NDR Story

Die Messerattacke von Brokstedt

Mittwoch, 15. Mai 2024, 22:45 bis 23:30 Uhr

Am 25. Januar 2023 treffen Ann-Marie und Danny im Zug zufällig auf Ibrahim A. Sie steigen gemeinsam in Neumünster ein, keine Viertelstunde später sind die Jugendlichen tot. Die Spur des mutmaßlichen Täters zieht sich durch drei Bundesländer. Mehrere Straftaten soll er bereits begangen haben, auch mindestens zwei Übergriffe mit einem Messer, dennoch konnte er sich unter dem Radar der Behörden weiterhin frei in Deutschland bewegen.

Verwaiste Eltern: Jeder Tag ein Kampf ums Überleben

Blick über die zwei Gleise des Bahnhofs von Brokstedt in Richtung gelbes Bahnhofsgebäude. Ein Regionalexpress fährt gerade ein. © NDR Foto: Benedikt Severin Scheper
Der Bahnhof von Brokstedt in Schleswig-Holstein, hier beging Ibrahim A. die Messerattacke, bei der zwei Menschen ums Leben kamen und weitere schwer verletzt und viele traumatisiert wurden.

Michael Kyrath trinkt einen Schluck Wasser. Seine Tochter Ann-Marie war das einzige Kind der Familie. Für ihn und seine Frau Birgit ist jeder Tag ein Kampf ums Überleben, jeder Tag kostet sie Kraft. Doch Ann-Marie sagte, Aufgeben sei keine Option. Das ist das Mantra für sie beide geworden.

Die Erinnerung an diesen Mittwoch im Januar, die letzten Augenblicke mit seiner Tochter, sind für Michael Kyrath so präsent als würde er sie gerade jetzt durchleben. Erst der Alltag, dann die Sorge, weil Ann-Marie nicht aus der Schule nach Hause kommt, der Anruf eines Freundes, es hätte einen Anschlag im Zug gegeben, die Fahrt nach Brokstedt, die Angst, die am Bahnhof zu einer so brutalen Gewissheit wird, dass seine Erinnerung an diesem Punkt abreißt.

Tatwaffe: Fleischmesser aus dem Supermarkt

Ann-Marie und Danny sind erst fünf Tage zusammen, als sie sich an diesem Januartag gemeinsam auf den Weg nach Hause machen. Als der Angreifer im Zug mit dem Fleischmesser auf Ann-Marie einzustechen beginnt, versucht Danny, sie zu beschützen und wirft sich dazwischen, trägt später die Staatsanwaltschaft vor. Einer der Stiche geht direkt durch sein Herz. Insgesamt 38-mal sticht mutmaßlich Ibrahim A. auf die Jugendlichen ein, bevor er seinen Horrorzug durch die Abteile beginnt.

Mutmaßlicher Täter vor der Tat polizeibekannt

Ibrahim A. ist polizeibekannt. Im Dezember 2014 reist er nach langem Fluchtweg in Deutschland ein. Kein Jahr später beginnt er, Straftaten zu begehen. Die meisten Verfahren werden eingestellt. Doch dann greift er in Nordrhein-Westfalen einen Asylbewerber mit einem scharfen Gegenstand an, verletzt ihn am Kinn. Er wird zwar verurteilt, doch die Behörden versäumen es, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darüber in Kenntnis zu setzen. Er darf sich weiterhin frei in Deutschland bewegen.

In Kiel fliegt er aus der Unterkunft, weil er Menschen bedroht und mit einem Messer hantiert, in Hamburg sticht er so oft auf einen Obdachlosen ein, dass er zahlreiche Sehnen durchtrennt. Er kommt in Untersuchungshaft.

Hinweise auf psychische Erkrankung waren vorhanden

Es sind mittlerweile mehrere Behörden mit Ibrahim A. befasst, doch offenbar fühlt sich niemand richtig zuständig. Trotz zahlreicher Hinweise darauf, dass er psychisch krank ist und eine Gefahr für sich und andere darstellt, wird er mit einer dreifachen Dosis Methadon im Blut schließlich auf die Straße gesetzt. Sechs Tage später tötet er mutmaßlich Ann-Marie und Danny.

Eine genaue Rekonstruktion des Lebens von Ibrahim A. zeichnet seinen Weg nach, ebenso wie das behördliche Versagen und den Kampf der Hinterbliebenen, die sich in einem Alltag wiederfinden, an dem nichts mehr so ist, wie es war.

Weitere Informationen
Blick auf den Bahnhof in Brokstedt. © picture alliance/dpa Foto: Christian Charisius

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Produktionsleiter/in
Anja Reingold
Redaktion
Julia Saldenholz
Uwe Schwering
Andreas Schmidt
Autor/in
Sofia Tchernomordik
Benedikt Scheper