Stand: 30.04.2019 18:00 Uhr

Kreuzfahrtindustrie und Klimawandel - Der persönliche Abschied vom Eisbären

von Stefan Buchen

Die Monumente der Bourgeoisie gelte es, vor ihrem Verfall als Ruinen zu erkennen, hat Walter Benjamin (1892-1940) gesagt. Den philosophischen Gedanken vom konkreten Gegenstand abzuleiten, war eine von Benjamins Spezialitäten. In den Passagen von Paris erkannte er das Symbol der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. In diesen glas-überdachten Gängen, die nicht "nicht Straße und nicht Haus" waren und in denen sich zahllose Geschäfte tummelten, sei der moderne Fetisch der Ware und damit des Konsums entstanden. Zudem seien die Passagen die Brutstätte der "industries de plaisance", der Vergnügungsindustrien, gewesen.

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Schwarzer Rauch qualmt aus einem Schornstein eines Schiffes. © imago/CHROMORANGE Foto: imago/CHROMORANGE

Die rücksichtslose Expansion der Kreuzschifffahrt

Die Kreuzfahrtbranche boomt - 2,23 Millionen Deutsche machten 2018 so Urlaub, mehr als je zuvor. Der entstehende Schaden für Klima und Umwelt scheint dabei kaum eine Rolle zu spielen. mehr

Es erscheint philosophisch nicht unzulässig, im Kreuzfahrtschiff die Passage des 21. Jahrhunderts zu erblicken. Nicht Hotel, nicht Schiff trägt es die Massen unserer Zeit übers Meer. Auf Passagen von Bari nach Mallorca, von Gran Canaria nach Madeira, von Dubai nach Sydney, und von Barbados nach Rio de Janeiro. Welcher gesellschaftlichen Klasse die "Passagiere" angehören, ist eine müßige Frage. Es sind jedenfalls Menschen, die genug Euros, Dollars oder Yuans übrig haben, um sich eine "Passage" leisten zu können. In den Industrienationen Deutschland und USA trifft das auf viele klassische Proletarier zu. Unstrittig ist, dass die Profiteure der Kreuzfahrtindustrie eher der Großbourgeoisie zuzurechnen sind.  Auf dem 8. Kreuzfahrt-Kongress im November in Hamburg sagte Karl Pojer, der CEO der Hamburger Reederei Hapag Lloyd Cruises: "Mitarbeiter auf einem Kreuzfahrtschiff  werden wahrscheinlich nie einen Porsche besitzen. Aber sie müssen verstehen, warum der Kunde einen hat oder einen haben will."

Kreuzfahrtschiffe © NDR
Die Kreuzfahrtbranche wächst.Teurer Umweltschutz stört da.
Amüsieren wir die Umwelt zu Tode?

Das Kreuzfahrtschiff ist der Fetisch des zeitgenössischen Vergnügungs- und Reisekonsumenten. Das kann man unschwer an dem Schiffsnamen "Mein Schiff" (1 bis 6) erkennen, mit dem der deutsche Anbieter TUI Cruises seine Flotte getauft hat. Über die kulturellen und sozialpsychologischen Aspekte des Kreuzfahrens wurde bereits viel Kritisches gesagt, von Autoren wie David Foster Wallace in den USA oder Wolfgang Meyer-Hentrich und Wolfgang Gregor in Deutschland. Auch die ökologischen Folgen sind schon häufiger zum Gegenstand detaillierter Kritik von Umweltschutzorganisationen wie dem Nabu und von Journalisten wie Andreas Orth in Deutschland und Naomi Klein in Nordamerika geworden.

Muss man nicht beides zusammenführen und fragen, in welcher Kultur wir leben, wenn wir so fröhlich in Massen auf umweltzerstörende Freizeit-Passage gehen? Das ist kein Plädoyer gegen Urlaub und Erholung. Die Idee des Schabbat ist 3.000 Jahre alt und wird von dieser Stelle ausdrücklich gutgeheißen. Aber Kreuzfahrt ist nun mal, anders als Urlaub und Erholung schlechthin, kein "Must-Have", wie Malte Siegert vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sagt. Und deshalb könne man das "auch einfach mal sein lassen".

