Klärschlamm: Kein Platz mehr für den letzten Dreck
Wenn Christian Mattke in die Klärschlammlagerhalle in Verden (Aller) sieht, dann macht er sich große Sorgen. Schon heute liegt hier auf dem Gelände der Kläranlage deutlich mehr Klärschlamm, als in den vergangenen Jahren üblich und täglich wird es mehr. Um noch mehr Klärschlamm lagern zu können, wurden Stahlbetonstützen am Eingang der Halle installiert. Bis September reicht dieses Lager noch aus. Dann muss es eine neue Zwischenlagermöglichkeit geben, doch wo die sein soll, ist bisher nicht ganz klar. Christian Mattke versucht seit Monaten einen Entsorger für den Klärschlamm zu finden. "Wir haben eine öffentliche Ausschreibung gemacht und auf diese Ausschreibung hin, haben wir kein Angebot bekommen." Nicht ein Entsorger bot an, der Stadt Verden den Klärschlamm abzunehmen.
"Notstand" in Niedersachsen
So sieht es auch in anderen Kläranlagen im Norden aus. Ralf Hilmer vom Brancheverband DWA (Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall) spricht bezogen auf Niedersachsen von einem "Notstand". Eine Umfrage unter kommunalen Kläranlagenbetreibern in Niedersachsen ergab, dass für 120.000 Tonnen an feuchtem Klärschlamm (Originalsubstanz) aktuell keine gesicherte Entsorgungsmöglichkeit mehr besteht. Ende des Jahres laufen nochmal Entsorgungsverträge mit einem Umfang von 135.000 Tonnen (Originalsubstanz) aus, für die es bisher ebenfalls noch keine vereinbarte Lösung gibt. Alles zusammen entspricht diese Menge rund 12.750 LKW-Ladungen.
Durch die angespannte Lage haben sich die Entsorgungskosten für Klärschlamm in Niedersachsen seit 2015 nahezu verdoppelt. Mancherorts im Norden haben sich die Kosten sogar vervierfacht. So zum Beispiel in Kellinghusen bei Itzehoe. "Es wird sicherlich in der Konsequenz so sein, dass wir die Abwasserpreise natürlich erhöhen müssen", sagt der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde, Peter Löbel (CDU). Das heißt: Der Gebührenzahler, also der Bürger zahlt wahrscheinlich künftig mehr.
Wohin mit dem Klärschlamm?
Die Ursache für diese aktuelle Situation hat auch mit den Landwirten zu tun. Denn im Norden wurden bisher rund zwei Drittel der Klärschlämme über die Landwirtschaft entsorgt. Das bedeutet, sie wurden als Dünger auf die Felder gebracht. Doch seit Monaten wollen viele Landwirte den Klärschlamm nicht mehr haben. Der Grund dafür steckt in der 2017 novellierten Düngeverordnung. Damit wurden die Vorschriften deutlich verschärft. Viehhaltende Betriebe können nun beispielsweise laut DWA "kaum noch zusätzliche Mengen am organischen Fremddüngern aufnehmen." Viele Landwirte sind jetzt erstmal damit beschäftigt, ihre eigene Gülle, Mist oder Gärreste auf die Flächen zu bringen.
Die Alternative zur landwirtschaftlichen Entsorgung ist die Verbrennung des Klärschlamms. Besonders Braunkohlekraftwerke verbrennen den Klärschlamm mit. Doch diese Anlagen liegen vom Norden aus gesehen hunderte Kilometer entfernt. Sogenannte Monoverbrennungsanlagen nur für Klärschlamm gibt es im Norden kaum. Nur in Hamburg steht ein großer Verbrennungsofen. "Unsere Anlage ist voll ausgelastet, insofern können wir nichts zusätzlich annehmen", sagt Christoph Czekalla von Hamburg Wasser, dem Eigentümer der Verbrennungsanlage.
Zu wenig Verbrennungsanlagen im Norden
Allerdings fordert die jüngst novellierte Klärschlammverordnung, dass größere Kläranlagen ab 2029 (ab 100.000 Einwohnerwerten) bzw. 2032 (ab 50.000 Einwohnernwerten) ihren Klärschlamm komplett verbrennen müssen. Damit soll verhindert werden, dass für die Umwelt negative Substanzen aus dem Klärschlamm, wie zum Beispiel Medikamentenrückstände oder Schwermetalle, auf die Felder gelangen. In Ballungsräumen wird allgemein mit einem größeren Aufkommen von Schwermetallen gerechnet, da dort in größeren Mengen auch industrielle Abwässer im Klärwerk landen.
Monoverbrennungsanlagen werden daher im Norden dringend benötigt. Aktuell sind sieben Projekte in Planung. Der Bau kann allerdings einige Jahre dauern, meint auch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). Er hofft, dass 2021 die erste Anlage im Land ihre Arbeit aufnimmt. Ob das so kommt, ist fraglich. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken will der Umweltminister den Bau von Zwischenlagerkapazitäten vereinfachen. Olaf Lies streitet nicht ab, dass die Verbrennungsanlagen schon früher hätten geplant und gebaut werden können. Jetzt komme alles zusammen. "Natürlich ist es an der Stelle mehr Aufwand den wir haben, weil wir eben neben der Schaffung von Verbrennungskapazität auch Lagerkapazität schaffen müssen."
In Kellinghusen versuchen Sie jetzt die explodierenden Entsorgungskosten mit einer neuen Trocknungsanlage wieder in den Griff zu bekommen. Trockener Klärschlamm lässt sich länger lagern. Und es gibt noch einen Vorteil: "Die Kosten für Transport und Entsorgung werden nach Tonnen berechnet. Ein getrockneter Klärschlamm ist natürlich deutlich leichter, weil er dann weniger Wasseranteil hat", meint Peter Löbel. Im kommenden Jahr soll die Anlage stehen.