Stand: 09.05.2017 11:08 Uhr

Armutsrisiko Pflege

von Barbara Schmickler

Seit einem Schlaganfall vor fünf Jahren ist Simone Viestenz aus Ueckermünde auf die Hilfe ihres Ehemannes Harald angewiesen. Er organisiert Arztbesuche und Therapien wie Logopädie oder Ergotherapie und kümmert sich um den Haushalt. All das schaffte Harald Viestenz ein halbes Jahr lang neben seinem Job.

VIDEO: Armutsrisiko Pflege (8 Min)

Der Maschinenschlosser-Meister war zuletzt im Außendienst tätig. Auf eine Teilzeit-Beschäftigung wollte sich sein Arbeitgeber nicht einlassen, so blieb nur der Weg in die Arbeitslosigkeit. Die Betreuung seiner Frau verlangt seinen vollen Einsatz.

Zwei Millionen Pflegebedürftige bleiben zu Hause

Insgesamt gibt es 2,9 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Mehr als zwei Millionen werden zu Hause betreut, rund 1,4 Millionen ausschließlich von Familienmitgliedern ohne professionelle Pflegeausbildung. In den vergangenen Jahren wollte die Bundesregierung die Pflege-Situation in Deutschland verbessern. Ein Teil der Pflegereform ist seit Januar in Kraft und sollte die Situation der Pflegenden stärken. "Wenn die große Zahl der zu Pflegenden zu Hause leben möchte, müssen wir alles tun, um Angehörigen den Rücken zu stärken", sagt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe.

Hermann Gröhe, Bundesgesundheitsminister.
Gröhe: "Wir müssen alles tun, um Angehörigen den Rücken zu stärken."
Wenn die Familie nicht mehr kann ...

Seit Anfang des Jahres existieren fünf Pflegegrade. Die Leistungen für Pflegebedürftige zu Hause reichen von 125 Euro bis maximal 901 Euro monatlich. Bei stationärer Pflege beginnt die Unterstützung auch bei 125 Euro, steigert sich aber bis 2005 Euro.

Die Pflegekasse zahlt für die stationäre Pflege mehr als für häusliche Pflege von Angehörigen - teilweise mehr als das Doppelte. "Die Pflegeversicherung fängt erst voll an zu wirken, wenn die Familie nicht mehr kann. Das ist eine Grundsatzeinstellung in Deutschland. Die hat auch die Reform nicht geändert“, sagt Claus Bölicke von der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Armutsrisiko pflegender Angehöriger ist hoch

Die AWO hat das Armutsrisiko Hunderttausender pflegender Angehöriger kritisiert. Viele Betroffene reduzierten für die Pflege von Kranken und Alten ihre Arbeitszeit, sagt Bölicke. Einige würden ihren Job ganz aufgeben, die Folge sei häufig ein Leben auf Hartz-IV-Niveau. "Das Pflegegeld ersetzt keine Berufstätigkeit. Und wenn diese Personen dann in Rente gehen, setzt sich das Thema fort - arm durch Pflege", sagt Bölicke.

Claus Bölicke, Arbeiterwohlfahrt (AWO)
Die AWO kritisiert das Armutsrisiko Hunderttausender pflegender Angehöriger.
Pflegebedürftige wollen zu Hause bleiben

Viele Angehörige wie Harald Viestenz aus Ueckermünde wollen ihre Familienmitglieder zu Hause pflegen. Die Gründe sind unterschiedlich: Nicht alle könnten einen Platz im Pflegeheim bekommen, andere können sich das Heim trotz der finanziellen Zuschüsse nicht leisten. Außerdem wollen auch viele Hilfsbedürftige gerne von den Angehörigen gepflegt werden. Laut einer Forsa-Studie im Auftrag der DAK-Pflege, gaben pflegende Familienmitglieder an, dass rund 50 Prozent der Kranken, eine Betreuung zu Hause wünscht. Für die Pflegenden sei häufig das Pflichtgefühl der ausschlaggebende Grund.

Verbessungsbedarf der professionellen Pflege

Hinzu kommt, dass viele Menschen bei der Versorgung von Pflegebedürftigen in Heimen und durch ambulante Hilfsdienste erheblichen Verbesserungsbedarf sehen. Das geht aus einer Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege hervor.

Verein für Pflegende

Im März 2008 haben pflegende Angehörige und Menschen, die sich beruflich mit Beratung und Pflege befassen – den Verein„wir pflegen“ gegründet. Der Verein will die Interessen und Rechte pflegender Angehöriger auch in der Politik vertreten. Ein Ziel: Bestehenden lokalen und regionalen Initiativen mehr politisches Gewicht verleihen und so pflegenden und begleitenden Angehörigen zu mehr Wertschätzung und Mitspracherecht.

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird weiter steigen: Im Jahr 2060 werden geschätzt 4,52 Millionen Menschen gepflegt werden müssen. Mit steigendem Alter wird es wahrscheinlicher, dass wir pflegebedürftig werden. Insgesamt weitet sich auch die Dauer der Pflege aus. Aus dem Barmer-Pflegereport ergibt sich eine durchschnittliche Pflegedauer von mehr als sechs Jahren.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 09.05.2017 | 21:15 Uhr

Eine Hand hält ein Smartphone mit dem News-Spiel "NDR Wohn-O-Mat" vor einer norddeutschen Landschaft mit Schafen und Leuchtturm © Fotolia, PantherMedia Foto: JFL Photography, Peopleimages

NDR Wohn-O-Mat: Welcher Wohnort im Norden passt zu dir?