Die Nordreportage: Alarm am Himmel über Schleswig-Holstein

Das Großmanöver "Air Defender"

Donnerstag, 29. Juni 2023, 18:15 bis 18:45 Uhr
Freitag, 30. Juni 2023, 11:30 bis 12:00 Uhr

Elf Tage lang herrscht Ausnahmezustand am Himmel über Schleswig-Holstein. Hunderte Flugzeuge sind im Einsatz für das Riesenmanöver "Air Defender 23". Ausnahmezustand auch auf dem Fliegerhorst Schleswig-Jagel. "Die Nordreportage" begleitet Soldatinnen und Soldaten am Boden und in der Luft, blickt außerdem in das angrenzende Dorf Kropp und lässt Planespotter und Friedensaktivisten zu Wort kommen.

Höchste Präzision unter Zeitdruck

Der Tornado 44-69 wird sorgfältig gewartet. © NDR
Der Tornado 44-69 wird sorgfältig gewartet.

Drei Stunden hat Fluggerätemechaniker Matthias Zeit, um zu entscheiden, ob der graue Tornado vor ihm an diesem Tag abheben darf. Es ist 6.00 Uhr morgens, gerade hat er das Licht in Shelter sechs angemacht, einem mit vertrocknetem Gras bewachsenen Bunker aus Stahlbeton. Hier ist der Tornado mit der Kennung 44-69 untergebracht, ausgestattet mit Sensoren, um feindliche Radarstellungen aufzuspüren. Das Flugzeug ist 40 Jahre alt und damit ein Oldtimer unter den Kampfjets.

Hauptfeldwebel Matthias geht konzentriert um das Flugzeug, prüft jeden Zentimeter der grauen Außenhaut, sucht nach Beschädigungen durch Vogelkollisionen. Der 27-Jährige mag die alte Maschine, da sei noch "Bumms" dahinter. Er rüttelt an den Auslässen der gewaltigen Triebwerke, klopft an den Rumpf, um zu prüfen, ob im Inneren lose Teile herumliegen. "Da sitzen zwei Menschenleben drin, beide vertrauen mir ihr Leben an. Das ist schon eine Verantwortung", sagt er. Seit sieben Jahren kümmert er sich um die Tornados, ist Schritt für Schritt in die Aufgabe hineingewachsen: "Das erste Mal selber ohne einen Ausbilder die Maschine zu übergeben, war irre. Ich war beflügelt und genauso nervös." Nachdem er die Maschine an die Besatzung übergeben hat, kann er kurz durchatmen. Zwei Stunden später wird er sie wieder in Empfang nehmen. Erst wenn dann erneut jeder Zentimeter akribisch überprüft wurde, wird das Licht in Shelter sechs wieder ausgehen.

Mit 800 km/h im Tiefflug über die Ostsee

Der Tornado mit der Kennung 44-69. © NDR
Der Tornado mit der Kennung 44-69.

Pilot-Major Kalla und Waffensystemoffizierin-Major Clara stehen in der Morgensonne. Ihre richtigen Namen erfährt das Filmteam nicht. Sie werden an diesem Tag in Tornado 44-69 fliegen. Vor jedem Flug gibt es ein stundenlanges Briefing, in dem die anstehende Mission detailliert besprochen wird. In den zwei Wochen des "Air-Defender"-Manövers findet es in der abgeschirmten Fighter Town statt. Von außen sind nur Container mit NATO-Draht und Bauzäune mit Sichtschutz zu sehen. Am Eingang zwei große Alien-Köpfe: Fliegerhumor. Die Details der Mission an diesem Tag sind geheim, nur so viel, es geht in Richtung Rostock. Später werden Kalla und Clara im Tiefflug unterwegs sein: mit mehr als 800 km/h, in nur etwa 30 Meter Höhe über der Ostsee. "Ich kann mich dann wirklich nur noch auf die Höhe konzentrieren", sagt Pilot Kalla später.

Großübung ist wie ein Orchesterstück

Der nördliche Bereich Deutschlands, dazu gehört auch der Rostocker Hafen, ist Teil eines fiktiven Szenarios, das der Übung "Air Defender 23" zugrunde liegt: Ein Militärbündnis hat Teile Deutschlands besetzt und versucht nun auch, die Kontrolle über den nördlichen Teil des Landes zu bekommen. Die NATO-Einsatzkräfte müssen schnell reagieren, die Angreifer abwehren: Transport- und Kampfflugzeuge aus verschiedenen Ländern müssen gemeinsam funktionieren. Insgesamt sind 25 Länder wie die USA, Großbritannien, Türkei und Finnland beteiligt mit 250 Flugzeugen und 10.000 Soldatinnen und Soldaten. Pilot Kalla vergleicht die Übung mit einem Orchester: "Ganz viele verschiedene Musikinstrumente müssen zusammenwirken, damit es funktioniert." Er und seine Kollegin seien da letztendlich nur ein "kleines Rädchen im ganzen System".

Stress in der Küche

Feldköchin Jacqueline versorgt bis zu 1000 Soldaten. © NDR
Feldköchin Jacqueline versorgt bis zu 1000 Soldaten.

Damit das System läuft, muss Feldköchin Jacqueline mitten in der Nacht aufstehen. Um 4.30 Uhr beginnt ihr Dienst: "Also im Moment ist es schon sehr anstrengend", sagt die 34-Jährige. Ihre erste Aufgabe: Frühstück zubereiten für 400 Personen, zur Mittagszeit rechnet sie dann mit 1000 Personen. Eine knappe Stunde Zeit hat sie, es gibt Aufschnitt, Speck, Bohnen und Rührei. Sie weiß: von dem Einhalten ihres Zeitplans hängt einiges ab: "Dann haben die Soldaten nichts zu essen, dann werden sie ungenügsam", sagt sie und eilt weiter. Die große Pfanne, der Kipper, muss noch angemacht werden. Die Feldköchin blickt aus der kulinarischen Perspektive auf die vielen fremden Kulturen, die nun in ihrer Kantine essen: "Wir hatten einen amerikanischen Soldaten, der hat den Aufschnitt kleingeschnitten und als Salat gegessen. Der wusste nicht, was macht man mit einem Brötchen, Wurst und Käse."

Begeisterung und Entsetzen drumherum

Ralf Cüppers hält sich die Ohren zu, ein großes Transportflugzeug donnert über seinen Kopf. Seit einem halben Jahrhundert setzt er sich für den Frieden ein, hat vor den Toren des Fliegerhorsts Schleswig-Jagel zur Mahnwache aufgerufen. 70 Mitstreitende sind gekommen. Der 65-jährige Cüppers lehnt nicht nur militärische Verteidigung ab, er kritisiert auch die Umweltverschmutzung durch die Flugzeuge: "Da kommt eine riesige schwarze Dreckwolke hinterher. Die enthält krebserregende Stoffe." Ginge es nach ihm, würde auf dem Bundeswehrgelände ein Wald gepflanzt werden.

Je näher, desto besser finden hingegen die vielen Planespotter. Verteilt rund um den Flugplatz versuchen sie, die Flugzeuge möglichst gut zu fotografieren. Einige haben sich sogar extra Urlaub genommen, sind aus Bayern und Großbritannien angereist.

Elf Tage Alarm am Himmel über Schleswig-Holstein, gezeigt aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Autor/in
Sophia Stritzel
Produktionsleiter/in
Angela Hennemann
Redaktion
Sven Nielsen
Redaktionsleiter/in
Katrin Glenz