Belästigungen und dumme Sprüche: Fußballerinnen über ihren Alltag
Während das deutsche Team bei der Fußball-Europameisterschaft derzeit bejubelt wird, sehen sich viele Fußballerinnen sonst regelmäßig mit sexistischen und herabwürdigen Kommentaren konfrontiert. Das zeigen Recherchen von NDR und Süddeutscher Zeitung. Zahlreiche Spielerinnen berichten offen von ihren Erfahrungen, sowohl im Amateurbereich als auch in der Bundesliga. So hat Ex-Nationalspielerin Tabea Kemme erst vor kurzem ein Gespräch über eine Mitspielerin erlebt, in der der Satz fiel: „Die ist auch richtig heiß, ne? Die würde ich auch mal wegbügeln wollen.“ Saskia Matheis, Bundesligaspielerin bei Werder Bremen, blieb vor allem dieser Spruch eines Mannes in Erinnerung: „Frauenfußball ist wie Pferderennen. Nur auf Eseln.“ Und Nationaltorhüterin Almuth Schult wurde von einem Journalisten gefragt: „Wie fühlt sich das an, wenn man als eine der wenigen in der Mannschaft einen Mann liebt und keine Frau?“ Er meinte damit, nur lesbische Frauen würden Fußball spielen.
Derartiger Sexismus und auch Ungleichbehandlung in den Vereinen gehörten bis heute zum Alltag von Fußballerinnen, beklagt die mehrfache Deutsche Meisterin und frühere Welttorhüterin Almuth Schult in dem Bericht, der im ARD-Magazin „Panorama“ (Donnerstag, 23:15 Uhr, ARD) gesendet wird. Dabei gehe es um anzügliche Bemerkungen von Zuschauern und sogar von Trainern und Betreuern und um sexistisches Verhalten, wie etwa einer Hand auf dem Po bei Fotos mit Fans. Den Frauen werde auch sehr oft die Kompetenz im Fußball abgesprochen. Viele Spielerinnen fühlten sich ignoriert und belächelt.
Für die Kreisligaspielerin Franziska Bielfeld scheint es so, als ob das für viele in ihrem Club normal sei: „Wir haben alle gelernt wegzuhören“, sagt sie. Sie nennt Beispiele für abwertende Kommentare von Zuschauern und männlichen Spielern wie „Mannsweib“ oder „Kampflesbe“. Und auch dies: „Die mit den kurzen Haaren sollte bei uns spielen. Ist das überhaupt eine Frau oder nicht? Naja, Gottseidank hat sie ja Brüste.“ Als sie sich im Namen ihres Teams bei einer Mitgliederversammlung beschwert, hätten viele mit einem Lachen reagiert. Im Anschluss sei sie sogar bedroht worden. Vom betroffenen Verein heißt es dazu: „Leider war den Verursachern wohl nicht bewusst, was sie mit ihren Äußerungen bewirkt haben.“
Für Heike Ullrich, Generalsekretärin des Deutschen Fußballs Bundes (DFB), zeigt der Fall, dass die Präventionsarbeit des Verbandes noch nicht in allen Vereinen angekommen sei: „Jeder Fall der auch wahrgenommenen Grenzüberschreitungen ist einer zu viel. Das muss angesprochen werden.“ Sie nimmt Sexismus weniger als ein spezifisches Problem im Fußball wahr, sondern als ein gesellschaftliches Thema: „Es ist unser aller Aufgabe, nicht nur die des Fußballs, des Sports, sondern unserer Gesellschaft auf diese Grenzüberschreitungen aufmerksam zu machen. Egal ob Junge oder Mädchen, Mann oder Frau, zu sagen: Ich fand das nicht gut, was du gerade gesagt hast.“
Zu sexistischen Ausfällen kommt es offenbar auch in Bundesligavereinen. Eine Spielerin spricht im „Panorama“-Bericht anonym über Vorfälle, die sie mit dem Trainer ihres Teams erlebt hat: „Er hat immer wieder Kommentare zu dem Hintern einer Mitspielerin gemacht“, berichtet sie. Eine andere Spielerin habe er gemustert und angemerkt, wie sexy sie sei. Mitspielerinnen und Betreuer bestätigen die sexistischen Sprüche des Trainers. „Du wirst nicht als professionelle Athletin gesehen“, so die Spielerin weiter. Der Trainer habe in Kabinenansprachen und beim Training die Leistung mit der der Männer verglichen: „Wir würden eh nie das Niveau der Männer erreichen.“ Verein und Trainer haben sich mittlerweile einvernehmlich getrennt.
Inzwischen gebe es für Fußballerinnen in Deutschland zwar mehr Anerkennung und Akzeptanz, oft auch bessere Bedingungen, doch gehöre eine regelmäßige Ungleichbehandlung noch lange nicht der Vergangenheit an, berichten viele Spielerinnen gegenüber NDR und Süddeutscher Zeitung. So würden männliche Jugendmannschaften für Trainingszeiten nicht selten vorgezogen, so dass Frauen nur zu Randzeiten trainieren. Das passiere nicht nur bei Amateuren, sondern auch in Profivereinen, sagt Nationaltorhüterin Almuth Schult. „Unser Gym ist nicht so groß wie bei den Männern. Wir haben keine Becken, keine Sauna“, sagt Schult über ihren langjährigen Club, den siebenfachen deutschen Meister VfL Wolfsburg, bei dem die Bedingungen im Vergleich zu anderen Vereinen noch sehr gut seien. Doch es sei beispielsweise nicht erwünscht, dass die Frauen Geräte und Räume der Männermannschaft mitbenutzten. Der VfL Wolfsburg antwortet auf Anfrage, dass sich die Trainingsbereich auf unterschiedlichen Geländen befänden und sich diese deshalb „gegenseitig nicht pragmatisch nutzen ließen“. „Gebäudebedingt“ komme es „naturgemäß zu Abweichungen einzelner Flächen“, für den Frauenbereich sei jedoch 2019 ein neuer Kabinentrakt inklusive Fitnessraum entstanden, eine Sauna werde „in Kürze“ neu installiert.
Als Fußballerin faire Bedingungen und angemessene Behandlung einzufordern, das sei ein Kampf, so Schult, und das sei oft frustrierend: „Wenn man selbst das Gefühl hat, man gibt immer schon alles und trotzdem ändert sich nichts.“ Sie wünscht sich, dass aus dem Kampf ein positiver Austausch werde. „Es ist gerade das Momentum dafür, einen Wandel hervorzurufen. Es geht schlicht um Gleichberechtigung und Chancengleichheit.“
Das ARD-Magazin Panorama zeigt am Donnerstag, 21.07., um 23:15 Uhr, nach dem Viertelfinalspiel der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft in England, einen ausführlichen Bericht zum Thema. Außerdem in der ARD Mediathek
NDR Info sendet ein Hörfunk-Feature zum Thema am Sonntag um 13:33 Uhr und am Montag, um 20:33 Uhr.
21. Juli 2022
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