Eine zweifelhafte Schutzeinrichtung für Kinder und Jugendliche
Der zweifelhafte Verein "Mission Freedom" eröffnet ein Schutzhaus für Kinder und und Jugendliche, die sexuelle Ausbeutung erlebt haben. Hamburger Behörden kritisierten den Verein schon vor Jahren.
Eine Kleinstadt im Allgäu. In einer ruhigen beschaulichen Wohngegend in der Nähe eines Sees liegt das "Haus SeeNest", nach eigenen Angaben eine Hilfseinrichtung für Kinder und Jugendliche, die von sexueller Ausbeutung betroffen sind. Jugendämter aus ganz Deutschland können Betroffene, die sie in Obhut genommen haben, hier unterbringen.
Die BewohnerInnen sollen "durch traumapädagogische und traumatherapeutische Begleitung stabilisiert werden und neu zu gesellschaftlicher Teilhabe gelangen", so verspricht es die Internetseite. Träger der Einrichtung ist die relativ neu gegründete "Himmelsstürmer gGmbH" mit Sitz in Hamburg. Wie viele Jugendliche hier momentan untergebracht sind, dazu möchte der Verein keine konkreten Angaben machen, der NDR weiß von mindestens einer minderjährigen Person.
Ein Verein mit Vergangenheit
Was im ersten Moment nach einem wohltätigen Angebot klingt, wirft bei genauerem Hinsehen Fragen auf. Laut Handelsregister gehört "Himmelsstürmer" zu 100 Prozent dem Verein "Mission Freedom" aus Hamburg, auch wenn sich auf der Internetseite des Vereins zum Zeitpunkt der Recherche keine Verbindung zu dem Verein finden lässt. "Mission Freedom" steht in Hamburg seit über zehn Jahren in der Kritik.
Der Verein hilft nach eigenen Angaben volljährigen AussteigerInnen aus sexueller Ausbeutung und bringt sie in seinen Schutzhäusern in Hamburg und seit 2018 auch in Frankfurt unter. Die Hamburger Sozialbehörde, das Hamburger LKA und seriöse Hilfsorganisationen distanzieren sich allerdings von "Mission Freedom" und lehnen eine Zusammenarbeit ab, 2013 begründete die Behörde die Ablehnung in einer kleinen Anfrage.
Darin heißt es, das Konzept von Mission Freedom entspreche "nicht den fachlichen Qualitätsanforderungen im Umgang mit Menschenhandel, der Betreuung und dem Sicherheitsbedürfnis der Betroffenen sowie der Anforderungen an die Kenntnis der bestehenden Opferhilfelandschaft…" Zudem wurde die "spezifisch religiöse Ausrichtung im Umgang mit Opfern sexuellen Missbrauchs" kritisiert. Auf erneute Anfrage teilen das Landeskriminalamt und die Sozialbehörde Hamburg dem NDR mit, dass sich an der Einschätzung von damals nichts geändert habe.
Eine christlich-fundamentalistische Gemeinde
Hinter dem Verein "Mission Freedom" steht die Gründerin und Vorsitzende Gabriele Wentland. Sie ist gleichzeitig Pastorin der "Freien Gemeinde Neugraben", einer Freikirche im Süden Hamburgs. Wentland ist extrem gut vernetzt, spricht auf Netzwerk-Veranstaltungen der freikirchlich-charismatischen Szene, in den verschiedensten Gemeinden in ganz Deutschland und nicht zuletzt in Predigten auf ihren diversen Social-Media-Kanälen. Oft geht es dabei um den Teufel und Dämonen, die Menschen fest im Griff hätten. Krankheiten seien demnach auch eine Folge von Sünde oder davon, dass das Herz nicht "rein" sei. Andersherum könne Gott oder der Heilige Geist Wunderheilungen vollbringen.
Christoph Grotepass, Geschäftsführer von "Sekten-Info Nordrhein-Westfalen", ordnet dieses Weltbild als "christlich-fundamentalistisch" ein. Er sagt über Gabriele Wentland: "Sie spricht von Befreiung für Menschen, die in schrecklichen Bedingungen sind, und wünscht sich für ihre Schutzhäuser entsprechende Konzepte, in denen Menschen befreit werden und von bösen Machenschaften getrennt werden. Das sind Vokabeln, von denen ich mir wünsche, dass sie in der therapeutisch fachlichen Arbeit so nicht vorkommen."
