Ein weißer Arztkittel hängt in einer Arztpraxis an einem Haken an der Tür. © dpa - Report Foto: Frank May

Fachkräftemangel bringt Arztpraxen in Not

Stand: 18.01.2022 15:00 Uhr

Arztpraxen finden kaum noch Medizinische Fachangestellte. Ein Grund: Der geringe Lohn bei einer hohen Arbeitsbelastung. In der Pandemie stehen sie zusätzlich unter Druck - einen Corona-Bonus sollen sie trotzdem nicht bekommen.

von Marie Blöcher & Timo Robben

Laura Lüth
Laura Lüth, Geschäftsführerin des Gesundheitszentrums Silberstedt, musste die Öffnungszeiten des Zentrums verkürzen.

Am Eingang des Gesundheitszentrums Silberstedt weist seit kurzem ein Schild auf veränderte Sprechzeiten hin: Freitagnachmittag bleibt das Zentrum vorerst geschlossen. Der Grund: Eine der medizinischen Fachangestellten (MFA) ist ausgefallen. Und hier kann im Moment auf niemanden verzichtet werden. Zu hoch ist das Arbeitspensum und zu knapp das Personal.

Und die Situation könnte sich jederzeit weiter verschärfen, sagt Geschäftsführerin Laura Lüth. "Es ist unglaublich schwierig, gerade Krankheit, Schwangerschaft oder ähnliche Sachen abzubilden. Es ist sowieso schon knapp an Kapazitäten. Und dann ist es noch eine Mehrbelastung." Sie wisse gar nicht, wie die zunehmend aufgebauten Überstunden abgebaut werden könnten. Personal zu finden sei sehr schwer, da sie auf die ausgeschriebenen Stellen kaum Bewerbungen bekommen hätten, erzählt Lüth.

Substanzielle Personalprobleme auch in Zukunft

2019 haben sich hier im Kreis Schleswig-Flensburg mehrere Ärzt*innen zusammengeschlossen. Grund dafür war ein Ärztemangel in der Region und auch bei den Angestellt*innen wurden so zunächst personelle Synergien geschaffen. Und trotzdem haben sie hier nicht genug MFA, um dem Patientenansturm gerecht zu werden. Mit der Pandemie wurden die Anforderungen an das Praxispersonal noch größer. Nicht zuletzt wegen der Impfungen, die hier seit Monaten zusätzlich zum Alltagsgeschehen laufen. Weil sie keine ausgebildeten MFA mehr finden, sucht das Zentrum jetzt sogar nach Personal aus dem kaufmännischen Bereich - um den medizinischen Fachangestellten zumindest die Bürokratie abzunehmen.

Medizinische Fachangestellte protestieren
Vor allem die Arbeitsbedingungen und das geringe Gehalt der MFA schrecken viele junge Menschen ab.

Der MFA-Fachkräftemangel schlägt nicht nur hier in Silberstedt durch. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hat im August 2021 eine repräsentative Studie zum Thema Fachkräftemangel in den Arztpraxen veröffentlicht. Von 5300 befragten Praxen melden rund 15 Prozent ein verkürztes Leistungsangebot aufgrund von Personalmangel. Zwei Drittel der Praxen rechnen auch künftig mit substanziellen Personalproblemen. Die Studie offenbart auch Abwanderungstendenzen des Fachpersonals. So geben die befragten Ärzt*innen an, dass 54 Prozent der eigens ausgebildeten Fachkräfte in andere Berufe oder in Kliniken abwandern. Ersatz zu finden, ist schwierig.

"Sie sind der Garant für den Impferfolg"

Dr. Thomas Maibaum, Facharzt für Allgemeinmedizin © Screenshot
Dr. Thomas Maibaum, Facharzt für Allgemeinmedizin, sorgt sich um die künftige Versorgung seiner Patient*innen.

Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Thomas Maibaum hat anderthalb Jahre nach einer neuen MFA für seine Praxis in Rostock gesucht. Die freie Stelle konnte er mittlerweile besetzen - doch er sorgt sich mit Blick auf die Zukunft. Wenn der Markt an qualifizierten MFA so bleibe, werde es immer schwieriger künftige freie Stellen wieder zu besetzen. Irgendwann müsste er dann einen Aufnahmestopp für Patient*innen umsetzen. Gerade in dem Stadtteil, in dem seine Praxis liegt, sei das ein Problem - denn Praxen sind hier rar und die Anbindung an das Rostocker Zentrum schwierig. "Wir können dann nicht mehr alle Patienten aufnehmen, alle Patienten versorgen und häufig genug trifft das die Schwächsten."

Vor allem die derzeitigen Arbeitsbedingungen der MFA würden es schwierig machen, junge Menschen für den Job zu begeistern, sagt Hannelore König, die Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe. Hauptgründe seien eine zu geringe Vergütung und eine zu hohe Arbeitsbelastung. Und die Pandemie verlangt den Beschäftigten noch mehr ab. "Sie sind der Garant für den Impferfolg. Das ist den medizinischen Fachangestellten zuzurechnen, die wirklich im November und Dezember noch mal alles gegeben haben, weit über ihre Grenzen gegangen sind, deutliche Mehrarbeit geleistet haben und auch einfach kaputt sind."

Dringender Handlungsbedarf

Dr. Dirk Heinrich, HNO-Arzt © Screenshot
"Wenn sich gar nichts tut, werden wir einen zunehmenden Mangel an medizinischen Fachangestellten haben", sagt HNO-Arzt Dirk Heinrich.

Einen Corona-Bonus sollen die MFA im Gegensatz zu den Pflegekräften allerdings nicht bekommen, wie das Bundesgesundheitsministerium kürzlich erklärte. Darüber hinaus sehe man im Ministerium die Verantwortung bei den Ärzten für adäquate Löhne und Arbeitsbedingungen zu sorgen. Um ihre Angestellt*innen zu halten, zahlen viele Ärtzt*innen mittlerweile selbst Boni. Laut der Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung gaben knapp zwei Drittel der Praxen an, Sonderzahlung und Zuschläge gewährt zu haben. Während der Corona-Pandemie sind demnach außerdem von über zwei Dritteln steuerfreie "Corona-Sonderzahlungen" ausbezahlt worden.

Dr. Dirk Heinrich, selbst HNO-Arzt und Sprecher des Virchowbundes sieht dringenden Handlungsbedarf - das Bundesministerium für Gesundheit müsse einen Corona-Bonus für MFA zahlen und die Krankenkassen müssten die höheren Gehälter refinanzieren. "Wenn sich gar nichts tut, werden wir einen zunehmenden Mangel an medizinischen Fachangestellten haben." Heinrich ist der Überzeugung, dass dies die Versorgung der Patienten einschränken werde und mittelfristig zu einem Praxissterben in Deutschland führe, da man ohne medizinische Fachangestellte keine Praxis führen könne. "Die Kolleginnen und Kollegen werden dann sagen 'na, dann kann ich mich eben nicht niederlassen. Dann bleibe ich im Krankenhaus'. Und dann bricht der Versorgungsbereich am Ende des Tages zusammen."

 

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