Stand: 28.01.2020 06:00 Uhr

Gesundheitsgefahr: Giftige Schadstoffe in Containern

von Nils Naber

Ingo Buse zieht sich auf einem Lagerei-Gelände im Hamburger Hafen die Gasmaske über das Gesicht. Dann greift er sein Messgerät und nähert sich einem Container. Er drückt die beiden schweren Stahltüren auf, vor ihm stapeln sich Pappkisten bis unter die Decke. Das Gerät schlägt sofort Alarm. "Also, in dem Container ist die Luft so belastet, dass man nicht ohne Atemschutz da drinnen arbeiten könnte", sagt der Messtechniker. Buse lässt die Türen des Containers offen stehen und wartet.

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Zu schlechte Luft zum Arbeiten

Nach ungefähr einer Viertelstunde misst er wieder. Noch immer ist die Luft zu schlecht, um die Kisten aus dem Container holen zu können, wieder muss er warten. Die Schadstoffe in der Containerluft stammen von Ausdünstungen aus Angel-Zubehör. Die Ware kommt direkt aus China. Erst nach einer halben Stunde kann die erste Lage von Paketen, direkt hinter der Containertür, entnommen werden. Dann ist wieder Pause angesagt. Die Luft dahinter ist schon wieder zu schlecht, um dort arbeiten zu können. So geht es über Stunden weiter.

Tägliche sind Hunderte Container stark belastet

Torsten Ollesch © NDR
Warnt vor "akut toxischen Symptomen": Diplom-Chemiker Torsten Ollesch.

Je nachdem woher die Import-Container kommen, kann die Luft in offenbar bis zu 20 Prozent der Container so hoch mit Schadstoffen belastet sein, dass Arbeitsplatz-Grenzwerte überschritten werden. "Etwa ein bis zwei Prozent der Container sind so hoch belastet, dass man mit akut toxisch Symptomen rechnen muss", sagt Chemiker Torsten Ollesch, der auch Schadstoff-Messungen an Containern im Hamburger Hafen durchführt. Er schätzt, dass ungefähr 300 Container pro Tag in Hamburg sehr stark belastet sind.

"Man nimmt die Schadstoffe gar nicht wahr"

Xaver Baur, ehemaliger Direktor des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin in Hamburg © NDR
Xaver Baur beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Folgen der Schadstoffe für die Gesundheit.

Professor Xaver Baur, ehemaliger Direktor des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin in Hamburg, beschäftigt sich schon seit Jahrzehnten mit den Folgen der Schadstoffe für die Gesundheit. "Viele dieser Substanzen, das betrifft sowohl die Begasungsmittel als auch die Industrie-Chemikalien, sind farb- und geruchlos. Das heißt, man nimmt sie gar nicht wahr. Man nimmt erst die Symptome war, die diese Substanzen auslösen." Wie stark die Auswirkungen sind, hängt davon ab, wie lange und intensiv jemand den Schadstoffen ausgesetzt ist. Es kann mit Beschwerden am Atemtrakt losgehen. Bei starken Belastungen hat er Beeinträchtigungen des Nervensystems und der Gehirnfunktionen beobachtet. Da auch Substanzen gefunden werden, die im Verdacht stehen Krebs auszulösen, können die Folgen potentiell tödlich sein. "Die Krebserkrankungen dauern Jahre bis Jahrzehnte, bis sie in Erscheinung treten. Das Problem ist, dass man dann einen Zusammenhang zu der Arbeit im Container nach vielen Jahren kaum mehr herstellen kann", erklärt Baur.

Vorgeschriebene Kennzeichnung fehlt oft

Für Container, die aktiv begast werden, um Schädlinge zu bekämpfen, gelten strikte Regeln. Diese Container müssen außen gekennzeichnet werden. Allerdings fehlen diese Hinweise offenbar vielfach bei Containern, die in europäische Häfen ankommen. Das ergab eine Studie der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Container, bei denen Industrie-Chemikalien während der wochenlangen Überfahrt, beispielsweise aus China, innerhalb der fast luftdichten Container aus den Produkten ausdünsten, müssen gar nicht gesondert gekennzeichnet werden. Hier gleicht jeder Container mehr oder weniger einer "Wundertüte". Der Zoll setzt daher zum Schutz der Mitarbeiter Messgeräte ein. Bevor eine Warenprobe entnommen wird, wird die Luft im Container gemessen. Ist die Belastung zu hoch, verlangt der Zoll eine Lüftung des Containers.

