ADHS bei Erwachsenen: ein neuer Pharma-Markt?
Vergesslich, unaufmerksam, gefühlsschwankend - das sind nur einige der Symptome der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung ADHS. Seit einigen Jahren diagnostizieren Ärzte die Erkrankung nicht nur bei Kindern und Jugendlichen, sondern auch im Erwachsenenalter.
Doch kaum eine andere Diagnose ist so stark umstritten wie ADHS. Kritiker sprechen von einer "Modekrankheit", machen die "kranke Gesellschaft" für die zunehmenden Fälle verantwortlich. Die Diagnosekriterien für ADHS seien viel zu allgemein gehalten, bemängelt Dr. Dieter Lehmkuhl, Psychiater und Psychotherapeut.
Eine seriöse Diagnose sei aufwendig und werde meist nicht von der Krankenkasse bezahlt. So befürchtet Lehmkuhl, dass "durch diese Schwammigkeit eine Ausweitung der Diagnostik kommen wird, so dass wir bei der Erwachsenen-ADHS eine ähnliche Inflation von Diagnosen beschert bekommen wie im Kinder- und Jugendbereich".
Pharmaunternehmen wittern neuen Markt
Die Pharma-Unternehmen haben den Erwachsenen-Markt bereits ins Auge gefasst. Über zehn Jahre konnten sie sich über steigende Absatzzahlen ihrer ADHS-Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat - bekannt als Ritalin oder Medikinet - freuen, seit etwa vier Jahren stagniert der Absatz nahezu gleichbleibend auf hohem Niveau. Eine Ausweitung der Diagnose auf den Erwachsenen-Bereich dürfte in ihrem Interesse sein.
Seit 2011 vertreibt die Firma "Medice" das erste Medikament für ADHS bei Erwachsenen, das auf dem deutschen Markt zugelassen ist. Bundesweit bietet die Firma Medice Veranstaltungen für Fachärzte an, die sich zu diesem Thema informieren wollen. Natürlich geht es dabei auch um den Einsatz von Medikamenten. Die Ärztekammern zertifizieren diese Veranstaltungen als "Fortbildungen".
Fortbildung mit Firmenlogo
Nach Recherchen von Panorama 3 tragen Unterlagen, die auf der Veranstaltung verteilt werden, das Firmenlogo, zum Teil sogar den Produktnamen des Medikaments. Dabei sollten Fortbildungsveranstaltungen nach den Richtlinien der Ärztekammer eigentlich frei von kommerziellen Interessen sein. "Man versucht über Ärzte mehr Umsatz und mehr Profite zu machen, denn Ärzte müssen ja erst mal verordnen", kritisiert Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom an der Uni Bremen. "Als Arzt kann man sich eigentlich nur dagegen wehren, indem man selber Studien liest und wirklich genau weiß, wann, welches Arzneimittel richtig eingesetzt wird.“
"Medice" erklärt, die Vermittlung von Fachwissen über neue Therapieformen erfolge im Wesentlichen im Rahmen von Fachkongressen und Fortbildungen. Da derzeit nur zwei Arzneimittel für die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen zugelassen seien, würden beide Präparate auch namentlich genannt - ein allgemeiner Wirkstoff-Hinweis wäre irreführend bzw. fahrlässig.
Seit sieben Jahren Psychopharmaka
Der 13-jährige Dustin, für den das Medikament langfristig in Frage kommen könnte, blickt skeptisch auf sein Leben mit den ADHS-Pillen, denn er nimmt sie schon seit sieben Jahren. Regelmäßig muss er sein Gewicht und seine Herztöne beim Arzt kontrollieren lassen, denn ADHS-Medikamente sind Psychopharmaka und können starke Nebenwirkungen haben. Bei der regelmäßigen Kontrolle ist alles in Ordnung. Doch ob Dustin langfristig Nebenwirkungen haben wird ist unklar.
Inzwischen fühlt Dustin sich wie 'zwei Menschen': "Wenn ich mit Tablette bin, bin ich der Ruhige, aber ohne bin ich meistens aufgedreht“, sagt Dustin. Manchmal fällt es ihm schwer, sich zwischen den beiden zu entscheiden: "In der Schule bin ich lieber der Ruhige. Aber außerhalb der Schule lieber der Zweite halt, der etwas aufgedrehter ist."
Die Therapie von Erwachsenen mit ADHS-Medikamenten hat auch Einfluss auf Dustin. Eigentlich will er am liebsten Tierarzt oder Tierpfleger werden. "Aber ohne Medikamente wird das schwierig", sagt er. "Dafür bräuchte ich die Tabletten noch weiter. Das ADHS würde dann irgendwann stören.“