Panorama 3
Montag, 15. April 2024, 03:40 bis
04:10 Uhr
Björn Fischer kommt gerade von seiner Fangfahrt auf der Ostsee zurück. Er hat ausschließlich Plattfische gefangen. "Die sind alle dünn. Die haben anscheinend nicht mehr genug zu fressen", erzählt er.
Die wenigen großen Fische kann er sogar direkt vom Kutter verkaufen. Den Rest gibt er in die Fischauktion in die Niederlande. Der Ostseefischer kann längst nicht mehr ausschließlich vom Fischfang leben. Er hat sich deshalb ein zweites Standbein aufgebaut: Er verkauft jetzt Fischbrötchen. Der Verkaufswagen steht direkt an der Kaikante, neben seinem Kutter. Doch der Fisch im Brötchen kommt nicht aus seinem Netz. "Wir müssen den Fisch zukaufen. Der meiste Fisch kommt tatsächlich aus dem Nordostatlantik, den wir hier verkaufen."
Unterschiedliche Ursachen für geringe Bestände
Die Ursachen für die geringen Fischbestände sind vielfältig. Zum einen spielt die Überfischung eine Rolle, beim Dorsch eine größere als beim Hering. Der Hering hat vor allem damit zu kämpfen, dass es grundsätzlich zu warm ist. "Die Ostsee ist sehr empfindlich, dadurch dass es so ein Binnenmeer ist", sagt Björn Fischer. Durch die kleinen Öffnungen über die Belte und Sunde im westlichen Teil der Ostsee, gelangt nur noch wenig Frischwasser in das kleine Meer. Schuld daran sind zu schwache Winterstürme. Der Temperaturanstieg liegt hier sogar über dem globalen Mittel.
Auf dem Fischereiforschungsschiff Clupea untersuchen die Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Ostseefischerei wie sich der aktuelle Heringsnachwuchs entwickelt. Während der Laichsaison sind sie jede Woche im Greifswalder Bodden unterwegs, um Heringslarven zu fangen. Schon seit den 1980er Jahren läuft diese Forschung. Der Greifswalder Bodden ist das Hauptlaichgebiet für den Hering in der deutschen Ostsee. Die Daten, die sie hier sammeln, sind die wichtigste Grundlage für das Bestimmen der Fangquoten.
Geht es der Ostsee schlecht, gibt es nur sehr wenig Heringe
Gleichzeitig sind sie aber auch ein Abbild der Ostsee: "Denn wenn es der Ostsee schlecht geht, gibt es auch nur wenig Hering", sagt der Fischereiwissenschaftler Paul Kotterba. Durch das wärmere Wasser überleben weniger Heringslarven. Denn das Futter, das sogenannte Phytoplankton, das die Heringslarven zum groß werden brauchen, entsteht erst ab einer bestimmten Sonnenstrahlung. Es braucht viel Licht. Doch der Hering schlüpft schon, wenn das Wasser warm ist. Und weil das Wasser inzwischen auch in der dunklen Jahreszeit zu warm ist, schlüpft der Hering zu früh. Dann ist aber noch nicht genügend Futter da, und so verhungern Millionen Heringslarven.
In der Ostsee sind aber auch zu viele Nährstoffe, so Fischereiwissenschaftler Kotterba: "Wir sehen, dass die Pflanzen, auf die der Hering seine Eier ablegen kann, immer weniger werden. Das hat was damit zu tun, wie sich die Wasserqualität durch den Nährstoffeintrag verändert hat." Durch Dünger, Kläranlangen, Autoverkehr und Industrieabwässer gelangen Nährstoffe über Flüsse ins Meer. Der Überfluss an Nährstoffen, lässt Algen wachsen, die machen das Wasser trüb und entziehen ihm Sauerstoff. Und so bekommt das Seegras, die Pflanze, auf der die Fische ihre Eier ablegen, nicht genügend Licht.
In den vergangenen 100 Jahren sind schon zwei Drittel aller Seegraswiesen in der Ostsee verschwunden. Der Meeresbiologe Philipp Schubert vom Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung sagt, am besten wäre es, wenn größere Teile der Ostsee unter Schutz gestellt würden. Denn dort, wo sowohl Land als auch Meer unter Schutz stehen, kann man schon einen positiven Effekt sehen.
Nationalpark Ostsee - die Rettung?
Genau deshalb möchte auch der Umweltminister von Schleswig-Holstein Tobias Goldschmidt (Bündnis 90/Die Grünen) große Teile der Ostsee unter Schutz stellen und die bestehenden Schutzgebiete in der Ostsee zusammenziehen und so einen Nationalpark gründen. "Wir haben schon heute Schutzgebiete, die einzelne Bereiche der Ostsee schützen. Und jetzt geht es darum, ob wir als Gesellschaft die Bereitschaft haben, gemeinsam ein großes Schutzgebiet zu schaffen, wo wir der Ostsee helfen können, dass wieder Natur entstehen kann", sagt Goldschmidt. Doch von vielen Interessengruppen wie zum Beispiel der Tourismusindustrie, aber auch der Landwirtschaft gibt es Widerstand. Sie haben Sorge vor finanziellen Einbußen.
Auch Freizeitsportler gegen Nationalpark
Doch nicht nur die, die sich um ihre Wirtschaftlichkeit sorgen, sind gegen einen Nationalpark Ostsee. Auch die, die die Ostsee in ihrer Freizeit nutzen, wollen eigentlich nicht eingeschränkt werden. Viele Wassersportler glauben, sie könnten ihren Sport nicht mehr so ausüben, wie sie es gewohnt sind. Deshalb hatte das Umweltministerium extra einen Workshop mit den Wassersportlern organisiert. Doch gebracht hat er wohl nichts.
Die Wassersportler sehen sich nicht in der Pflicht. "Ich stehe den Nationalpark kritisch gegenüber, weil ich schon Bedenken habe, dass wir langfristig im Rahmen dieses angedachten Nationalparks Einschränkungen des Wassersport erfahren werden, die wir heute noch gar nicht absehen können", so Hans Köster vom Seglerverband Schleswig-Holstein. Der Umweltminister ist frustriert: "Ich habe hier viele Vorschläge für Naturschutz gehört, aber ich habe auch gehört, dass keiner irgendwie sagt: Ich trete mal einen Schritt zurück, mache mal ein bisschen weniger. Das war hier überhaupt noch nicht die Stimmung."
Meeresbiologe Philipp Schubert, selbst auch leidenschaftlicher Surfer und Segler, kämpft trotzdem weiter für einen Nationalpark Ostsee: "Echter Schutz heißt einfach neue Regeln, und sich an die Regeln auch wirklich halten. Das kann auch heißen, dass dort dann eben in bestimmten Zeiten nicht gesurft wird. Vielleicht gibt es auch Betretungsverbote für bestimmte Strände. Ja, dann ist das so. Wir haben doch genug Strände."
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