Kein Konzept gegen Kinderarmut
Das Kinderbett kommt vom Sperrmüll, ebenso das Schubladenschränkchen. Das Regal und der Tisch sind geschenkt genau wie die Kisten für das Kinderspielzeug. "Neu gekauft ist in diesem Zimmer fast nichts", sagt Daniela Z. Die ehemals weißen Wände dekorieren mittlerweile braune Flecken, dort wo ihre Tochter Angelique immer angefasst hat. Wie in fast allen Zimmer liegt die letzte Renovierung etliche Jahre zurück. Eine neue steht nicht an - denn Daniela Z. fehlt das Geld.
Mit ihren drei Kindern lebt die alleinerziehende Mutter in Rendsburg. Sie leben von Hartz IV, so wie 1,64 Millionen Mädchen und Jungen in Deutschland unter 15 Jahren. Die Kinderarmut steigt wieder. Die Anzahl der Hartz-IV-Empfänger hingegen ist nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit seit 2012 konstant.
Fast jedes dritte Kind von Armut bedroht
In manchen Regionen Norddeutschlands, wie Bremen oder Mecklenburg Vorpommern, ist fast jedes dritte Kind von Armut bedroht. In einzelnen Stadtteilen liegt dieser Anteil sogar weit höher. Oft fehlt es an Selbstverständlichkeiten wie einer warmen Mahlzeit. In Norddeutschland versuchen private Initiativen zu helfen. Sie setzen da an, wo das Elternhaus versagt und der Staat nicht eingreift. In Schwerin zum Beispiel gleicht der pädagogische Mittagstisch diesen Mangel aus. Eine Mahlzeit kostet die Kinder hier 30 Cent - der Rest wird durch Spenden finanziert. In Bremerhaven-Lehe hängen in einigen Bezirken laut Lothar Wehrheim über 60 Prozent der Kinder von von Hartz-IV-Leistungen ab. Seit elf Jahren versucht er mit dem Verein Rückenwind e.V. diesen Kindern Selbstbewusstsein zu geben und eine Perspektive aufzubauen. "Wir wollen die Kinder stark machen, ihnen das Gefühl geben: Ich kann das", sagt er.
"Das zerreißt mir das Herz"
Doch auch berufstätige Eltern sind kein Garant für eine Kindheit ohne Geldsorgen - das erlebt auch die 13-jährige Laura aus Kiel. Ihre Mutter Antje S. ist ausgebildete Altenpflegerin, trotzdem reicht das Geld nicht. S. spart, wo sie nur kann: Kleidung oder Möbelstücke bekommt sie häufig von Arbeitskolleginnen oder Freunden geschenkt, jeder Einkauf wird penibel geplant. "Sie rechnet immer aus, wie viel jetzt der Einkauf kostet, damit sie weiß, wie viel wir ausgegeben haben", sagt Laura. Wenn die 13-Jährige merkt, dass das Geld am Ende des Monats knapp ist, hilft sie ihrer Mutter mit eigenem Erspartem aus. Für Antje S. sind das schlimme Momente. "Sie bietet mir an, das Geld aus ihrer Sparbüchse zu nehmen. Das zerreißt mir das Herz", sagt sie.
Kein übergreifender Aktionsplan gegen Kinderarmut
Trotz vieler Initiativen vor Ort, gibt es in Deutschland keinen übergreifenden Aktionsplan gegen Kinderarmut. In der Großen Koalition ist Kinderarmut kein Thema, im Koalitionsvertrag taucht es mit keinem Wort auf. Dabei waren von Armut bedrohte Kinder vor einem Jahr noch eine Herzensangelegenheit für die SPD. In einer kleinen Anfrage an die damalige CDU/FDP Koalition kritisierte die SPD Fraktion, es fehle an einer kohärenten Strategie um Familien- und Kinderarmut zu bekämpfen. Doch auch in der Großen Koalition ist diese Strategie nicht in Sicht. Auch die Kinderbeauftragte der SPD, Susann Rüthrich, bedauert, wenn der Staat seine Verantwortung für die Kinder immer mehr an private Initiativen abgibt.
Der DGB fordert ein Sonderprogramm gegen Kinder- und Familienarmut: Eltern müssten eine neue berufliche Perspektive erhalten, damit die Kinder nicht in eine Hartz-IV-Spirale geraten. Daniela Z. und Antje S. fühlen sich oft mit ihren Problemen allein gelassen, sie würden sich mehr Unterstützung vor allem für ihre Kinder wünschen. "Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen, man möchte gern noch mehr tun und noch mehr schaffen, aber es ist ein langwieriger Prozess, und man hat das Gefühl, man schafft immer nur ganz kleine Schritte", sagt Antje S.