Im Verborgenen: Urteile ohne Volkes Wissen
Wenn es rechtlichen Ärger gibt, dann zieht man vor Gericht. Dort gibt man den Fall in die Hände unabhängiger Richter, die nach Recht und Gesetz über den Fall beraten und entscheiden. So will es die demokratische Grundordnung und die Regel der Gewaltenteilung.
Dass es international noch eine weitere Gerichtsbarkeit gibt, ist den meisten eher unbekannt. Denn diese Gerichtsbarkeit ist nicht für jedermann anzurufen und zu nutzen. Ihre Organe sind Schiedsgerichte, besetzt mit drei Juristen. Diese werden angerufen, wenn große Konzerne ganze Länder beklagen wollen - jenseits der nationalen Gerichtsbarkeit und jenseits nationaler Kontrollen. Ihre Arbeit sei, so Kritiker, intransparent, ihre Urteile aber unwiderruflich und bindend.
Vattenfall zieht doppelt vor Gericht
Ein Beispiel: Nach der Katastrophe von Fukushima verkündet die Bundesregierung den sofortigen Beginn der Energiewende. Die Atommeiler sollen vom Netz, je schneller desto besser. Das gilt auch für den Vattenfall-Meiler Krümmel an der Elbe bei Hamburg. Dieser war damals bereits runtergefahren und wurde nach dieser Entscheidung gleich ganz stillgelegt. Vattenfall zieht vor Gericht.
In Deutschland und - zur Sicherheit - auch noch vor das Schiedsgericht der Weltbank. Doppelt hält offenbar besser, denn immerhin geht es angeblich um mehr als drei Milliarden Euro Entschädigungszahlungen, die Vattenfall von Deutschland und damit vom deutschen Steuerzahler erstattet bekommen will.
Was ist "gerecht und fair"?
Möglich macht diesen Schritt ein sogenanntes Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und dem schwedischen Energiekonzern. Der Vorteil für Vattenfall: Während in Deutschland nach nationalem Gesetz geurteilt wird, gilt bei Schiedsgerichten das Völkerrecht. Und manche völkerrechtlichen Regelungen, wie eben auch die Investitionsschutzabkommen sind recht offen formuliert.
Dort heißt es dann auch schon mal, die Unternehmen müssten im jeweiligen Land "gerecht und fair" behandelt werden. Was das heißt, ist Auslegungssache und wird von den drei Mitgliedern des Schiedsgerichtes in jedem Fall einzeln beurteilt.
Das Rechtssystem wird umgangen
Kritiker sehen diese Gerichtsbarkeit skeptisch, so wie der Völkerrechtler Prof. Markus Krajewski von der Universität Erlangen-Nürnberg: "Das Problem besteht darin, dass wir hier ausländische Unternehmen haben, die ein funktionierendes Rechtssystem umgehen können und sich auf diese Weise Vorteile verschaffen können, die andere nicht haben", so der Experte. "Sie können Druck ausüben auf politische Entscheidungen, die in einem ordentlichen Verfahren so nicht stattfinden könnten."
Zum Beispiel Moorburg
Und oft reicht allein dieser Druck, um politische Entscheidungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Beispiel: Das Hamburger Steinkohlekraftwerk Moorburg. 2009 verklagte Vattenfall die Bundesrepublik, da der damals Schwarz-Grüne Hamburger Senat die Umweltschutzrichtlinien für das geplante Kraftwerk verschärfen wollte.
Im Raum standen mögliche Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe. Ausgang des Verfahrens ungewiss. Es reichte letztlich die Drohung. Schon vor Beginn der mündlichen Verhandlung einigte sich der Vertreter des Bundes mit dem Vertreter des Energiekonzerns und die Auflagen wurden nicht verschärft.
Auch deutsche Unternehmen profitieren
So wird die Schiedsgerichtsbarkeit ein probates Mittel politischer Beeinflussung: Gab es 1996 noch 38 solcher Fälle waren es 2011 schon 413. Nutznießer: auch deutsche Firmen. Denn auch sie unterzeichnen Investitionsschutzabkommen für ihre Tätigkeiten im Ausland – und wissen die Möglichkeit zu ihrem Recht zu kommen durchaus zu schätzen und zu nutzen.