Grotepass befürchtet, dass Menschen suggeriert werden könnte, dass ihre traumatischen Erlebnisse daher rühren, dass sie von Dämonen besessen seien. Die Konfrontation mit solchen Glaubensvorstellungen könne weitere Traumata auslösen, sagt er.
Insbesondere in der Arbeit mit traumatisierten Kindern sei wichtig, dass keine ideologischen Überfrachtungen vorkämen. Auf NDR-Anfrage teilen "Himmelsstürmer" und "Mission Freedom" in einer gemeinsamen Antwort mit: "Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form religiösen Missbrauchs", zudem spiele das persönliche Weltbild von Frau Wentland für die Arbeit keine Rolle.
Daran zweifeln lässt allerdings die eigene Darstellung von Gabriele Wentland in diversen Videos, die sie selbst verbreitet. So zeigt sie in einem Video das Schutzhaus in Frankfurt und sagt dazu: "Hier ist der Gebetsraum, wir beten ja jeden Tag". Zudem heißt es in einer Stellenanzeige von Mission Freedom für die Arbeit in der Einrichtung "Haus SeeNest", der Verein wünsche sich Mitarbeiter mit "persönlicher Identifikation mit biblischen Glaubensgrundlagen".
Ein fragwürdiger Genehmigungsprozess
Es gibt noch weitere Fragen. Beim Kreisjugendamt Oberallgäu, das für das "Haus SeeNest", die neue Kinder- und Jugendeinrichtung im Allgäu, zuständig ist, hatten sie im Genehmigungsverfahren Zweifel, ob der Träger "Himmelsstürmer" und der dahinterstehende Verein "Mission Freedom" wirklich geeignet seien, eine solche Einrichtung zu eröffnen.
In einer Stellungnahme wiesen die Mitarbeitenden auf diverse Kritikpunkte hin, erinnert sich Claudia Ritter, Leiterin des Kreisjugendamtes. So sei unter anderem die Frage der Schulplätze für die Betroffenen nicht geklärt gewesen, außerdem habe es Bedenken hinsichtlich der therapeutischen Versorgung vor Ort gegeben. "Wir waren in unserer Stellungnahme sehr kritisch gegenüber der Einrichtung und dem Entstehen der Einrichtung", so Ritter.
Am Ende lag die Entscheidung über die Betriebserlaubnis allerdings beim Regierungsbezirk Schwaben. Der schreibt auf Anfrage des NDR, das "Vorliegen der (…) Voraussetzungen sei intensiv geprüft und bejaht worden." Der Träger habe einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis. Bei heimaufsichtlichen Begehungen in der Einrichtung seien keine Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben festgestellt worden. Auch "Himmelsstürmer" erklärt, "das Konzept wurde mit Fachpersonen der Heimaufsicht entwickelt".
Eine Vielzahl kritischer Fragen
Die Abgeordnete Gabriele Triebel von den Grünen hat im Bayerischen Landtag eine Anfrage an die Bayerische Staatsregierung zum "Haus SeeNest" gestellt. Sie sei von außen auf die Einrichtung aufmerksam gemacht worden und hat sich seitdem sehr kritisch damit auseinandergesetzt. Sie sagt: "Wir haben zu wenig Plätze genau für diese Jugendlichen. Und deswegen entbindet es uns aber nicht von der Pflicht, genau hinzuschauen, wer sich für die Sorge dieser Jugendlichen bewirbt."
Die Betriebserlaubnis für das "Haus SeeNest" sehe sie als "sehr kritisch" an. Triebel hätte sich gewünscht, dass die Erkenntnisse, die das Hamburger LKA schon vor über zehn Jahren über "Mission Freedom" gewonnen hatte, schneller in Bayern angekommen und dort auch berücksichtigt worden wären.
Die Frage, wie es den Jugendlichen vor Ort tatsächlich geht, lässt sich nur schwer beantworten. Der Träger antwortet auf viele Fragen des NDR nur unbefriedigend. Die Aufsichtsbehörden versichern vage, man habe die Einrichtung im Blick. Doch wenn eine Betriebserlaubnis einmal vorliegt, sind die Hürden, diese wieder zu entziehen, sehr hoch.