Stand: 05.05.2019 17:46 Uhr

Kunstraub im NDR: Nolde und die "Sonnenblumen"

von Gabriele Büchelmaier
NDR Intendant Lutz Marmor und zwei Mitarbeiter betrachten das Gemälde "Sonnenblumen" von Emil Nolde © dpa - Bildfunk Foto: Christian Charisius
NDR Intendant Lutz Marmor (v. l n. r.), NDR Justitiar Michael Kühn und NDR Pressesprecher Martin Gartzke präsentieren die wieder aufgetauchten "Sonnenblumen" von Emil Nolde auf einer Pressekonferenz.

Vor fast 40 Jahren sind beim NDR in Hamburg zwei wertvolle Kunstwerke von Emil Nolde spurlos verschwunden. Sie wurden aus verschlossenen Büros gestohlen. Die Ermittlungen der Polizei blieben erfolglos. Eines dieser Kunstwerke ist überraschend wieder aufgetaucht: das Gemälde "Sonnenblumen".

Es ist ein heißes Pfingstfest 1979. Nicht nur das Büro des damaligen NDR Justitiars - und späteren NDR Intendanten - Jobst Plog ist über die Feiertage verwaist; in einem Teil des Verwaltungstrakts auf dem NDR Gelände an der Hamburger Rothenbaumchaussee stehen viele Büros leer. Das dürfte den Diebstahl erleichtert haben. Den Diebstahl zweier Gemälde von Emil Nolde, eines aus dem Büro des Justitiars und eines aus der Intendanz. Gesamt-Schätzwert zu der Zeit: rund 200.000 DM. Keine Einbruchsspuren, keine Aufklärung, die Staatsanwaltschaft legt den Fall zu den Akten. Das Ölbild "Sonnenblumen" und das Aquarell "Landschaft mit Bauernhaus" bleiben verschwunden.

Verdacht fällt auf Ex-Produktionsmitarbeiter

Knapp 40 Jahre später meldet sich eine Berliner Anwältin bei NDR Justitiar Dr. Michael Kühn: Eine ihrer Mandantinnen sei im Besitz eines echten Emil Noldes. Ihr inzwischen verstorbener Ehemann habe das 1926 entstandene Bild "Sonnenblumen" seinerzeit von einem Freund geschenkt bekommen. Dieser Freund - so stellt sich schnell heraus - war zum Zeitpunkt des Diebstahls Produktionsmitarbeiter beim NDR, auf den ebenfalls bereits verstorbenen Mann fällt jetzt ein schwerwiegender Verdacht. Angeblich hatte er das Gemälde für "kleines Geld" aus dem Requisitenfundus des NDR erworben.

Ihre Mandantin, so die Anwältin weiter, sei bisher davon ausgegangen, dass es sich bei dem Gemälde um eine Kopie handele. Durch eigene Recherchen habe sie jetzt aber festgestellt, dass das Bild echt sei und wolle es dem NDR zurückgeben.

NDR muss Bild zurückkaufen

Rechtlich gesehen nicht so einfach. Denn nach zehn Jahren erlischt der Anspruch des ursprünglichen Eigentümers auf Herausgabe, sofern der aktuelle Besitzer gutgläubig ist. Um wieder an das Bild zu kommen, müsste der NDR es zurückkaufen. Intensive Beratungen und Verhandlungen folgen. Die Einigung mit der Berliner Besitzerin läuft schlussendlich auf die Zahlung einer "Aufwandsentschädigung" in Höhe von 20.000 Euro hinaus.

Bild auf Echtheit geprüft

Bevor es soweit ist, wird das Bild jedoch auf Herz und Nieren geprüft. Das Berliner Forschungslabor Rathgen - das älteste und eines der renommiertesten der Welt - wird mit der Untersuchung beauftragt. Das Forschungslabor arbeitet sich mit größter Sorgfalt durch die erforderlichen Materialprüfungen. Im Mittelpunkt steht die Frage: Ist dieses Gemälde eine Fälschung? Die Röntgenanalyse einzelner Farbpigmente und über 200 andere akribische Untersuchungenzeigen jedoch einwandfrei, dass es sich bei den verwendeten Farben und Materialien tatsächlich um solche aus den 1920-erJahren handelt. Der erste Schritt in Richtung Bestätigung der "Echtheit" ist getan.

Dies ist allerdings noch kein Beweis dafür, welche Person diese Materialien zu der fraglichen Zeit verwendet hat, der Urheber des Werkes ist noch nicht bestimmt.

Es ist ein Nolde!

Hier kommen der Nolde-Experte Manfred Reuther und der Kunsthistoriker Ulrich Krempel ins Spiel, die ihre Expertise zu dem wertvollen Fund abgeben. Auch ihre Untersuchungen lassen keinen Zweifel aufkommen - es ist ein echter Nolde! Und zwar das erste Bild mit dem Sonnenblumen-Motiv, das der Maler im Verlauf seines Lebens insgesamt über 50 Mal wieder aufgenommen hat. Es wurde erstmalig 1930 bei einer Ausstellung in Pittsburgh in den USA gezeigt.

Wert: rund eine Million Euro

Und was bedeutet das für den Wert des Gemäldes? Das Auktionshaus Sotheby’s schätzt ihn auf rund eine Million Euro. Adolf Grimme, Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, hatte es 1950 für 10.000 D-Mark erworben - direkt vom Künstler, mit dem er persönlich bekannt war.

Und woher nahm Grimme das Geld? Es kam aus den Rundfunkgebühren. Da der Rundfunk seinerzeit wie andere öffentliche Institutionen verpflichtet war, auch die bildende Kunst zu unterstützen, waren Ankäufe kein ungewöhnlicher Vorgang. Auch flossen Gebühren, die nicht für das Programm verwendet wurden, direkt in die Kulturfonds der Länder. Unterstützt wurden damit Einrichtungen wie Theater, aber auch Schriftsteller, die im Gegenzug den Auftrag bekamen, Hörspiele für den Rundfunk zu schreiben. Heute würde man es eine win-win-Situation nennen. 

Bild wird in Norddeutschland öffentlich gezeigt

Auch der NDR wird seinem kulturellen Auftrag gerecht und macht das Gemälde der Öffentlichkeit zugänglich. So werden die „Sonnenblumen“ bis 2022 in den großen Kunstmuseen der vier NDR Staatsvertragsländer gezeigt– den Auftakt bildet  2019 das Sprengel-Museum in Hannover. Es folgen die Kunsthalle in Hamburg (2020), die Kunsthalle Kiel (2021) und das Staatliche MuseumSchwerin (2022).

Und die "Landschaft mit Bauernhof"? Ist bis heute verschwunden.

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