Hohe Dunkelziffer

Da der Zoll allerdings nur stichprobenhaft Container kontrolliert, dürfte es hier eine hohe Dunkelziffer geben. "Wir kratzen an der Spitze des Eisbergs", schätzt Gutachter Torsten Ollesch. Er glaubt, dass vielfach Arbeiter in die Container geschickt werden, ohne dass sie wissen, welche Schadstoffe sie während ihrer Arbeit aufnehmen. Das schließt er aus seiner tagtäglichen Erfahrung im Hafen. Vielfach wären Osteuropäer oder Nordafrikaner im Einsatz. "Wenn diese Leute tatsächlich ausfallen, wenn sie krank sind, verschwinden sie einfach und werden ersetzt durch andere Mitarbeiter." Um einen möglichst reibungslosen Warenfluss hinzubekommen, würden Unternehmen vorhandene Regeln einfach nicht beachten. Die Arbeiter selbst wissen offenbar vielfach nichts von den Gefahren.

Kaum Kontrollen vor Ort

Schadstoffbelasteter Container © NDR
In Containern ist die Luft häufig derart stark mit Schadstoffen belastet, dass Arbeitsschutz-Grenzwerte überschritten werden.

Die Arbeitsschutz-Behörden im Norden verweisen auf die Verantwortung der Arbeitgeber für den Schutz der Mitarbeiter. Allerdings führen die Behörden nahezu keine Kontrollen vor Ort bei Logistik-Unternehmen durch. Das ergab eine Recherche von Panorama 3. Im ganzen Norden hat es in den vergangen fünf Jahren offenbar nur in einem Fall eine Kontrolle vor Ort gegeben. Davon berichtet das niedersächsische Sozialministerium. Grund dafür wäre eine Beschwerde gewesen. Die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz berichtet von "Systemkontrollen" bei den Unternehmen. Dabei werde die "'Papierlage' im Betrieb abgefragt und stichprobenartig mit der Umsetzungssituation vor Ort abgeglichen". Allerdings nehme die Behörde "an Öffnungen von Containern grundsätzlich nicht teil." Auch in Mecklenburg-Vorpommern wird laut Landesamt für Gesundheit und Soziales "nicht kontrolliert". Die für Arbeitsschutz in Schleswig-Holstein zuständige UK Nord stellt fest, das Thema habe im nördlichsten Bundesland "bisher wenig Bedeutung". Allerdings liegen bei keiner angefragten Behörde Zahlen zu potentiell schadstoffbelasteten Containern vor. Es heißt unisono, dafür gäbe es keine Berichtspflichten.

"Mich bewegt diese Ignoranz"

Mit Ausnahme von Bremen hat in keinem norddeutschen Bundesland eine Arbeitsschutzbehörde im Norden in den vergangenen fünf Jahren den Zoll im Rahmen von Amtshilfe um Informationen zu potentiell Schadstoff belasteten Containern gebeten. Dabei wäre das durchaus möglich. André Lenz von der Generalzolldirektion erklärt: "Sofern die erbetenen Informationen keine personenbezogenen Daten enthalten, ist die Übermittlung durch die Zollbehörden ohne weiteres zulässig." Weil die belasteten Container sehr wahrscheinlich vielfach nicht entdeckt werden, landen die Schadstoffe, besonders Ausdünstungen aus Kunststoff-Produkten, am Ende auch in Lagerhäusern oder sogar beim Verbraucher zu Hause. Das Thema ist schon seit Jahren bekannt. Arbeitsmedizin-Experte Baur ist deshalb frustriert: "Mich bewegt diese Ignoranz" - bei Produzenten, Händlern und der Politik.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 28.01.2020 | 21:15 Uhr

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