Der problematische Umgang des LKA Schleswig-Holstein mit Informanten
Der Umgang mit Informanten der Polizei ist noch immer nicht klar geregelt. Das zeigt auch ein jetzt bekannt gewordener Fall des Informanten Michael H. aus Schleswig-Holstein. Es ist weder gesetzlich festgeschrieben, wie oft ein Informant oder Vertrauensmann eingesetzt werden darf noch wer überhaupt als Informant infrage kommt. Michael H. fädelte im Auftrag des LKA Kiel Drogendeals ein. Dieser Einsatz ist rückblickend fragwürdig.
Michael H. trifft die Drogendealer auf der Autobahnraststätte Hüttener Berge an der A7 oder auch auf dem Autohof Busdorf in Schleswig-Holstein und fädelte Drogendeals ein. Zwei Kilogramm Amphetamin oder auch mehrere hundert Gramm Kokain. Der größte Deal, den Michael H. organisiert findet nördlich von Hamburg auf einem Firmenparkplatz in Kaltenkirchen statt. Zehn Kilogramm Amphetamin wechseln hier den Besitzer. Organisiert hat Michael H. diese Drogendeals auf Anweisungen des Landeskriminalamtes in Kiel. 2014 ist das passiert.
Doch Michael H. ist kein Polizeibeamter, kein verdeckter Ermittler und auch keine Vertrauensperson der Beamten. Michael H. ist ein ehemaliger Häftling aus der JVA in Neumünster, ein ehemaliger Vertrauter der Rockergruppierung der Hells Angels, der nach seiner Haft mit der Polizei zusammenarbeitet. Als Lockvogel. Er musste in Süddeutschland untertauchen. Mittlerweile hat er keine Sorgen mehr über den Fall zu sprechen. Im Gegenteil, Michael H. möchte seine Geschichte erzählen. Möchte über die Mitarbeit an einer Operation des LKA Schleswig-Holstein sprechen. Mit Hilfe seiner Unterstützung können die Drogendealer am Ende gefasst werden und werden teilweise zu mehr als 5 Jahren Haft verurteilt. Doch sein Einsatz erscheint im Nachhinein fragwürdig, denn er zeigt: Noch immer fehlen klare Regeln für solch eine Zusammenarbeit mit der Polizei.
Beamte nutzen Michael H. als Kontaktmann in die Szene
Es ist damals eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem LKA in Kiel und Michael H. "Ich habe mich immer an einem Parkplatz getroffen, in der Nähe von Rendsburg mit der sogenannten technischen Abteilung des LKA", erinnert sich H. "Sie haben mir die nötigen Mittel verpasst, um die Gespräche aufzuzeichnen." Mit Überwachungstechnik ausgestattet trifft er sich mit den Dealern, die Beamten hören alles mit.
Michael H. hatte sich selbst bei der Polizei gemeldet, weil ihn ein Häftling angesprochen hatte, das geht aus den Gerichtsakten zu den Drogengeschäften hervor, die Panorama 3 vorliegen.
Den Akten ist auch zu entnehmen, dass die Ermittler Michael H. dann als Kontaktmann für die Dealer einsetzen. Denn die Idee den Drogendeal durchzuziehen, hat damals das Landeskriminalamt in Kiel. Laut Urteil verläuft die gesamte Operation im gesetzlichen Rahmen, es handele sich nicht um „konventionswidrige Tatprovokationen“. Das heißt, das Gericht akzeptiert die Provokation durch Michael H..
Kritik: Fehlende Regeln im Umgang mit Informanten
"Wären Sie bereit ein illegales Geschäft durchzuführen?", fragen die Ermittler Michael H. angeblich sinngemäß. "Sie wollten, dass ich den Deal einfädele und sie dann den Zugriff machen können." Ein höchst fragwürdiges Vorgehen, findet Burkhard Peters von den Grünen in Schleswig-Holstein. Ihm fehlen die Regeln im Umgang mit solchen Informanten oder auch Vertrauenspersonen der Ermittlungsbehörden. "Wir brauchen konkrete rechtliche Leitplanken für solche Einsätze", so Peters.
Fehlende Vertraulichkeitserklärung
Besonders brisant: Michael H. unterschreibt damals keine Vertraulichkeitserklärung, obwohl er extreme Einblicke in die Arbeit der Sicherheitsbehörden erhält. Er lernt verdeckte Ermittler persönlich kennen, weiß wie die Polizei Überwachungstechnik anwendet und bekommt taktisches Wissen mitgegeben. Diese Einblicke und Informationen sind also im Zweifel nicht geschützt. "Das hätte nicht passieren dürfen", sagt Prof. Sönke Gerhold von der Uni in Bremen. Gerhold ist Strafrechtsexperte und lehrt zu dem Thema. "So werden einem einfachen Zeugen Polizeiinterna verraten und dann ohne ihn zu verpflichten, diese für sich zu behalten. Das ist rechtswidrig." Das Innenministerium antwortet nicht auf die konkrete Frage, warum keine Vertraulichkeitsvereinbarung getroffen wurde.
