Bestimmungen zur Vergabe von Auftragsproduktionen
Gesetzliche Bestimmungen, die die Vergabe von Auftrags- und Koproduktionen der Landesrundfunkanstalten an Produktionsfirmen regeln, existieren nicht. Zwar zählen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13.12.2007 (Rs. C-337/06) zu den öffentlichen Auftraggebern im Sinne des Vergaberechts. § 100a Abs. 2 Nr. 1 GWB nimmt jedoch audiovisuelle Leistungen, wie den Kauf, die Entwicklung, die Produktion oder Koproduktion von Programmen, von der Verpflichtung zur Anwendung des öffentlichen Vergaberechts ausdrücklich aus. Der Kernbereich der Geschäftstätigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unterliegt somit nicht dem förmlichen Vergaberecht.
Interne Regelungen
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben die Vergabe von Auftrags- und Koproduktionen jedoch intern geregelt. Ziel dieser Regelungen ist die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Auftragsvergaben sowie die Herstellung der Transparenz von Beschaffungsprozessen. Die Vergabe hat der NDR wie folgt geregelt:
1. Vorbereitung von Produktion und Produktionsvertrag
Die Produktionsleitungen der Abteilung Auftrags- und Koproduktionen bereiten im Rahmen
- des Prinzips der Funktionstrennung und
- des Vier-Augen-Prinzips
den unterschriftsreifen Abschluss der Produktionsverträge und damit den zentralen Auslöser der Produktion vor. Abgeschlossen werden kann der Produktionsvertrag erst nach Erteilung einer Produktionsgenehmigung. Mit dem Genehmigungsprozess ist gewährleistet, dass das Vier-Augen-Prinzip bei den betrieblichen Abläufen im NDR eingehalten wird. Bis zum Abschluss eines Auftrags- oder Koproduktionsvertrages sind neben den Vorgaben des Regelwerk Fernsehens eine Vielzahl spezifischer Prozessschritte nur für Auftrags- und Koproduktionen einzuhalten.
2. Programmidee und Auswahl des*der Produzenten*Produzentin
Grundsätzlich ist der NDR in der Auswahl eines*einer Produzenten*Produzentin frei. Dieser Grundsatz gilt sowohl für mit dem NDR konzernverbundene als auch für nicht verbundene Produktionsunternehmen. Es existiert keine Quotenvorgabe für die Auftragsvergabe an verbundene Unternehmen. Diese müssen sich mit den anderen Marktteilnehmern zu markt- und branchenüblichen Konditionen um Aufträge des NDR bemühen und dabei die Etatansätze des NDR berücksichtigen.
Kommt die Programmidee von einem*einer Produzenten*Produzentin, wird sie i. d. R. auch mit ihm*ihr als Produzent*in umgesetzt. Das gilt erst recht dann, wenn die Programmidee als Werk urheberrechtlich geschützt ist. An ein solches Werk ist das sog. Verfilmungsrecht geknüpft, also das ausschließliche Recht, das Werk audiovisuell umsetzen zu dürfen.
2.1 Schutz der Programmidee
Eine Programmidee kann speziell im Hinblick auf einen bestimmten Sendeplatz, ein Genre oder eine Programmfarbe entwickelt worden sein. Eine bloße Programmidee ist erst in ihrer konkreten schriftlichen Ausgestaltung schutzfähig. Die schriftliche Ausgestaltung bedarf einer eigenständigen Schöpfungshöhe und Individualität. In der Film- und Fernsehbranche wird zumindest eine Ausarbeitung in Form eines Exposés (bei einer Idee für eine fiktionale Produktion) oder eines Konzepts (bei einer Idee für eine non-fiktionale Produktion) verlangt, das nicht weniger als drei bis fünf DIN A4-Seiten umfassen sollte. Die Programmidee kann aber auch in einem sog. vorbestehenden Werk enthalten sein, das ursprünglich nicht zur Umsetzung als Produktion vorgesehen war. Der Regelfall sind Buchvorlagen wie Romane, Novellen etc. Sie besitzen die für einen urheberrechtlichen Schutz notwendige Schöpfungshöhe und Individualität und sind damit urheberrechtlich geschützte Werke. Im Fall einer Produzentenbindung kann der NDR die Entscheidung für oder gegen den Erwerb und die Umsetzung der Programmidee nur noch über eine nachgelagerte wirtschaftliche Betrachtung herbeiführen.
2.2 Erwerb des Verfilmungsrechts ohne Produzent*innenbindung
Das Verfilmungsrecht an bereits ausgearbeiteten, i. d. R. literarischen Stoffen oder an einer bloßen, in einem Exposé ausgeführten Programmidee kann vom NDR auch ohne Produzent*innenbindung erworben werden. Das ist bspw. dann der Fall, wenn sich der NDR gezielt an Autor*innen, Agenturen oder Verlage wendet. Diese sind i. d. R. nicht unmittelbar mit einem*einer Produzenten*Produzentin verbunden. Verträge zum Erwerb von Verfilmungsrechten (als Exposé-, Treatment-, Drehbuch- und Stoffrechteverträge) werden von der Abteilung Lizenzen Fernsehen des NDR ausgestellt und verantwortet.
