Kündigung von Ärzten: Ist der Notfalldienst in Gefahr?
Sogenannte Poolärztinnen und -ärzte unterstützen den Notdienst in Bereitschaftspraxen abends und an Wochenenden. Sie entlasten damit die niedergelassenen Medizinerinnen und Mediziner. Ein Urteil des Bundessozialgerichts bringt dieses System nun ins Wanken.
Die Notfallpraxis im Städtischen Krankenhaus Kiel am vergangenen Samstagnachmittag. Um die 40 Menschen warten darauf, aufgerufen zu werden. An Abenden und am Wochenende ist dieser Ort Anlaufpunkt für alle, die dringend eine hausärztliche Behandlung benötigen. Matthias Seusing, ein Hausarzt im Ruhestand, ist hier tätig. "Wir arbeiten hier regelmäßig bis 22 Uhr und das ist auch wichtig", sagt Seusing. Der Andrang ist mitunter sehr groß. "Da kommen dann manchmal auch acht Leute vier Minuten vor 22 Uhr und die müssen wir ja auch noch abarbeiten."
Entlastung für allgemeinmedizinische Praxen
Seusing ist Notfallbeauftragter in Kiel, teilt stadtweit die Dienste ein. Wie er sind etwa die Hälfte der Medizinerinnen und Mediziner in der Notfallpraxis Poolärztinnen und -ärzte: Nicht niedergelassene Medizinerinnen und Mediziner, die freiwillig abends und am Wochenende Dienste auch in sogenannten Anlaufpraxen übernehmen. Sie entlasten damit die Hausärztinnen und -ärzte und deren Praxen außerhalb von deren Öffnungszeiten.
Kündigung zum Ende des Jahres
Dieses System gerät nun nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) ins Wanken. Denn das BSG entschied, dass die auf Honorarbasis tätigen Poolärztinnen und -ärzte nicht automatisch als Selbständige gelten. In der Konsequenz müssten Rentenbeiträge entrichtet werden. Leidtragende sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), für diese wären hohe Kosten die Folge. Deshalb hat unter anderem die KV in Schleswig-Holstein allen 450 Poolärztinnen und -ärzten zum Jahresende gekündigt. Diese decken 30 Prozent der Bereitschaftsdienste im Land ab. Auch Matthias Seusing von der Notfallpraxis im Städtischen Krankenhaus in Kiel erhielt ein entsprechendes Schreiben. Wenn es dabei bleibt, würden hier ab Jahresbeginn Ärztinnen und Ärzte fehlen. Der Umfang des medizinischen Angebots ab Januar ist derzeit noch unklar.
Unterschiedliche Reaktionen
In Norddeutschland haben die Kassenärztlichen Vereinigungen unterschiedlich auf den Urteilsspruch des BSG reagiert. Während in Niedersachsen 160 Poolärztinnen und -ärzte bereits gekündigt wurde, will die KV in Mecklenburg-Vorpommern erst einmal bis Ende März 2024 abwarten, wie sich die Situation entwickelt und dann entscheiden. Dort werden 166 Poolärztinnen und -ärzte beschäftigt. In Hamburg sind es 126. Wie es mit ihnen weitergeht, sei noch nicht entschieden, schreibt uns die dortige KV. Etwa 65 werden in Bremen eingesetzt, ebenfalls bis Ende März wird sich ihre Zukunft klären.
Kassenärzte befürchten Kosten in Millionenhöhe
Drei bis fünf Millionen Euro pro Jahr für Sozialversicherungsbeiträge - das ist die Schätzung von Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein für ihr Bundesland. Hinzu komme, dass die Deutsche Rentenversicherung dann auch das Recht hätte, rückwirkend Beiträge zu fordern. "Und dann sind wir ganz schnell bei 15, 16, 17 Millionen", so Schliffke - für die KV nicht machbar. Der Vorschlag deshalb: Die Poolärztinnen und -ärzte sollen wie Notärztinnen und -ärzte behandelt werden. Diesen ist es möglich, bis zu 15 Tage im Monat sozialversicherungsfrei zu arbeiten. Doch bislang sperrt sich das zuständige Bundesarbeitsministerium offenbar gegen dieses Ansinnen. Wir haben nach dem Grund gefragt. Antwort: Nach dem Urteil des BSG habe man die Gespräche mit den Verbänden wieder aufgenommen. Und: Dieser Dialog solle kurzfristig fortgesetzt werden. Das dazu ebenfalls befragte Bundesgesundheitsministerium antwortet uns ähnlich.
Mehr Dienste für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte
Währenddessen machen sich Hausärztinnen wie Monika Möller in Wesselburen im Kreis Dithmarschen Gedanken, was nun auf sie zukommen wird, wenn die Poolärztinnen und -ärzte fehlen. Sie leistet ohnehin schon regelmäßig Bereitschaftsdienste, zudem herrscht Ärztemangel. "Viele von uns hatten überlegt, die Dienste eher zu reduzieren und das eher den jüngeren Ärzten zu überlassen. Und jetzt passiert genau das Gegenteil. Es werden nicht weniger, es werden mehr." Um die Lücken zu stopfen könnte die KV sämtliche niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zum Bereitschaftsdienst verpflichten - also auch Fachärztinnen und -ärzte. Eine zusätzliche Herausforderung, denn die müssten erst wieder geschult werden, sagt Monika Möller: "Natürlich haben die das irgendwann mal gelernt, aber die tägliche Erfahrung fehlt für so manches Problem."
Patienten befürchten Unterversorgung
In Melanie Möllers Wartezimmer hat sich auch schon herumgesprochen, dass es bei der gesundheitlichen Versorgung möglicherweise eng werden könnte. "Das macht mir große Angst", sagt uns eine Patientin. "Wir sind doch sowieso unterversorgt hier, was Landärzte betrifft."