Die Zusammenarbeit zwischen Michael H. und dem LKA ist wohl noch enger. Laut Urteil wird er immer wieder aus dem Gefängnis "ausgeantwortet", also ins Landeskriminalamt geholt. Nach eigener Aussage liest er dort Akten von brisanten Fällen aus der organisierten Kriminalität. Er soll prüfen, ob er Namen und Vorgänge kennt. Die Ermittler wollen alles von ihm wissen, erinnert er sich, geben ihm aber offenbar auch tiefe Einblicke in ihre Arbeit. Das Innenministerium schreibt auf Nachfrage dazu: "Es ist notwendig und entspricht ständiger Praxis, im Rahmen von Vernehmungen z. B. durch Vorhalte unterstützend auf kriminalistisch relevante Informationen Bezug zu nehmen, um weitere Erkenntnisse hinzuzugewinnen."
Die Vernehmungen fanden also statt - wie viele Akten Michael H. lesen durfte, bleibt offen.
Innenministerium versucht Aussagen zu sperren
Wie vertraulich und brisant das Wissen des Informanten ist, bemerken später offenbar auch die Ermittler. Denn im Prozess gegen die Drogendealer versucht das Innenministerium die Aussage des Zeugen Michael H. teilweise zu sperren - per Sperrerklärung. Das ist verboten bei Privatpersonen. Doch das Innenministerium verfasst ein Schreiben ans Gericht. Michael H. habe während seines operativen Einsatzes für die Polizei "taktische und operative Kenntnisse erlangt", heißt es darin. Man wolle daher H.s Aussage in Teilen sperren. Sie würde "das Wohl des Landes SH verletzen." "Das ist rechtsstaatswidrig", sagt SPD-Innenexperte Kai Dolgner zu diesem Vorgang, "weil es das Prinzip des fairen Verfahrens verletzt." Strafrechtler Gerhold stimmt Dolgner zu: "Diese Sperrerklärung hatte keine Rechtskraft."
Am Ende muss H. gar nicht aussagen, denn das Geständnis des Hauptangeklagten reicht dem Gericht. Das Ministerium schreibt uns hingegen auf Anfrage, man habe doch auf die Sperrung verzichtet. Michael H. habe nur einen "oberflächlichen Einblick" erhalten. Doch war der Einblick wirklich so oberflächlich? H. hat verdeckte Ermittler kennengelernt, hatte Einblick in vertrauliche Akten. Alles ohne rechtliche Grundlage.
Die beiden Innenpolitiker von den Grünen und der SPD sind alarmiert. Denn seit fast vier Jahren beschäftigt sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Kiel mit dem offenbar regellosen Umgang des LKA mit Zeugen oder Vertrauenspersonen. Viele fragwürdige Vorgänge sind bereits öffentlich behandelt worden.
Ex-Bandido als V-Mann geführt - offenbar ohne sein Wissen
Nun liegen auch in einem anderen Verfahren rund um eine Messerstecherei in Neumünster im Schnellrestaurant Subway neue Erkenntnisse vor. Auch sie zeigen den regellosen Umgang mit Informanten. Hier wurde der damalige Rocker-Präsident der Bandidos Ralf B. zwar zu einer Vertrauensperson erklärt, doch brisant an diesem Vorgang ist: Der Bandidos-Präsident weiß offenbar nichts von seinem Status als Vertrauensperson. Panorama 3 hat exklusiv mit ihm gesprochen. Er teilte schriftlich mit: "Es gab zwischen mir und dem LKA zu keinem Zeitpunkt einen Deal oder eine Vertraulichkeitsvereinbarung." Keine unterschriebene Vertraulichkeitsvereinbarung - und trotzdem wurde er zur Vertrauensperson? Das Ministerium will sich zu diesem Fall nicht äußern und verweist auf den noch ausstehenden Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Beide Fälle zeigen, dass hier gesetzlich nachgesteuert werden müsse. Denn es fehle an konkreten Regeln, wer wie wann und unter welchen Voraussetzungen mit der Polizei zusammenarbeiten könne. Die Innenexperten Peters und Dolgner fordern eine Änderung der Strafprozessordnung, damit eine gesetzliche Grundlage geschaffen werde. „Auch um die Polizisten zu schützen“, sagt Dolgner.
Die Strafprozessordnung wird auf Bundesebene geändert und die Ampelkoalition hat auch einen allgemeinen Absatz dazu im Koalitionsvertrag. Hier steht: „Wir regeln Voraussetzungen für den Einsatz von V-Personen, Gewährspersonen und sonstigen Informantinnen und Informanten aller Sicherheitsbehörden gesetzlich.“ Wie genau die Änderung ausfallen wird ist noch unklar. Aber Fälle wie der von Michael H. sollen damit in Zukunft verhindert werden.