Justiz-"Deals" nur unter strengen Auflagen
Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittenen Absprachen im Strafprozess, die so genannten "Deals", grundsätzlich gebilligt. Allerdings müssten sich Richter und Staatsanwälte stärker an Recht und Gesetz halten. Es gebe ein "erhebliches Vollzugsdefizit". Die Verfassungsrichter kritisierten, dass sich die gerichtliche Praxis "in erheblichem Umfang" über die gesetzlichen Regelungen aus dem Jahr 2009 hinwegsetze. Panorama 3 hatte erst letzte Woche berichtet, dass immer noch zahlreiche Absprachen in den Hinterzimmern der Gerichte getroffen werden.
Vorwurf der "Hinterzimmer-Justiz"
Bei Absprachen stellt das Gericht einem Angeklagten im Normalfall eine mildere Strafe in Aussicht - für den Fall, dass er ein Geständnis ablegt. Dieser "Rabatt" liegt in der Regel bei rund einem Drittel der sonst drohenden Strafe. Seit Jahrzehnten wird so zwischen Richtern, Staatsanwälten und Verteidigern um Urteile geradezu geschachert - kaum bis gar nicht nachvollziehbar. Um den Vorwurf der Hinterzimmer-Justiz loszuwerden, gibt es seit knapp vier Jahren ein Gesetz, das vorschreibt, dass Deals öffentlich und transparent getroffen werden müssen und die Entscheidung dokumentiert wird.
Doch manch ein Richter dealt einfach weiter im Verborgenen und trifft "informelle Urteilsabsprachen". Das zeigt auch eine Studie, die das Bundesverfassungsgericht in Auftrag gegeben hatte. Sie kommt zu dem schockierenden Schluss, dass von einer großen Gruppe von Richtern das Gesetz komplett ignoriert werde. Mehr als die Hälfte der befragten Verteidiger berichtete der Studie zufolge von Fällen, in denen Angeklagte ein wahrscheinlich falsches Geständnis abgelegt hätten, um eine drohende hohe Strafe zu drücken.
Urteil gegen ehemaligen Polizisten aufgehoben
So wie im Fall von Jens Rohde, über den Panorama 3 berichtet hatte. Dem 34-jährigen ehemaligen Polizisten wurde vorgeworfen, einem Händler Schwarzmarkt-Zigaretten abgenommen zu haben, um sie für sich zu behalten. Da die Polizisten bei der Kontrolle des Mannes Dienstwaffen getragen hatten, lautete der Vorwurf: schwerer Raub.
In einer Verhandlungspause soll der Vorsitzende Richter dem Anwalt des angeklagten Polizisten ein Angebot gemacht haben: Bei Geständnis eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren, andernfalls vier Jahre Gefängnis. Die Drohung mit der langen Haftstrafe, sagte Rohde, habe ihn dazu bewegt zu gestehen - obwohl er unschuldig sei: "Die Wahl war keine Wahl. Das war wie die Pistole auf die Brust gesetzt. Du musst dich für eines entscheiden. Pest oder Cholera. Vor diesem Hintergrund verliert man den Glauben, verliert man auch die Kraft zu kämpfen und ich habe dann gestanden, was es niemals gab."
Er wurde wie verabredet verurteilt und aus dem Polizeidienst entlassen. Nach dem Urteil widerrief er sein Geständnis. Das Bundesverfassungsgericht hob u.a. auch das Strafurteil gegen Jens Rohde auf. Er habe kein faires Verfahren bekommen, der Fall müssen wie zwei weitere neu aufgerollt werden.
Kein konkreter Auftrag an den Gesetzgeber
Gleichzeitig forderten die Verfassungsrichter den Gesetzgeber auf, "die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten" und gegebenenfalls nachzubessern. Dies sei nicht nur ein Hinweis an die Politik, sondern "eine sehr ernst gemeinte Mahnung an alle Akteure in einem Strafverfahren".
In Panorama 3 hatte bereits Siegfried Kauder (CDU), Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag, gefordert, dass die bisherige Deal-Praxis nicht weiter hingenommen werden könne: "Wenn man sieht, dass die Verfahrenswirklichkeit den Verfahrensvorschriften nicht entspricht, kann man nicht sagen, das Gesetz ist in Ordnung nur der Rest funktioniert nicht. Dann muss man halt dafür sorgen, dass die Gesetze so angewendet werden, wie es der Gesetzgeber will."