Ärger mit Straßenbaubeiträgen: Lösung in Sicht?
In vielen Kommunen werden die Anwohner beim Straßenausbau zur Kasse gebeten. Dort wo die Straßenausbaubeiträge abgeschafft wurden, klagen Kommunen. Wie kann eine gerechte Lösung aussehen?
Christian Stehli steht auf der Straße vor seinem Haus in Marne. Die Klaus-Groth-Straße soll hier auf der Länge von knapp einem Kilometer ausgebaut werden. Stehli soll als Anlieger dafür mitbezahlen. Den sogenannten Straßenausbaubeitrag. 1,2 Millionen Euro soll die Straßenerneuerung insgesamt kosten. "Aber wir sind schon darauf vorbereitet worden, dass es eine Preissteigerung geben wird," sagt uns der Unternehmer. "Ich gehe mal aus davon aus, so zwischen 5.000 und 15.000 werden die Leute schon bezahlen müssen. Vielleicht auch 20.000. Das sind so Größenordnungen, um die es geht."
Stehli hat mit anderen Anwohnern eine Bürgerinitiative gegründet. Sie sind der Meinung, dass Straßenausbau grundsätzlich nicht mit Geldern der direkten Anwohner bezahlt werden sollte. "Das hier ist eine öffentliche Straße." Ein Auto fährt vorbei. "Und hier kommt ein öffentliches Auto vorbeigefahren. Und dann kommt der Straßenausbaubeitrag, den wir direkt aus der eigenen Tasche, mit versteuertem Einkommen, bezahlen müssen."
130.000 Euro aus eigener Tasche
Drei Straßen weiter. Die Theodor-Storm-Straße liegt an der Rückseite des Geländes der Bäckerei Balzer. Und wurde gerade frisch ausgebaut. Olaf Balzer führt das Familienunternehmen. Seine beiden Söhne sollen in ein paar Jahren übernehmen. Nun ist dem Bäcker der Bescheid für seinen Anteil des Straßenausbaus zugestellt worden. 130.000 Euro soll allein er bezahlen. Dabei hat sein Gelände nur eine etwa vier Meter breite Zufahrt zur Theodor-Storm-Straße. Sein Grundstück liegt in zweiter Reihe. Es ist allerdings mit etwa einem Hektar recht groß. Und das fließt in Marne mit in die Berechnung des Kostenanteils der Anlieger hinein.
Balzer ist sauer. "In Meldorf gibt es das nicht mehr. In Heide gibt es das nicht mehr. In Brunsbüttel gibt es das nicht mehr. Aber in Marne gibt es das immer noch." Anscheinend hängt es vom Wohnort ab, ob man für den Straßenausbau noch zur Kasse gebeten wird oder nicht.
Abschaffung der Straßenausbaubeiträge
Tatsächlich haben die anderen Städte im Landkreis Dithmarschen die Ausbaukosten abgeschafft. Denn seit drei Jahren stellt das Land Schleswig-Holstein es seinen Kommunen frei, den Beitrag zu erheben oder nicht. Vorher war das verpflichtend. Marne macht jedes Jahr eine Million Euro Miese. Für Bürgermeister Klaus Braak gibt es deswegen keinen Spielraum, um die Anlieger zu entlasten. Dass andere Kommunen in Schleswig-Holstein die Beiträge abgeschafft haben - Braak sieht das mit gemischten Gefühlen. "Es gibt doch durchaus Kommunen, die die Straßenausbaubeiträge abgeschafft haben, die selber vor der Situation stehen, dass sie nicht wissen, wie sie ihren Straßenneubau finanzieren sollen. Also momentan sind wir irgendwie an einem Umkipp-Punkt der Entwicklung, so sieht es jedenfalls aus."
An diesem Umkipp-Punkt sind die Kommunen im Norden allerdings schon seit Jahren. Immer wieder berichtet auch der NDR über astronomische Summen, wie jetzt bei Bäcker Balzer, die in ungünstigen Fällen bei einzelnen Anliegern an Ausbaubeträgen zusammenkommen. Ob Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern - Demonstrationen finden gegen die Beitragserhebung seit Jahren flächendeckend statt. Auch die Marner sind in den letzten eineinhalb Jahren drei Mal auf die Straße gegangen.
