesprochen. "Man darf nicht vergessen, dass es auch Gerichtsverfahren gibt, bei denen Menschen vollkommen zu Recht freigesprochen werden. Das Gesetz ist nicht so klar formuliert, dass es sich nur auf Sonderfälle neuer technischer Untersuchungsmethoden beziehen würde, wie das ursprünglich mal geplant wurde", sagt Aust. "Es reicht gewissermaßen aus, dass vielleicht eine frühere Ehefrau sich nochmal anders an einen gewissen Konflikt erinnert und nicht mehr von einem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Dann können auf einmal solche Verfahren wieder aufgerollt werden."

Bundespräsident äußert Bedenken

Jeder Freigesprochene muss nun also sein ganzes Leben lang bangen, erneut vor Gericht gestellt zu werden, auch wenn er oder sie zu Recht freigesprochen wurde. Ist das besser, als einen mutmaßlichen Mörder frei herumlaufen zu lassen? Es ist ein Dilemma.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier scheint sich bei der Beantwortung dieser Frage nicht sicher zu sein. Neue Gesetze müssen vom Bundespräsidenten unterschrieben werden, erst dann treten sie in Kraft. Bei diesem speziellen Gesetz ließ sich Steinmeier ungewöhnlich lange Zeit mit der Unterzeichnung. Im Dezember 2021 unterschreibt er zwar, aber äußert ebenfalls Bedenken und fordert den Bundestag auf das Gesetz noch einmal zu prüfen. Auf unsere Frage, warum das Gesetz trotz Zweifel überhaupt unterschrieben wurde, erhalten wir keine Antwort. Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte an, das Gesetz noch einmal zu prüfen.

Mutmaßlicher Mörder erneut festgenommen

Im Fall Frederike von Möhlmann zeigt das Gesetz jetzt schon Wirkung. Laut Staatsanwaltschaft Verden wurde der mutmaßliche Mörder Ismet H. im Februar 2022 erneut festgenommen und befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft. Ob es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens kommt wird nun vom Landgericht geprüft.

Dieses Thema im Programm:

22.03.2022 | 21:15 Uhr

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