Atomausstieg: Kein Plan für AKW-Bauschutt
Der Atomausstieg ist auch ein gigantisches Abrissprojekt: Insgesamt 18 Kernkraftwerke werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zurückgebaut. Dabei fallen auch Tausende Tonnen Bauschutt an, der auf Deponien entsorgt werden muss. Nach Recherchen von Panorama 3 ist bislang jedoch kaum ein verantwortlicher Landkreis auf die Annahme und Entsorgung des AKW-Bauschutts vorbereitet. Von 14 angefragten Landkreisen teilten nur vier mit, wo zumindest theoretisch der AKW-Müll enden soll.
Bauschutt: Eingeschränkte Freigabe
In jedem Kernkraftwerk sind mehrere 100.000 Tonnen Beton verbaut. Nur ein geringer Teil im Innern der Anlage kommt jedoch mit Radioaktivität in Berührung. Abbau und spätere Endlagerung der radioaktiv belasteten Kraftwerksteile wie der Brennelemente oder des Reaktordruckbehälters sind nach dem Atomgesetz geregelt. Der weitaus größte Teil des Bauschutts (rund 90 Prozent) kann uneingeschränkt wiederverwertet werden, zum Beispiel im Unterbau für Autobahnen. Ein kleinerer Teil des Bauschutts, je nach Anlagengröße 3.000 bis 6.000 Tonnen, erhält aufgrund der Strahlenbelastung nur eine eingeschränkte Freigabe. Dieser Bauschutt darf nicht in die Wiederverwertung gelangen. Er fällt unter das Abfallwirtschaftsgesetz und muss auf Deponien gelagert werden. Verantwortlich sind die Landkreise.
In Norddeutschland konnten die Landkreise Dithmarschen (Brunsbüttel), Herzogtum-Lauenburg (Krümmel), Hameln (Grohnde) und Steinburg (Brokdorf) weder Angaben über die Menge des erwarteten AKW-Bauschutts noch über eine mögliche Deponierung machen. Viele Landkreise haben sich mit dieser Frage noch gar nicht beschäftigt. Verschärfend kommt hinzu, dass an vielen Deponie-Standorten, an denen bereits jetzt Kraftwerksschutt eingelagert werden soll, Bürger gegen die Einlagerung protestieren.
Bundesweite Bürgerproteste
In den vergangenen Jahren führte die Deponierung von Bauschutt aus Atomkraftwerken bundesweit zu Bürgerprotesten. Ein Beispiel ist der Widerstand gegen Schutt aus dem abgerissenen AKW Stade. Da der Landkreis Stade über keine geeignete Deponie verfügt, wurde der Schutt zunächst auf der Deponie Hillern im nahen Heidekreis untergebracht. Nach Anwohnerprotesten erfolgte jedoch ein Annahmestopp. AKW-Betreiber E.ON musste den Bauschutt im vergangenen Jahr bis nach Sachsen transportieren, um ihn loszuwerden. Doch auch hier protestierten Anwohner. Einige Deponieeigentümer weigern sich seitdem, weiteren Schutt anzunehmen.
Ablehnende Reaktionen von Bürgern lassen sich auch rund um die Deponierung von Bauschutt aus dem AKW Obrigheim in Baden-Württemberg beobachten. Der Leiter der Abfallwirtschaft im zuständigen Neckar-Odenwald-Kreis, Mathias Ginter, fühlt sich und den Kreis bei diesem Thema allein gelassen. "Ich halte es für wichtig, dass man dieses Material den Landkreisen nicht einfach vor die Füße kippt und sagt, ihr seid entsorgungspflichtig. Ich halte es für wichtig, dass das überregional koordiniert wird."
Problem Rückbau
Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) warnt: "Wir sehen, dass alles, was aus Atomkraftwerken kommt immer wieder Sorgen auslöst." Auch Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne), der für vier Kernkraftwerke verantwortlich ist, spricht hinsichtlich der Lagerung des AKW-Bauschutts von einem "Akzeptanzproblem": "Wir haben hier ein Problem, was beim Bau der Atomkraftwerke überhaupt nicht im Blick gewesen ist, nämlich dass am Ende auch alles wieder rückgebaut werden muss. Und dass für jedes einzelne Teilchen ein Ort für eine nach menschlichem Ermessen sichere Lagerung gefunden wird", so Wenzel gegenüber Panorama 3.
Nach Meinung der Vorsitzenden des Umweltausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn (Grüne), ist die Lagerung des AKW-Bauschutts "ein bundesweites Problem, denn es betrifft immer mehr Atomkraftwerke. Es wäre sinnvoll, wenn man auf Bundesebene überlegt, was man da machen kann."
Das zuständige Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit wies einen solchen Vorschlag auf Anfrage von Panorama 3 zurück: Der Bauschutt unterliege nicht dem Atomrecht sondern dem Abfallrecht und das sei Sache der Länder. Eine Planung durch den Bund sei kompetenzrechtlich ausgeschlossen.