Widerstand gegen Straßenausbaubeiträge
In Norddeutschland gleichen die Regelungen einen Flickenteppich: In Schleswig-Holstein erheben laut einer Umfrage nur noch etwa 20 Prozent der Städte und Gemeinden Straßenausbaubeiträge. In Niedersachsen, wo sich die Kommunen ebenfalls entscheiden dürfen, ob sie die Anwohner zur Kasse bitten, sind es einer Umfrage zufolge ca. 60 Prozent. In Hamburg sind die Beiträge seit 2016 abgeschafft. Und in Mecklenburg-Vorpommern seit 2019 ebenfalls. Dort allerdings rührt sich massiver Widerstand der Kommunen. Das Land bezahlt seit 2019 den Kommunen zwar eine Pauschale für jeden Kilometer Straße. Das sei jedoch viel zu wenig, meinen die Kommunen. Knapp 400 von ihnen sind gegen die neue Regelung vor die Gerichte gezogen. Ausgang offen.
Lars Prahler, Bürgermeister von Grevesmühlen in Meckelenburg-Vorpommern, kann geplante Projekte so nicht mehr umsetzen. Der Ausbau des Rosenwegs, eine Anliegerstraße aus den 70er Jahren, wird vorerst ausgesetzt. Das Land habe die Rechnung ohne die Kommunen gemacht, sagt er. "Im Haushaltsplan 2019/2020 stand eine Zahl von knapp einer Million Einnahme durch Straßenausbaubeiträge. Wir kriegen jetzt knapp über 100.000 Euro pro Jahr vom Land durch das neue Gesetz. Und dann kann man sich ausmalen, das wir ungefähr nur ein Fünftel von den Straßenbau-Maßnahmen umsetzen können, was wir normalerweise umgesetzt hätten", erklärt Prahler.
"Daueraufgabe für Bund und Länder"
In Schleswig-Holstein hatte der jetzige Ministerpräsident Daniel Günther 2017 im Wahlkampf die Abschaffung der Straßenausbaubeiträge und mehr Geld für die Kommunen versprochen. Drei Jahre nach Einführung der Wahlfreiheit sieht der Gemeindetag Schleswig-Holstein noch Bedarf. "Es bleibt eine Daueraufgabe von Bund und Ländern, die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen für die Unterhaltung der Infrastruktur zu sichern", sagt der Geschäftsführer Jörg Bülow.
Das zuständige Innenministerium teilt auf Panorama-3-Anfrage mit, die Landesregierung habe zusätzliche Millionen für Infrastrukturmaßnahmen bereitgestellt. Es sei aber den Kommunen überlassen, wie sie die Gelder verwendeten. Für die Gemeinden heißt das, sie müssen entscheiden, ob sie in Kitas oder in den Straßenausbau investieren.
Husumer Modell: Wiederkehrende Straßenausbaubeiträge
In Husum gehen sie daher einen anderen Weg als in Marne. Mit ihrem Modell der wiederkehrenden Straßenausbaubeiträge gelten sie als Vorreiter. Der Bürgermeister, Uwe Schmitz, sieht darin eine gerechtere Verteilung: Mehr Anwohner zahlen hier weniger Beiträge. Und das jedes Jahr. "Statt fünfstellig war es dann hoch zweistellig oder vielleicht ein dreistelliger Betrag mit einer eins vorweg. Also eine deutliche Reduzierung der finanziellen Belastung", sagt Schmitz. Damit habe er schon zwei Straßen komplett ausbauen können.
Für Christian Stehli aus Marne wäre das Husumer Modell eine Variante, mit der er sich arrangieren könnte. "Alle in einer Gemeinschaft tragen die Straße, über die Sie auch fahren dürfen. Und wenn sie nur ein einziges Mal das Kind zum Kindergarten bringen. Das reicht schon aus. Ehrlich gesagt, das ist kein Privatweg. Ich stelle hier keine Schranke auf."