Auch gegenüber einem*einer Produzenten*Produzentin kann sich der NDR im Rahmen einer Projektentwicklung im Einzelfall vertraglich ausbedingen, Stoff oder Drehbuch mit einem*einer Produzenten*Produzentin seiner Wahl umzusetzen. Die Beauftragung des*der Produzenten*Produzentin zur Erteilung eines Drehbuchauftrages an eine*n Autor*in oder zum Kauf von Stoffrechten von einem Verlag erfolgt über einen Produktionsvorbereitungsvertrag, der in der Verantwortung der zuständigen Produktionsleitung der Abteilung Auftrags- und Koproduktionen liegt.
In beiden genannten Fällen ist vorab eine Projektgenehmigung erforderlich, mit der sog. Vorabmittel zum Erwerb des Verfilmungsrechts freigegeben werden. Bei der Verhandlung der Beträge sollen die einschlägigen Vergütungsrahmen beachtet werden (NDR-Vergütungstabelle Fernsehen bzw. Regelsammlung der Bühnenverlage in der jeweils aktuellen Fassung).
2.3 Eigene NDR Programmidee ohne Produzent*innenbindung
Kommt die Programmidee aus dem NDR selbst, erwirbt der NDR, sofern nicht ausdrücklich anders geregelt, über seine Mitarbeiter*innenverträge alle Nutzungsrechte an den urheberrechtlich relevanten Leistungen der Mitarbeiter*innen inkl. des genannten Verfilmungsrechts. Aus Gründen der Klarstellung und Dokumentation sollte aber zusätzlich in einer kurzen schriftlichen Vereinbarung festgehalten werden, dass der*die Mitarbeiter*in mit der Nutzung einverstanden ist.
2.4 Projektbezogene Ausschreibung ohne Produzent*innenbindung
Verfügt der NDR über die Nutzungsrechte an einer als Werk geschützten Programmidee und/oder an vorbestehenden Werken, ohne einer Produzent*innenbindung zu unterliegen, gilt der o. g. Grundsatz: Der NDR ist in der Auswahl seiner Produzenten*innen frei. Allerdings muss dann eine projektbezogene Ausschreibung durchgeführt werden.
Die projektbezogene Ausschreibung unterliegt den nachstehenden Vorgaben:
2.4.1 Frist der Ausschreibung
Ein projektbezogenes Ausschreibungsverfahren soll spätestens 13 Wochen vor dem geplanten Produktionsbeginn von der zuständigen Redaktion eingeleitet werden.
2.4.2 Form der Ausschreibung
Für das Ausschreibungsverfahren genügt die Einhaltung der Textform durch E-Mail. Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit und Dokumentation soll der dazu geführte E-Mail-Verkehr vollständig aufbewahrt werden (entweder in Dateiform abgespeichert oder ausgedruckt in Papierform), bis die Produktion durch die zuständige Produktionsleitung abgerechnet worden ist.
2.4.3 Anzahl und Auswahl der Teilnehmer*innen der Ausschreibung
Die Ausschreibung soll sich nur an eine begrenzte Anzahl von Teilnehmer*innen richten. Angesprochen werden sollen mindestens drei, maximal aber fünf Produzent*innen. Redaktion und Produktionsleitung treffen nach dem Vier-Augen-Prinzip gemeinsam die Auswahl der zu beteiligenden Produktionsunternehmen. Ein Auswahlkriterium ist bspw. die durch – soweit vorhanden – vergleichbare Referenzproduktionen belegte Kompetenz der Produzent*innen. Diese Kompetenz kann u. a. durch die Fähigkeit zu etatgerechten Kalkulationen sowie die frist- und budgetgetreue Herstellung und Lieferung von Produktionen an den NDR oder andere Rundfunkanstalten der ARD belegt werden.
2.4.4 Identische Informationen an alle Teilnehmer der Ausschreibung
Um eine Vergleichbarkeit der zu liefernden Angebote zu gewährleisten, sollen die angesprochenen Produzent*innen identische Informationen zum geplanten Programmvorhaben erhalten. Der Versand der Informationen soll zum selben Zeitpunkt erfolgen. Wird einem*einer Produzenten*Produzentin die Möglichkeit zu zusätzlichen Informationsgesprächen oder Nachverhandlung des abgegebenen Angebots gegeben, ist diese Möglichkeit allen anderen Produzent*innen ebenfalls anzubieten.
