Ex-Rocker: Zeuge oder Märchenerzähler?
Es klang ein wenig nach Mafia und Hollywood: In einer Lagerhalle in Kiel sollte sich die Leiche eines Türken befinden, der seit zwei Jahren vermisst wird. Angeblich war er von den Hells Angels gefoltert, erschossen und anschließend in das Fundament des Gebäudes einbetoniert worden.
Sechs Wochen lang baut die Polizei die Halle ab, Stein für Stein - nur eine Leiche findet sie nicht. Der Tipp kam von Steffen R., einer schillernden Figur: Ex-Rocker, Ex-Spitzel, Krimineller. Und seit Anfang des Jahres: Kronzeuge der Kieler Staatsanwaltschaft. Monate später sind die Ermittlungen im Fall des mutmaßlichen Mordes an dem Türken noch immer ohne Ergebnis - dafür gibt es viele Fragen: Wo ist die Leiche? Gab es überhaupt einen Mord? Und vor allem: Wie glaubwürdig ist der Zeuge Steffen R.?
Größte Razzia der Geschichte Schleswig-Holsteins
Er selbst ist inhaftiert wegen Menschenhandels, Körperverletzung, Zuhälterei. Im Gefängnis fängt er an zu plaudern, über den mutmaßlichen Mord und andere kriminelle Machenschaften der Rocker. Seine Aussagen führen im Mai zur größten Razzia in der Geschichte Schleswig-Holsteins. Knapp 90 Bordelle, Kneipen und Wohnungen werden durchsucht - vor allem in Kiel, aber auch in Hamburg und Hannover.
Erzählt R. nur Märchen?
Mittlerweile allerdings gibt es große Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Steffen R. Denn schon in der Vergangenheit hat er den Behörden von vermeintlichen Verbrechen erzählt - die sich dann nicht nachweisen ließen. So warnte 2003 das LKA Sachsen-Anhalt alle Behörden in Deutschland vor einer Zusammenarbeit mit dem Mann: er habe sich "mehrfach als unzuverlässig erwiesen". Der Verdacht: Steffen R. erzählt Lügengeschichten, um mildere Strafen zu bekommen oder in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen zu werden.
Aussagen immer spektakulärer
Im aktuellen Fall erinnert sich der Zeuge schließlich an immer brisantere Details: Auch die Terroristen des NSU seien in Kiel gewesen, hätten mit Rockern zusammengearbeitet. Spektakuläre Informationen, die noch niemand kannte? Die Bundesanwaltschaft verhört Steffen R. und kommt zu dem Ergebnis, dass davon auszugehen sei, dass "der Zeuge bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht hat, indem er Sachverhalte frei erfunden und reale Vorgänge aufgebauscht hat". Und die Kieler Staatsanwaltschaft? Sie hält bislang an dem fragwürdigen Zeugen fest.