Stand: 29.06.2016 10:43 Uhr

121 Leben in 18 Stunden

von Juliane von Schwerin

"Zeig uns wie Du lebst!“ – unter diesem Motto hatten der NDR und Radio Bremen die Menschen im Norden im Herbst 2011 aufgerufen, Teil des großen Medienereignisses "Der Tag der Norddeutschen“ zu werden.

Wie lebt, wie liebt, wie lacht der Norden, was bewegt die Menschen hier, was macht sie glücklich, was macht sie traurig, was macht ihren Tag so einzigartig? Was denkt der Bäcker auf Pellworm, wenn er morgens um 6.00 Uhr in seiner Backstube steht und was die Burlesque-Tänzerin mitternachts auf der Bühne?

Auf diese Spurensuche begaben sich ein großes NDR Team des NDR und die TV-Plus-Filmproduktion und entwickelten daraus die bisher längste Dokumentation des NDR Fernsehens. Das Leben von 121 Menschen an einem Tag, in 18 Stunden, parallel montiert und in Echtzeit gesendet.

Die Protagonisten

16 NDR Programme, zwei von Radio Bremen und drei Medienpartner (BILD, Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag und Hannoversche Allgemeine Zeitung) beteiligten sich unter Federführung des Programmbereichs NDR Fernsehen und Koordination daran, eine spannende und vielfältige Auswahl von Menschen zu finden. Alle unter einem Claim und mit der jeweils für die Welle oder das Programm speziell arrangierten Musik des Hannoveraner Star-Produzenten Mousse T. Die Resonanz war großartig, mehr als 1.000 Menschen wollten sich einen Tag lang mit der Kamera begleiten lassen.

Mousse T. sitzt im Peppermint Studio vor einem Keyboard und Computerbildschirm. © NDR Foto: Angela Hübsch
Der bekannte Hannoveraner Musikproduzent Mousse T. sorgte für die richtige Musik - für jede Welle und jedes Programm.

Nach aufwändigen Sichtungen und Recherchen konnten Hörer und Zuschauer im Internet darüber abstimmen, wer dabei sein sollte – mehr als 350.000 Klicks wurden bei diesem Voting gezählt, über die Hälfte der Protagonisten wurde so ausgewählt. Aus dramaturgischen Gründen ergänzte die Redaktion die Auswahl um weitere Personen inklusive zwölf Prominenter, die neue und unbekannte Seiten ihres Lebens im Alltag preisgaben.

Der Drehtag

Rund 100 Kamerateams machten sich dann am 11. Mai 2012 auf, um das Leben von 121 Menschen aus allen fünf norddeutschen Bundesländern mit der Kamera zu begleiten. Von 6.00 Uhr morgens bis Mitternacht. Das war der spannendste Tag der ganzen Produktion. Alles war bis ins Detail vorbereitet: Die Einstellungen der Kameras waren genau vorgegeben, vorher ausprobiert und optimiert worden - Qualität und Bildsprache sollten trotz der vielen verschiedenen Teams am Ende gleich aussehen. Die Tagesabläufe der Protagonisten waren minutiös recherchiert.

NDR 1 Welle Nord Moderator Jan Bastick wird am Tag der Norddeutschen von einem Kamerateam des NDR Fernsehens begleitet.  Foto: Kay Madsen-Kragh
Die Kamera war am "Tag der Norddeutschen" immer dabei. Hier NDR 1 Welle Nord Moderator Jan Bastick im Gespräch mit einem Passanten.

Aber trotz dieser monatelangen Vorbereitungen kann man so einen Drehtag nicht im Detail planen. Natürlich hält das Leben an einem ganz normalen Tag im Norden auch seine ganz normalen Überraschungen bereit. Allein das Wetter hatte einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf der Dreharbeiten. Zum Glück war es am Ende nicht ganz so schlecht wie die Vorhersage, und gedreht werden konnte überall, wenn auch mancherorts unter etwas widrigen Umständen. Eine riesige Freude für alle Beteiligten war die Geburt eines kleinen Mädchens vor laufender Kamera in Waren an der Müritz, auch so etwas kann man vorher nicht planen. "Ich habe mich noch nie so norddeutsch gefühlt“ – mit diesen Worten fasste einer der Protagonisten seinen Tag zusammen. Das Ergebnis: über 700 Stunden Drehmaterial.

Der Schnitt

"Es fühlt sich an, als würde man eine Schatzkiste öffnen. Das Leben von 121 Menschen in Echtzeit. Freud und Leid ganz nah, Geburt, Hochzeit und Bestattung. Wir erleben den Tag unter Wasser, auf dem Land und in der Luft. Die Montage dieses Films ist eine wunderbare Herausforderung.“ So beschrieb Regisseurin Franziska Stünkel das Gefühl  beim Sichten des Materials. Nun galt es, diese Menge an besonderen Momenten, O-Tönen und Orten zu sortieren und so zu montieren, dass am Ende ein umfassendes Porträt der Lebenswelt der Norddeutschen entsteht.

