Die Nordreportage: Kiez nebenan
Dienstag, 20. Mai 2025, 00:50 bis
01:20 Uhr
Der Hamburger Kiez ist nicht nur nachts schillernd und bunt. Etwa 600 Meter von der sündigen Meile entfernt hat St. Pauli tagsüber wahre Perlen zu bieten: Kultläden, die das Viertel so einzigartig machen.
Konditorei, Minigrill, Gemüseladen: Die Besitzer dieser Traditionsgeschäfte rund um die Paul-Roosen-Straße sind quasi die echten "Kiezgrößen" auf St. Pauli. Sie halten den berühmten Stadtteil mit viel Herzblut zusammen, immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen.
Süße Verführungen in einer Konditorei

Birgit Aue ist wohl die bekannteste Konditorin auf dem Kiez. Ihren Laden Konditorei Rönnfeld gibt es schon seit 62 Jahren in der Hein-Hoyer-Straße. Nach 28 Jahren Mitarbeit im Betrieb hat sie ihn übernommen. "Das hier ist ein kleiner Laden, wo es familiär zugeht, wo ich alles machen kann", sagt die Chefin. Birgit kreiert ihre Marzipan-Girlies so, wie sie die Natur geschaffen hat: nackt. In der Konditorei gibt es noch viele andere süße Kiezleckereien, die es woanders eben nicht gibt. St. Pauli Herzen oder Leipziger Lerchen etwa. Auch in Sachen Hochzeitstorten ist Birgit Aue Expertin. Stammgast bei ihr ist auch der Pizzamann von nebenan. Der bekommt von ihr immer gleich ein Kilo Hefe, wenn er mal schnell Nachschub braucht. St. Pauli ist ein Dorf, man helfe sich gegenseitig, sagt er.
Der kleine Grillimbiss

Wenige Schritte von der Konditorei Rönnfeld entfernt gibt es wohl die besten Hähnchen von St. Pauli. Auch das Schaschlik und die selbst gemachten Salate sind auf dem Kiez legendär. Der kleine Grillimbiss gehört dem 60-Jährigen Peter Lüllemann. Vor 32 Jahren hat er den Laden, der seit 1966 existiert, gekauft. "Zu uns kommt jeder vom Kiez." Peter, seine Frau Beatrice und ihr gemeinsamer Sohn Marc arbeiten in dem Grill Hand in Hand. Alle haben das Herz am richtigen Fleck. An den Wänden hängen Bilder und Speisekarten, die der berühmte Kiezmaler Erwin Ross, zu Lebzeiten selbst ein Stammkunde im Mini-Grill, mal für den Laden gemacht hat. "Viele Kunden sind treue Seelen, die schon seit Jahrzehnten herkommen", sagt Chef Peter. Seine Salatrezepte stammen aus dem handschriftlich verfassten Kochbuch seiner Urgroßmutter. "Natürlich wäre es billiger, wenn wir für den Salat Eimerware benutzen würden. Aber den Unterschied schmeckt man auch. Und ich würde niemals Käfighühner verkaufen. Die willst du nicht essen." Die Lüllemanns lieben den Schnack mit ihrer Kundschaft, davon leben sie quasi auch. Aber das ist unter Corona-Bedingungen gerade nicht leicht. Und dann ist da noch die kulinarische Konkurrenz im Viertel.
Ein Obst- und Gemüseladen und die Stammkunden

Die hat auch Doris Terheyde mit ihrem Obst- und Gemüseladen direkt gegenüber mit dem gut besuchten Supermarkt. Aber auch Doris ist eine Institution im Viertel. Vor 40 Jahren hat ihr Mann den Laden aufgemacht. Sie steht seit 22 Jahren hinter dem Verkaufsstand. Bei der 58-Jährigen geht es familiär und locker zu. Ihre Persönlichkeit ist ihr großes Plus beim Stammpublikum. Und dennoch hat auch die dreifache Mutter schlechte Verkaufstage, wo sie sich Sorgen macht, ob das Geld reicht. Deshalb ist sie froh, dass sie nebenbei auch noch als Komparsin beim Film arbeitet und sogar kleine Schauspielrollen bekommt.
"Die Nordreportage" ist eine Sozialstudie von St. Pauli, abseits der Reeperbahn, und eine Entdeckungsreise im Viertel. Sie gewährt tagsüber einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der Traditionsläden auf St. Pauli.
- Redaktion
- Birgit Schanzen
- Autor/in
- Stefan Weiße
- Produktionsleiter/in
- Karin Hauschildt
- Redaktion
- Dirk Külper, Arne SIebert