Zu den Informationen können gehören:
- die Beschreibung der NDR-Programmidee,
- eine kurze Beschreibung des Sendeplatzes,
- im Einzelfall und nach Absprache zwischen Redaktion und Produktionsleitung die Angabe einer ungefähren Größenordnung des auf dem Sendeplatz zur Verfügung stehenden Budgets,
- Ort und Zeitpunkt des Erstgesprächs zwischen NDR und Produzent*in,
- der Zeitpunkt, bis wann die Entscheidung fallen wird,
- ein Muster der aktuellen Version des NDR-Standard-Produktionsvertrages (PV),
- ein Katalog der vom*von der Produzenten*Produzentin einzureichenden Materialen und Unterlagen,
- Hinweise, dass die vom*von der Produzenten*Produzentin ausformulierten Vorschläge zur Umsetzung der NDR Programmidee nicht ohne dessen*deren Zustimmung verwendet werden,
- Materialien und Unterlagen so vollständig, detailliert und übersichtlich aufbereitet sein sollen, dass der NDR kurzfristig in der Lage ist, eine programmliche Entscheidung zu fällen,
- für den Fall des Zuschlags sowie der Erteilung einer NDR Produktionsgenehmigung die Beauftragung ausschließlich auf Basis des Vertragsmusters und des darin aufgeführten Rechtekatalogs erfolgen wird,
- die Kosten (nur Nettofertigungskosten mit Umsatzsteuer, keine Handlungskosten, kein Gewinn) zur Erstellung von Materialien und Unterlagen erstattungsfähig sind, soweit Aufwände und Höhe der Kosten ausdrücklich vor Einreichung der Materialen und Unterlagen vereinbart worden sind und eine entsprechende Projekt- oder Produktionsgenehmigung vorliegt,
- die Kosten von nicht abgesprochenen und/oder unaufgefordert zugesandten Materialien und Unterlagen nicht erstattet werden.
2.4.5 Einzureichende Angebotsunterlagen
Zu den vom*von der Produzenten*Produzentin zu liefernden Materialien und Unterlagen können gehören:
- eine die Programmidee des NDR ansprechende Umsetzung, mindestens als ausgearbeitetes Exposé oder Konzept (mind. fünf bis zehn DIN A4-Seiten),
- additiv je nach Projektentwicklung Storyboard, Treatment, Drehbuchauszug, idealtypischer Ablauf einer Pilotsendung,
- additiv je nach Projekt ein kurzer Trailer (max. Länge zwei Min.),
- eine erste Angebotskalkulation,
- Vorschläge zu Stab-/Besetzungs-/Motivlisten,
- Herstellungsplan,
- Finanzierungsplan (bei von vornherein als teilfinanziert geplanten Produktionen).
2.4.6 Entscheidung im Ausschreibungsverfahren
Die Entscheidung erfolgt nach Maßgabe des qualitativen Anspruchs, der Qualifikation des*der Produzenten*Produzentin sowie seiner*ihrer Fähigkeit zum Projektmanagement. Weiterhin ist die Wirtschaftlichkeit des Angebots zu berücksichtigen. Das bedeutet nicht, dass zwangsläufig das Angebot mit dem niedrigsten Preis auszuwählen ist.
Der Entscheidungsvorschlag von Produktionsleitung und Redaktion wird zusammen mit einer kurzen schriftlichen Begründung folgenden Stellen des NDR zur Genehmigung vorgelegt:
- bei einem kalkulierten Auftragswert von bis zu 150.000 € der jeweiligen Programmbereichsleitung sowie der Leitung der Abteilung Auftrags- und Koproduktionen
- bei einem kalkulierten Auftragswert von bis zu 400.000 € dem*der NDR Programmdirektor*in Fernsehen sowie dem*der Leiter*in der Hauptabteilung Planung und Steuerung der Produktionsdirektion,
- ab einem kalkulierten Auftragswert von mehr als 400.000 € dem*der NDR Produktionsdirektor*in sowie dem*der NDR Programmdirektor*in Fernsehen.
2.4.7 Kommunikation des Ausschreibungsergebnisses
Alle teilnehmenden Produzent*innen werden schriftlich über das Ergebnis informiert. Im Schreiben an denjenigen*diejenige Produzenten*Produzentin, der*die den Zuschlag erhält, ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Zuschlag unter dem Vorbehalt der Erteilung einer Produktionsgenehmigung des NDR sowie des Abschlusses eines wirksamen Produktionsvertrages steht.
2.5 Verzicht auf projektbezogene Ausschreibung
In Ausnahmefällen kann von dem Ausschreibungsverfahren abgesehen und ein*e Produzent*in direkt beauftragt werden. Die Gründe, die für eine Ausnahme sprechen, müssen schriftlich und sachlich nachvollziehbar von Redaktion und Produktionsleitung dargelegt werden.
Zuständig für die Entscheidung, ob von einer Ausschreibung abgesehen werden kann, sind bei einem Programmvorhaben,
- dessen geschätzte direkte Kosten unter 150.000 € liegen, der*die zuständige Leiter*in des Programmbereichs (bzw. in den Landesfunkhäusern die Leitung des Bereichs Fernsehen) zusammen mit der Leitung der Abteilung Auftrags- und Koproduktionen,
- dessen geschätzte direkte Kosten über 150.000 € liegen, der*die NDR Programmdirektor*in Fernsehen (bzw. die Direktor*innen der Landesfunkhäuser) sowie der*die NDR Produktionsdirektor*in.