Sendedatum: 10.12.2019 21:15 Uhr

Apotheker alarmiert: Lieferengpässe bei Medikamenten

von Kian Badrnejad, Leonie Puscher und Lea Struckmeier

In den norddeutschen Apotheken werden viele Medikamente knapp. Und es geht dabei nicht um Mittel gegen exotische Krankheiten, sondern um Wirkstoffe wie Ibuprofen, eines der wichtigsten Schmerzmittel Deutschlands. Es geht aber auch um Blutdrucksenker, die vor allem ältere Menschen regelmäßig einnehmen. Häufig fehlen auch lebenswichtige Medikamente, etwa für Epileptiker oder Menschen, die an Depressionen leiden.

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Problem bereits seit 2017 bekannt

Diverse Blister mit verschieden farbigen Tabletten. © Fotolia Foto: PhotoSG
259 Lieferengpässe bei Medikamenten wurden im Jahr 2019 bundesweit erfasst.

Nach einer repräsentativen Umfrage des Apothekenverbands ABDA aus dem Jahr 2017 verbrachte die Mehrheit der Apotheker schon damals ein Zehntel ihrer Arbeitszeit damit, sich um nicht lieferbare Medikamente zu kümmern. Und Besserung ist nicht in Sicht. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfasst Lieferengpässe bei Medikamenten. Das vergangene Jahr galt mit 268 Engpässen bei vielen Apothekern bereits als Tiefpunkt. Panorama 3 hat aktuelle Zahlen des BfArM ausgewertet, die zeigen, dass sich die Lage nicht wesentlich gebessert hat. Bis zum Stichtag, dem 06. Dezember 2019, gab es bereits 259 Engpassmeldungen. Eine monatliche Auswertung zeigt, dass in diesem Jahr der Oktober besonders dramatisch war. In diesem Monat meldeten die Hersteller 60 Engpässe. Zwar fehlt nicht alles, was die Hersteller als Lieferengpass melden, am Ende auch in der Apotheke, doch die Zahlen sind alarmierend.

Lieferengpässe zum Stichtag 06.12.2019 laut BfArM
MonatLieferengpässe
Januar15
Februar16
März19
April18
Mai15
Juni21
Juli20
August20
September22
Oktober60
November25
Dezember8

Flickenschusterei statt nachhaltiger Lösung

Doris Lüdke © NDR Foto: Screenshot
Apothekerin Doris Lüdke ist täglich mit dem Problem konfrontiert. Ihr ist das Wohl der Patienten wichtiger als der eigene Profit.

Mit dem Problem kämpft Apothekerin Doris Lüdke ständig. Sie hat mittlerweile drei Großhändler, deren Bestände sie mehrmals täglich prüft. Sobald etwas verfügbar ist, bestellt sie. Oder sie tauscht sich mit anderen Apotheken aus, schickt die Menschen dahin, wo es ihr Medikament noch gibt - für die Unternehmerin ein Minusgeschäft. "Das mache ich gerne für meine Patienten, obwohl ich damit nichts einnehme. Aber es sind immer die gleichen Sachen, die in allen Apotheken fehlen", bilanziert Lüdke. Eine Lösung ist diese Flickschusterei nicht. "Ich sehe da auch den Karren gegen die Wand fahren. Weil man ja von heute auf morgen keine ausländische Pharmaproduktion einfach mal eben wieder in Europa ansiedeln kann."

Fabriken in Indien und China

Denn die Arzneimittelknappheit ist ein Lehrstück in Globalisierung. Seit Ende der neunziger Jahre wächst der Druck auf die Pharmaindustrie, patentfreie Medikamente, die sogenannten Generika, günstiger anzubieten. Deshalb konzentriert sich die Produktion der Wirkstoffe auf immer weniger, dafür immer größere Fabriken, die häufig in Indien oder China stehen. Hier kann deutlich billiger produziert werden, durch die Massenproduktion sinken die Kosten. Doch fällt eine dieser Megafabriken aufgrund eines Defekts oder weil eine Produktionslinie verunreinigt war aus, spüren das die Apotheken auf der ganzen Welt. Das Schmerzmittel Ibuprofen wird weltweit nur noch in sechs Fabriken hergestellt. Als eine Anlage von BASF im texanischen Bishop am 3. Juni 2018 wegen eines Defekts die Herstellung einstellen musste, fehlte ein großer Anteil der Weltmarktproduktion.

Was bringt der Fünf-Punkte-Plan?

Der Bundesregierung sind die Probleme bekannt. Doch ob die Politik die Rahmenbedingungen so ändern kann, dass die Produktion zurück nach Europa kommt, ist fraglich. Gesundheitsminister Jens Spahn sagt dazu, immer sei gefordert worden, er solle etwas gegen die hohen Preise der Pharmaindustrie tun, da habe "der ganze Saal applaudiert". Dass die Produktion nicht mehr in Deutschland stattfinde, sei nachvollziehbar.

Doch ebenso gut kann es sein, dass die Pharmakonzerne auch ohne den Kostendruck der Regierung dahin gegangen wären, wo die Kosten niedriger und die Gewinne höher sind. Spahns Ministerium plant nun Maßnahmen gegen die Engpässe. Langfristig soll die Produktion zurück nach Europa. Kurzfristig sollen andere Maßnahmen helfen. Oft zwingen Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaherstellern die Apotheker, ein ganz bestimmtes Medikament zu geben. Das soll flexibler werden. Außerdem sollen Hersteller und Großhändler Vorräte anlegen. Doch ob diese Maßnahmen helfen - und vor allem wann - ist völlig offen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 10.12.2019 | 21:15 Uhr

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