Mit ihrem Team von Cuttern und in enger Zusammenarbeit mit der Redaktion von NDR und TV-Plus bewältigte Franziska Stünkel diese Aufgabe in vier Monaten bravourös, und am Ende standen 15 Stunden Dokumentation, unterlegt mit der Musik von Mousse T., die er – ebenfalls begleitet von Kameras – mit dem NDR Pops-Orchestra eingespielt hatte. Hochwertig produzierte Grafiken dienten zur Orientierung und bildeten den roten Faden der Sendung. Eine Besonderheit in der Dramaturgie war der komplette Verzicht auf Kommentartext: zu Wort kamen nur die Hauptpersonen, die 121 Menschen aus dem Norden.

Der Sendetag

Für den Sendetag, den 10. November 2012, setzte das NDR Fernsehen sein Programmschema außer Kraft und zeigte von morgens 6 Uhr bis Mitternacht den "Tag der Norddeutschen“ - einzige Ausnahme bildeten die Landesmagazine und die Tagesschau. Moderator Hinnerk Baumgarten hatte sich besonders auf diese Mammutaufgabe gefreut. Während des gesamten Produktionszeitraumes war er in das Projekt eingebunden und ließ sich von Anfang an vom "Tag der Norddeutschen“–Fieber anstecken. Diese Begeisterung hielt dann auch über die lange Sendestrecke mit den 17 kurzen Live-Studioteilen, in denen er zahlreiche Protagonisten im Studio begrüßte und mit ihnen über den Norden sowie ihre Erlebnisse am Drehtag und danach sprach.

Hinnerk Baumgarten. © NDR, fotolia Foto: Beboy, N-Media-Images
Marathon-Mann: Hinnerk Baumgarten moderierte am "Tag der Norddeutschen" ein bißchen länger.

Im Internet gab es die gesamte Sendung als Livestream, direkt oder über soziale Netzwerke konnten Kommentare abgegeben werden. Das wurde ausgiebig genutzt, und die meisten Bewertungen fielen sehr positiv aus: "Endlich wissen wir, wofür wir Gebühren zahlen“ oder "Guck mal RTL, so geht Fernsehen“. Über eine NDR Text-Seite konnte man sich die Live-Kommentare auch direkt auf den Fernsehbildschirm holen.

Die Reaktion

Diese positive Resonanz schlug sich auch in der Quote nieder. Der Tagesmarktanteil im NDR Sendegebiet lag mit 8,7 Prozent deutlich über dem Jahresschnitt des NDR Fernsehens. Und - trotz starker Konkurrenz - um 2,1 Prozentpunkte über dem durchschnittlichen Tageswert des NDR Fernsehens für einen Samstag. Bundesweit schauten über den Tag verteilt 6,58 Mio. Menschen mindestens eine Minute in den "Tag der Norddeutschen“ hinein. Vor allem in der jungen Zielgruppe war das Angebot erfolgreich, rund ein Drittel der Zuschauer gehörte zur Gruppe der 14- bis 49-Jährigen. Diese Tendenz spiegelt auch der große Zuspruch des attraktiven und ständig aktualisierten Internetangebotes wider, insgesamt wurde die Seite ca. 2,5 Mio. Mal aufgerufen.

Die Bilanz

Kamerateam bei Ponik & Petersen im Studio zum Tag der Norddeutschen am 11. Mai 2012 © NDR 2 Foto: Jochen Moseberg
Gruppenbild mit Kamerateam (v.li.): Holger Ponik, Kameramann Philip, Ausnahmeleiterin Claudia, Ilka Petersen, Flo (Ton).

"Der Tag der Norddeutschen“ hat in bester Manier gezeigt, welche publizistische Schlagkraft der NDR entfalten kann, wenn alle Programme und Bereiche zusammenarbeiten. Der gemeinsame Aufruf, das Voten der Kandidaten über die einzelnen Programme sowie die intensive Bewerbung des Sendetages im Vorfeld machten den "Tag der Norddeutschen“ zu einem unvergleichlichen trimedialen Medienereignis in Norddeutschland. Auch das Presseecho war sehr groß, gerade in den regionalen Publikationen, die "ihre“ jeweiligen Protagonisten vorgestellt und begleitet hatten. 

Andreas Kuhlage und Jens Hardeland im Multimedialabor
Auch sie waren mit von der Partie: die N-JOY Morningshow-Moderatoren Andreas Kuhlage (l.) und Jens Hardeland.

Die positive Resonanz zeigt, dass die Menschen eine Sehnsucht nach dieser intensiven und unverfälschten Darstellung des Lebens haben. "Der Tag der Norddeutschen“ ist aber auch ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sich die Norddeutschen mit ihrer Heimat identifizieren und wie spannend und vielfältig das Leben im Norden ist, auch ohne sogenannte "scripted Reality“. In diesem Format war alles echt, ungestellt, sogar unkommentiert - und gerade deshalb hat es die Menschen begeistert und an die Bildschirme gefesselt.