Stand: 11.07.2024 09:40 Uhr

Rechtsextreme Parole wird zum “Sommerhit”: deutschlandweit fast 400 Fälle

An immer mehr Orten in Deutschland wird die rechtsextreme Parole „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!“ zur Melodie des Gigi D’Agostino-Hits “L’Amour Toujours” gesungen. Das ergibt eine bundesweite Abfrage der NDR-Medienredaktion ZAPP bei allen Landeskriminalämtern, dutzenden Staatsanwaltschaften und dem Berliner Register, einer Meldestelle für Vorfälle von Diskriminierung und Ausgrenzung. Insgesamt zählt ZAPP mindestens 389 Fälle deutschlandweit zwischen Oktober 2023 und Anfang Juli 2024.

Der erste öffentlich dokumentierte Vorfall fand Mitte Oktober letzten Jahres in Bergholz in Mecklenburg-Vorpommern statt. In Neonazi-Kreisen kursierte das Lied nach ZAPP-Informationen bereits deutlich länger. Bis Ende Mai, als das Video aus der Pony-Bar in Kampen auf Sylt öffentlich wurde, gab es mindestens 70 weitere Vorfälle dieser Art in Deutschland. Nach dem Skandal hat die Zahl der gemeldeten Fälle drastisch zugenommen: mindestens 260 waren es seitdem.

Die meisten gemeldeten Vorfälle gab es demnach in Nordrhein-Westfalen (mindestens 96). Im bevölkerungsarmen Mecklenburg-Vorpommern gab es 50 Fälle. In Sachsen-Anhalt und Niedersachsen waren es jeweils mindestens 29. Für Bayern konnte ZAPP mit Abfragen an Staatsanwaltschaften 26 Fälle zählen - genauso viele wurden in Sachsen gezählt. 15 Fälle waren es in Baden-Württemberg.

Eine exakte Anzahl der Fälle lässt sich anhand der behördlichen Auskünfte nicht angeben. Viele Behörden teilen mit, dass sie derartige Vorgänge nicht systematisch erfassen. Zu einigen Vorfällen machen die Behörden keine genauen Zeit- oder Ortsangaben. Die Pressestelle der Berliner Polizei (zuständig für das LKA betreffende Anfragen) sowie einige wenige angefragte Staatsanwaltschaften, wie etwa in Thüringen, haben keine Angaben gemacht.

Die von ZAPP erfassten Zahlen bilden daher nur die Spitze des Eisbergs. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Zahl der nicht gemeldeten oder unbekannten Fälle weitaus höher liegt. Ausländerfeindliche Parolen zu dem Song „L’amour toujours“ sind zu einem über Deutschland hinaus bekannten Trend geworden: Die Neonazi-Parole wird überall gesungen: auf Volksfesten, an Schulen und in Diskotheken. Auch im Zuge der Fußball-Europameisterschaft wurden Fälle gemeldet. Ein Bundestagsabgeordneter der AfD stimmte den Song auf dem Fraktions-Sommerfest an, zum abermals abgewandelten Refrain „Maushändler Klaus“.

Simon Strick vom Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften sieht die Kombination des Liedes mit der Parole „Ausländer raus“ als erfolgreiches rechtes  „Meme“: „Ein Meme ist aus meiner Sicht eine Kollision von zwei Sachen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Diese Kollision löst eine Irritation aus: Man hat einen Neonazi-Slogan und einen Eurodance-Hit, der relativ eingängig ist.“ Der große Erfolg dieses Memes zeige laut Strick, wie Rassismus in der deutschen Gesellschaft normalisiert werde.

Dass dabei ein Eurodance-Hit genutzt werde, entspräche einer bekannten Strategie von Rechtsradikalen, meint Mario Dunkel, Professor für Musikpädagogik an der Universität Oldenburg. Diese würden schon länger gezielt „mit Humor arbeiten und dadurch versuchen, rechte Positionen in die Mitte [der Gesellschaft] zu rücken“. Dadurch könne man „auch immer wieder einen Schritt zurückgehen und sagen: Ja, aber das war eigentlich nicht so gemeint. Man kann eine extrem rechte Botschaft senden und gleichzeitig sagen: „Das war doch nur ironisch.“

Wie erfolgreich das rechtsradikale Meme ist, zeigt ein Blick auf die iTunes-Charts: Ende Mai belegten drei verschiedene Versionen von „L’amour toujours“ die Plätze 1,2 und 7. Bemerkenswert für einen Song, der ein Vierteljahrhundert alt ist.

ZAPP veröffentlicht zu dem Thema die Reportage „Ausländer Raus - Wie ein Nazi-Meme zum Sommerhit wurde“: ab sofort in der ARD-Mediathek und ab Donnerstag, 11. Juli, auf YouTube.

11. Juli 2024/ BB

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