Klimawissenschaftler rechnen mit einem Kohlenstoffbudget pro Mensch. Das beträgt zur Zeit etwa 2,3 Tonnen Kohlendioxid im Jahr und muss sinken, wenn man die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß begrenzen will. Sein persönliches Jahresbudget von 2,3 Tonnen CO2 hat aufgebraucht, wer eine neuntägige Hochseekreuzfahrt unternimmt. Faktisch verursachen Deutsche im Durchschnitt rund 11 Tonnen CO2 pro Jahr.

Enorme Steigerungsraten bei den CO2-Emissionen

Kaum eine Industrie in Deutschland hat einen so hohen Anstieg des Treibhausgasausstoßes zu verzeichnen wie die Kreuzfahrtbranche. TUI Cruises hatte 2018 eine Steigerung um 4,99 Prozent , 2017 um 25,32 Prozent und 2016 um 25,70 Prozent bei den CO2-Emissionen zu verzeichnen. Aida verbuchte 2017 ein Plus von 14,17 Prozent, 2016 von 7,39 Prozent. Die Zahlen für das Jahr 2018 sind noch nicht veröffentlicht. Dabei haben sich Staaten und Industrien verpflichtet, ihren Ausstoß zu senken. Das schafft zwar auch die deutsche Automobilindustrie seit Jahren nicht. Aber sie hat zumindest nicht solche Steigerungsraten beim Treibhausgasausstoß. Die Kreuzfahrtbranche behauptet, trotz der genannten Zahlen, dass sich ihr Ausstoß verringere. Sie verweist auf relative Einsparungen pro Passagier. "Unser Treibstoffverbrauch ist in den letzten 20 Jahren um 70 Prozent gesunken", sagt Helge Grammerstorf, Chef der deutschen Sektion des Kreuzfahrtverbandes CLIA. Nehmen wir einmal zugunsten von Helge Grammerstorf an, dass seine Angabe zur Verbesserung der Energieeffizienz stimmt. Vor zwanzig Jahren gab es rund 300.000 deutsche Kreuzfahrtpassagiere. 2018 waren es 2,23 Millionen, ein Zuwachs um mehr als das Siebenfache. Selbst bei einer Einsparung von 70 Prozent je Passagier hat sich der CO2-Gesamtausstoß der deutschen Kreuzfahrtindustrie in dem Zeitraum mehr als verdoppelt.

Erklärtes Ziel: 2030 sechs Millionen Deutsche auf Kreuzfahrt

Die Masse macht's eben. Und die möchte die Branche gern noch vergrößern. Das erklärte Ziel ist, im Jahr 2030 sechs Millionen Deutsche auf Kreuzfahrt zu schicken. "Nach einer von uns in Auftrag gegebenen BAT-Studie haben nur acht Prozent der Deutschen bisher eine Kreuzfahrt gemacht. Aber 34 Prozent können sich vorstellen, eine zu unternehmen", erklärt Wybcke Meier, die Geschäftsführerin von TUI Cruises, im Interview mit Panorama 3 am Rande des Kreuzfahrt-Kongresses in Hamburg. Die Branche sieht also noch viel unerschöpftes Potenzial.

Das Wachstum der Passagierzahlen will man mit günstigen Angeboten erreichen. Teurer Umweltschutz stört da. Um zu wissen, was das bedeutet, genügt ein Blick in den Hamburger Hafen. Am Kreuzfahrtterminal Altona steht seit 2016 eine Landstromanlage zur Verfügung. Die Idee dahinter, die den Steuerzahler mehr als 10 Millionen Euro kostete: während ihres Aufenthalts in Hamburg sollen die Schiffe ihren Betrieb mit sauberem Strom von Land gewährleisten. Fakt ist, dass von 40 Kreuzfahrtschiffen, die Hamburg anlaufen, gegenwärtig nur eines die Anlage in Altona nutzt. Die übrigen 39 stellen ihren Strom mit Dieselgeneratoren an Bord und, in wenigen Fällen, mit LNG her und verpesten so die Luft in der Stadt. Das kostet die Reedereien weniger Geld, die Stadtbewohner kann es die Gesundheit kosten.

Hamburg ist übrigens die Stadt, die außer dem Hafen auch eine "Europa-Passage", eine "Gänsemarkt-Passage" und eine "Hanse-Passage" ihr eigen nennt.

Landstrom - auf Kosten der Steuerzahler?

