Adam & Ida

Die lange Suche der Zwillinge

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, 13. November 2024, 00:00 bis 01:20 Uhr

Die jüdischen Zwillinge Adam und Ida Paluch sind drei Jahre alt, als sie 1943 im jüdischen Getto der damals schlesischen Stadt Sosnowiec durch die Nazis voneinander getrennt werden. Ihre Mutter nimmt sich aus Verzweiflung das Leben.

Adam kommt ins KZ Majdanek, Ida kann sich verstecken. Beide überleben den Holocaust und werden nach Kriegsende von polnischen Pflegefamilien aufgenommen. Erst nach 53 Jahren finden sie sich wieder. Aber ist es ein Happy End?

Adam - getrieben von der Frage: Wer bin ich?

Familienfoto von Adam, Ida, Mutter und ihrer Schwester. Ida vermisst ihre ältere Schwester Genia. Von ihr fehlt bis heute jede Spur. © Ida Paluch
Familienfoto von Adam, Ida, Mutter und ihrer Schwester. Ida vermisst ihre ältere Schwester Genia. Von ihr fehlt bis heute jede Spur.

Adam wird sich seiner jüdischen Herkunft früh bewusst, kennt aber mehr als 50 Jahre lang weder seinen richtigen Namen noch seine Herkunft. Geplagt von der ständigen Frage "Wer bin ich?", reißt er als Kind immer wieder aus, um seine Familie zu suchen. Als junger Erwachsener heuert er bei der Marine an. Mit dem Ziel, bei jüdischen Gemeinden in aller Welt mehr über seine Herkunft herauszufinden. Ohne Erinnerung an seine frühe Kindheit bleibt die Suche aber erfolglos.

Ida gibt die Suche nach ihrem Zwillingsbruder nie auf

Ida Paluch indes kann sich an das Trauma von Sosnowiec gut erinnern. Mittlerweile lebt sie in Chicago, gibt die Suche nach ihrem Zwillingsbruder aber nie auf. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gibt es neue Hoffnung: Eines Tages meint Ida, ihren Bruder auf einem Zeitungsfoto zu erkennen und nimmt Kontakt auf.

Das Wunder geschieht: Die Geschwister finden sich wieder

Adam und Ida Paluch. © NDR/Hoferichter & Jacobs GmbH
Die Suche nach dem jeweils anderen hat ein glückliches Ende gefunden. Aber ist das auch ein Happy End für Adam und Ida Paluch?

Nach einem halben Jahrhundert der Suche fallen sich die beiden 1995 schließlich in die Arme. Damit beginnt für beide ein neues Leben. Bedeutet das also ein Happy End? Diese Frage bleibt offen, besonders für Adam, der sein altes Leben in Polen mitsamt Frau und Kindern hinter sich lässt, um zu seiner Schwester in die USA zu ziehen.

Sein neuer Lebensabschnitt ist geprägt vom lang ersehnten Gefühl der Zugehörigkeit, aber auch von der Zerrissenheit zwischen der neuen und der alten Welt, zwischen den Religionen, der neuen und der alten Familie. Für ihn verlagert sich die lebenslange Frage des "Wer bin ich wirklich?" zum "Wer will ich sein?".

Eine Geschichte über Verlust und Zugehörigkeit

Zum ersten Mal in ihrem Leben erzählen Adam und Ida Paluch einem deutschen Filmteam ihre Lebensgeschichte, eine unglaubliche Geschichte über Verlust, Zugehörigkeit und die verzweifelte Suche nach Identität. Dabei ist ein Film entstanden, der eine enorme emotionale Spannweite entfaltet, von den grauenhaften Erlebnissen des Holocaustes über das anrührende Miteinander der alternden Zwillinge bis hin zu den unterhaltsamen Momenten, in denen deutlich wird, mit wie viel Lebensmut und Trotz sie ihr Leben meistern.

"Adam & Ida" ist aber auch ein Film über das Verlorensein zwischen den Welten, Religionen und Nationalitäten. Ein Film über alte und neue Wunden, die der Holocaust gerissen hat. Und damit ein unausgesprochenes Plädoyer gegen einen "Schlussstrich" unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte.

Ida Paluch Kersz
Unveiled Memories. Twins Reunited After the Holocaust
Herausgeber: ‎IPK Books; Illustrated Edition (15. November 2019)
Sprache: ‎Englisch
Taschenbuch: ‎ 164 Seiten
EAN: 978 05 78 59 22 75
ISBN: 05 78 59 22 74

Frühe Erinnerungen als künstlerische Animation

Der Film erzählt die Geschichte der Zwillinge mithilfe künstlerischer Animationen, welche die oft nur vagen Erinnerungen illustrieren. Die Animationen sind dabei nicht fotorealistisch, sondern auf das Wesentliche reduziert, um das Parabelhafte der Geschichte zu betonen.

Dabei verändert sich die Bildästhetik über die Lebensjahre: Die Erinnerungen an die ersten, entscheidenden Lebensjahre sind größtenteils nur schemenhaft; später gewinnen die bildlichen Darstellungen an Konturen, werden "erwachsener" und realistischer.

Dabei bleiben die Animationen aber streng subjektiv und sind vor allem eine Verbildlichung von Adams und Idas ganz persönlichen Erinnerungen, die einzelne Gegenstände oder Gefühle in den Fokus rücken, andere Dinge oder Figuren aber ausblenden oder nur schemenhaft darstellen.

Weitere Informationen
Zeichnung: Adam und Ida als Kleinkinder. Die beiden Zwillinge halten Händchen als Kinder. © NDR/Hoferichter & Jacobs GmbH

Podcast: Adam & Ida (1/3)

Zwei Kinder, Adam und Ida, im Krieg getrennt und ohne ihre leiblichen Eltern aufgewachsen, sind lebenslang auf der Suche nacheinander. Sie sind Zwillinge. mehr

Eindringliche Klangwelten illustrieren Gefühle

Ergänzt werden die Bilder durch ein sorgfältiges Sounddesign, welches eindringliche Klangwelten schafft, um die Erinnerungen und Gefühle der Zwillinge zu illustrieren: das Lachen der Mutter, das Schlagen der Soldatenstiefel oder das Rattern der Züge. Denn oft sind es die Geräusche und Stimmen, die einem im Gedächtnis bleiben. Ein Film über das Dazugehören und das Verlorensein.

Regie
Jan Tenhaven
Autor/in
Jan Tenhaven
Tilman Müller
Redaktion
Timo Großpietsch
Produktionsleiter/in
Virginia Maassen
Jost Nolting
Redaktion
Grosspietsch, Timo
NDR Logo
Dieser Artikel wurde ausgedruckt unter der Adresse: https://www.ndr.de/fernsehen/Adam-Ida,sendung1285532.html