Missbrauchs-Vorwurf: Seltsamer Umgang im Boxverband
Maria will Boxerin werden, seit sie vier Jahre alt ist. Mit 17 wird sie deutsche Jugend-Meisterin (2011). Sie zieht von Hamburg nach Schwerin, um dort am Olympiastützpunkt zu trainieren. "Wenn ich an die Jahre in Schwerin zurückdenke, kommen schreckliche Erinnerungen hoch." Nach wenigen Monaten am Olympiastützpunkt werden Marias Leistungen plötzlich schlechter. Sie wirkt unkonzentriert im Ring und verliert Kämpfe. Niemand versteht, was mit ihr los ist.
"Ich wollte das nicht"
Erst Jahre später offenbart sie sich einem Vertrauten aus Hamburg. Maria erzählt von einer Turnierreise nach Schweden mit ihrem damaligen Landestrainer Christian M.. Dieser habe sie massiert, gegen ihre Rückenschmerzen. Das machten Trainer manchmal, sei erstmal nichts Ungewöhnliches. "Doch als ich mich danach verabschieden wollte, packte er mich an der Schulter und stieß mich nach hinten aufs Bett", erzählt Maria. "Ich wollte zurück auf mein Zimmer. Er hat dann meinen BH und seine Hose ausgezogen und über mir onaniert. Ich konnte nichts tun. Habe einfach weggeschaut." Es sei nicht der einzige Vorfall gewesen, schildert Maria: 2012 habe Christian M. sie mit nach Polen genommen. "Ich musste ein Hotelzimmer mit ihm teilen. Da ahnte ich schon warum und hatte Angst. Stellte mich abends sofort schlafend. Irgendwann legte er sich hinter mich, zog meine Hose aus und schlief mit mir, ich wollte das nicht."
Anzeige und vorläufige Suspendierung
Aus Scham und Angst habe sie nichts unternommen, sagt Maria. Sie muss weiter mit dem Landestrainer an einem Stützpunkt trainieren. Erst im Dezember 2016 erstattet sie Anzeige gegen Christian M.. Dieser ist mittlerweile Landestrainer und Sportdirektor im Hamburger Boxverband. Die Schweriner Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen wegen des "Verdachts von sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen" ein.
Im Hamburger Boxverband kümmert sich Nele Rades-Walther um den Fall. Sie orientiert sich an den Leitlinien des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die den Umgang mit derlei Missbrauchsvorwürfen regelt. "In erster Linie ist das mutmaßliche Opfer zu schützen und deswegen der mutmaßliche Täter einstweilen zu suspendieren. Das habe ich angeregt", sagt die damalige Rechtswartin und Frauenbeauftragte des Hamburger Verbandes.
Der Hamburger Boxverband suspendiert Christian M. also zunächst als Landestrainer und Sportdirektor. Doch als überraschende Reaktion werden die attackiert, die sich an die Leitlinien des Deutschen Olympischen Sportbundes halten wollen. "Es gab ein Vorstandsmitglied, das noch am Abend als das Ganze publik wurde, via Textnachricht den ganzen Vorstand als Dreck bezeichnet hat."
Studie: Sport greift zu lasch durch
Gerade im Sport scheinen Vereine und Funktionäre oft miserabel mit Missbrauchsvorwürfen umzugehen. Dabei gebe es dringenden Handlungsbedarf. Das belegt die aktuelle, repräsentative "Safe-Sport"-Studie, in der 1.800 Kaderathleten zu ihren Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt befragt wurden. Ein Drittel der Sportler gibt an, bereits Übergriffe erlebt zu haben. Enge persönliche Verbindungen und Abhängigkeiten führen offenbar dazu, dass im Sport häufig besonders lasch durchgegriffen wird.
Solche Abhängigkeiten gibt es auch in Hamburg. Der Beschuldigte Christian M. ist mit seiner Firma an der Austragung der Amateur-Box-WM beteiligt. Dass diese 2017 in Hamburg stattfindet, ist auch sein Verdienst. Das macht ihn zu einem wichtigen Mann für Funktionäre und Politik. Die Vorwürfe gegen ihn kommen offenbar zu einem ungünstigen Zeitpunkt.
Verband hebt Suspendierung auf
Der Hamburger Boxverband beruft derweil eine Vollversammlung ein, wählt einen neuen Vorstand. Trotz damals noch laufender strafrechtlicher Ermittlungen, hebt der neue Vorstand die Suspendierung von Christian M. auf. Der Verband missachtet also die DOSB-Leitlinien, er beschäftigt den Beschuldigten weiter.
Frauenbeauftragte Rades-Walther und ihre Kollegen bitten in unzähligen Briefen Spitzensportverbände und Behörden um Hilfe. Doch nichts passiert. Sport-Dachverbände können in so einem Fall nur Empfehlungen aussprechen. Auch die "Hamburger Sportjugend" würde gerne eingreifen, kann aber nichts tun. "Wir sprechen Empfehlungen aus und die werden übernommen oder nicht. Mehr können wir im Sport nicht tun. Das ist Verbandsrecht", sagt Conny Sonsmann von der Hamburger Sportjugend. "Wir sind darauf angewiesen, dass das Strafrecht klarere Vorgaben macht."
Im August 2017 stellt die Schweriner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Christian M. zunächst ein. Obwohl sie einen "hinreichenden Verdacht" für einen sexuellen Kontakt zwischen Maria und Trainer Christian M. sieht. Weil Maria aber zum Zeitpunkt der Vorfälle über 16 war, wäre der Trainer strafrechtlich nur dann zu belangen, wenn Maria ihm nachweisen könnte, dass er seine Machtposition ausgenutzt hat. Maria hat gegen die Einstellung des Ermittlungsverfahrens Beschwerde eingereicht. Es ist also noch nicht abgeschlossen.
Beschuldigter spricht von "verleumderischer Hetzkampagne"
Der aktuelle Hamburger Fall zeigt: Es bräuchte ein Umdenken in den Vereinen und bindende Regeln zum Umgang mit Verdachtsfällen. Deren Missachtung müsste sanktioniert werden können. Nele Rades-Walther hatte sich an die Regeln gehalten. Sie hat heute Hausverbot im Hamburger Boxverband. Die Begründung: verbandsschädigendes Verhalten.
"Eigentlich bleibt nur die Botschaft, dass man sowas nicht zu erleben hat oder dass man solche Vorwürfe nicht zu erheben hat. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass sich da nochmal jemand traut den Mund aufzumachen", sagt die ehemalige Frauenbeauftragte Rades-Walther. Der Hamburger Boxverband verweist darauf, dass die Ermittlungen eingestellt seien.
Christian M. will über all das nicht mit uns sprechen. Er bestreitet alle Vorwürfe, spricht von einer "verleumderischen Hetzkampagne". Maria ist inzwischen aus Hamburg weggezogen, möchte woanders neu anfangen. Trainer Christian M. arbeitet weiter mit Jugendlichen im Hamburger Boxverband.