Bauämter unterbesetzt und überfordert
Hoch wachsen hier nur wilde Schmetterlingsbüsche und Brennnesseln. Ginge es nach Oliver Raabe, stünde stattdessen längst seine neue Garage da. Er geht neun große Schritte nach Süden, dreht sich, und macht neun Schritte nach Westen: "Hier gehe ich jetzt auf der Mauer entlang, wo die Garage enden sollte", sagt er. Doch unter seinen Füßen ist keine Mauer, nur ein altes Fundament und Geröll. Früher stand hier ein kleines Haus. Da dafür Unterlagen in den Kriegswirren verloren gegangen waren, musste Raabe es abreißen und wollte an der gleichen Stelle eine Garage bauen lassen.
Eigentlich keine große Sache, dachte er. Doch dann dauerte es Monate um Monate, bis sein Bauantrag bearbeitet wurde. Die anvisierten Termine mit den Handwerkern musste er absagen. Dann erhielt er endlich Post von der Behörde, doch nicht den ersehnten Antrag, sondern eine neue Forderung: Der Lageplan, den Raabe eingereicht hatte, sei veraltet, ein neuer müsse her. "Allein das hat mich noch mal 300 Euro gekostet", sagt Raabe. Obwohl inhaltlich nur das Datum ein anderes sei.
Verzögerung mit gravierenden Folgen
"Das ist kein Bauamt, sondern ein Bauverhinderungsamt", sagt er wütend. Ähnlich wie ihm erging es auch Gabriele Korallus. Sie wollte in Hannover eine weitere Filiale ihres Hörgeräte-Geschäftes eröffnen. Alles schien vorbereitet: die Pläne für den Innenausbau fertig, Personal eingestellt, die Möbel gekauft.
Doch die Genehmigung ließ auf sich warten. Die bereits gelieferten Möbel sind immer noch mit Plastikfolie verhüllt, statt an kleinen Vitrinen und Tresen vorbei läuft Gabriele Korallus durch eine Baustelle. Staub liegt in der Luft. Für sie hat die Verzögerung gravierende Folgen, auch finanziell. Für die neue Filiale hat sie sogar schon Personal eingestellt, rund 80.000 Euro sind bereits aufgelaufen für zwei Mitarbeiterinnen, die sie eigentlich noch nicht braucht. "Man ist komplett hilflos", sagt Korallus.
Überforderte Bauämter?
Die zuständige Behörde in Hannover möchte sich nicht zu privaten Bauvorhaben äußern, verweist aber darauf, dass Unterlagen häufig bei Antragsstellung nicht vollständig vorlägen. Man plane für die Zukunft weiteres Personal einzustellen, doch sei bei der Besetzung der Fachkräftemangel ein Problem.
Dies beklagen auch andere Bauämter in Norddeutschland. In einer stichprobenartigen Umfrage wird außerdem auf die komplexen Verfahren hingewiesen. So antwortet zum Beispiel die zuständige Baubehörde in Schwerin, Genehmigungsverfahren heute seien meist komplizierter als früher. Der Grund dafür: Es gibt kaum mehr freie Flächen. Wenn Lücken bebaut werden, müssten mehr Dinge wie Lärmschutz, Rettungswege oder der Schutz der Nachbarn bedacht werden, heißt es aus Schwerin. Außerdem gebe es immer mehr Vorschriften.
Anzahl der Vorschriften vervierfacht
Das bestätigt auch eine Schätzung von Dietmar Wahlberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Demnach hat sich die Anzahl der Vorschriften im Bereich Bauen ungefähr vervierfacht im Vergleich zu 1990. Diese Entwicklung geht einher mit einem Abbau an Personal in vielen Behörden. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft sind allein im Zeitraum 1990 bis 2010 mehr als ein Drittel der Stellen in den Behörden abgebaut worden. Die Folge: Überlastung in den Bauämtern. Das bestätigt auch die Pressesprecherin der Stadt Rostock. Auf Anfrage von Panorama 3 heißt es, dass das Bauamt erheblich überlastet sei. Grund dafür sei auch, dass fachkundiges Personal nur schwer zu bekommen ist.
Nach nunmehr fast einem Jahr hat auch Gabriele Korallus ihre Genehmigung bekommen. Doch ihre Freude darüber ist getrübt. Denn sie muss nun die historischen Fenster an der Vorderfront zumauern lassen, wegen des Brandschutzes. Für sie bedeutet das: die komplette Innenplanung muss erneuert werden. Das Lichtkonzept, die Raumaufteilung, die Möbel - all das funktioniert nun nicht mehr. Und das erfährt sie eineinhalb Jahre, nachdem sie mit den Planungen begonnen hat.