Der Senat und die Regierungen der anderen Küstenländer wollen im Mai mit dem Bundeswirtschaftsministerium überlegen, wie sie den Preis des Landstroms für die Kreuzfahrtreedereien senken können. Möglicherweise wird Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), dem ehemaligen Ersten Bürgermeister von Hamburg, noch ein Einfall kommen, wie der Staat die Stromversorgung der Schiffe mit weiterem Steuergeld unterstützen kann.

Die Reedereien verweisen auf ihre unablässigen Anstrengungen für den Umwelt- und Klimaschutz. Bis 2030 wolle man den CO2-Ausstoß um weitere 40 Prozent senken. Das ist als relativer Wert gemeint, der sich auf den Durchschnittsverbrauch der Flotte und der Passagiere bezieht (von denen es dann allein aus Deutschland sechs Millionen geben soll). Wie diese zusätzliche Steigerung der Energieeffizienz konkret erreicht werden soll, sagt die Branche nicht. Die Ankündigungen, irgendwann in der Zukunft werde es besser, sind unverbindlich.

Die Einführung von Flüssiggas (LNG) als Treibstoff könne helfen, heißt es in einer Pressemitteilung, die der Branchenverband CLIA am 7. März verbreitete. Dabei hat Ole von Beust (CDU), ein anderer ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg und gegenwärtig Lobbyist für Flüssiggas, in seiner Ansprache auf dem Kreuzfahrt-Kongress eingeräumt, dass die Nutzung von LNG die Klimabilanz der Kreuzfahrt nicht verbessere.

Ökologisches Feigenblatt? Überflüssig

Fliegen sei noch klimaschädlicher, erklärt der Kreuzfahrtverband CLIA gegenüber Panorama 3. Das ist richtig. Leider ist es so, dass Kreuzfahrten häufig am anderen Ende der Welt beginnen. Viele Passagiere fliegen zunächst auf eine Karibikinsel, nach Dubai oder Singapur, um dann ein Kreuzfahrtschiff zu besteigen.

"Wir wollen unseren ökologischen Fußabdruck so gering wie möglich halten", sagt Kreuzfahrt-Managerin Wybcke Meier. Die beschriebene Lage an den Hamburger Terminals und die genannten Zahlen reichen aus, um die Aussage einzuordnen. Andere Branchen betreiben "Greenwashing". Sie stellen sich grüner dar, als sie sind. Manchmal ist es nicht so leicht, die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit nachzuweisen. Bei der Kreuzfahrtbranche ist es anders. Sie hat nicht einmal ein Feigenblatt.

Die Analyse der Branchenstrategen scheint eiskalt. Die Kreuzfahrtindustrie braucht kein Feigenblatt. Die Passagiere kommen auch so. Sie folgen sogar dem jüngsten Trend begeistert: Kreuzfahrten in die Polarregionen. Auf der Hamburger Touristik-Messe im Februar hat Panorama 3 beobachtet, wie das läuft. Marketing-Experten der Reedereien präsentieren Bilder von Eisbären und Pinguinen. Entdecken Sie die wunderbare Tierwelt in Arktis und Antarktis! "25.000 Touristen" habe er schon "zum geografischen Nordpol gebracht", erklärt stolz der "Expeditionsleiter" einer Reederei. Gleichzeitig gaukelt die Branche jedem einzelnen Passagier vor, "ein Entdecker" zu sein.

Vom Nordpol zum Südpol ist's nur ein Katzensprung

"Ein No-Go" seien Kreuzfahrten in die Polarregionen, sagt Malte Siegert vom Nabu. "Die Polkappen schmelzen in rasender Geschwindigkeit. Die Schiffe verteilen Ruß über das Eis und beschleunigen so den Prozess", erklärt der Umweltexperte.

Vom Klimawandel, der nirgendwo so sichtbar ist wie in der Arktis, fällt bei den Werbevorträgen der Reedereien in den Hamburger Messehallen kein Wort. Die Kundschaft beißt an. "Das war ein wunderbarer Tag. Wir wurden heute überrannt", sagt Marcel Schütz von "Polar-Reisen". Anbieter und Kunden scheinen sich einig zu sein: der letzte Eisbär und der letzte Pinguin werden nicht zugrunde gehen, bevor jeder Deutsche sich persönlich im Rahmen einer Kreuzfahrt von ihm verabschiedet hat.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 30.04.2019 | 21:15 Uhr

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