Charly Dörfel: Flankengott und Entertainer
Schillerndes Original mit losem Mundwerk
Dennoch avanciert Dörfel im Laufe der Jahre zur schillernden Persönlichkeit und erwirbt gerade in der Hansestadt Legendenstatus. Nicht allein wegen seiner sportlichen Erfolge - der Meisterschaft 1960 fügt er lediglich einen DFB-Pokalsieg 1963 hinzu - oder seiner sporthistorischen Errungenschaften (erster HSV-Treffer der Bundesliga-Geschichte, erster Bundesliga-"Dreierpack"). Vielmehr erobert das unangepasste Original mit seinem losen Mundwerk und Extravaganzen die Herzen der Fans. "Charly war der Spaßvogel vom Dienst am Rothenbaum, der Liebling der Massen, extrovertiert, unberechenbar, ein Paradiesvogel, der sich in den hohen Norden verirrt hatte", heißt es in der Chronik "100 Jahre Fußball in Hamburg". Als ein Schiedsrichter den reklamierenden Dörfel einmal zum Schweigen ermahnt, dieser aber munter weiterzetert und der Referee schließlich fragt: "Ihr Name?", antwortet der damals schon allseits bekannte Außenstürmer verdutzt: "Meier", was ihm neben einem Platzverweis auch die Lacher Fußball-Deutschlands einbringt.
"Die schönste Nebensache der Welt"
Noch vor Franz Beckenbauer und Petar Radenkovic nimmt der erste bekennende Toupet-Träger der Bundesliga - seine Perücke kann im HSV Museum besichtigt werden - Schallplatten auf ("Erst ein Kuss ..." und "Das kann ich dir nie verzeih'n"). Neben dem Fußball und der Musik interessiert sich der Tausendsassa aber auch für Sportwagen und schöne Frauen. Dabei nimmt die berufliche Profession nicht unbedingt die höchste Priorität ein, wie Dörfel 2009 im Magazin "11 Freunde" bekennt: "Fußball war für mich immer die schönste Nebensache der Welt."
Wehmütiger Abschied des traurigen Clowns
Sportlich setzt die Karriere Dörfels ab Mitte der 1960er-Jahre zu keinen weiteren Höhenflügen mehr an. Zwar kürt ihn die französische Sportzeitung "L’Equipe" 1965 zum besten Linksaußen Europas, doch weitere Auszeichnungen und Titel bleiben aus. Nach rund 750 Spielen für den HSV überwirft sich das Bundesliga-Urgestein Anfang der 1970er-Jahre schließlich mit dem damaligen HSV-Coach Klaus Ochs. Dörfel wird auf seiner angestammten Position vom aufstrebenden Georg Volkert verdrängt und verlässt "seinen" Club sang- und klanglos in Richtung Südafrika, wo er bei den Highland Powers Johannesburg anheuert. Ein Abschiedsspiel bei den Hanseaten bleibt ihm verwehrt. "Herr Dörfel darf das HSV-eigene Sportplatzgelände am Rothenbaum nicht mehr betreten", heißt es seitens des Präsidiums. "Der traurige Clown nahm einen wehmütigen Abschied vom HSV", kommentiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". 1973 kehrt der Südafrika-"Legionär" in seine Heimatstadt zurück und kickt kurzzeitig beim Hamburger Club Barmbek-Uhlenhorst in der zweitklassigen Regionalliga. Nach einem Zerwürfnis spielt er noch vier Jahre in Südafrika und Kanada, ehe er 1977 endgültig die Fußballschuhe an den Nagel hängt.
Dörfel bleibt nach dem Ende seiner aktiven Karriere dem Fußball nur noch als Zuschauer verbunden. Zeitweilig tritt er sogar als Clown im Zirkus Krone auf. Beim HSV ist Dörfel noch immer ein gern gesehener Gast. Unter anderem war sein Gesicht auf der Schmuckurkunde für die Jubiläumsanleihe abgebildet, natürlich direkt neben Uwe Seeler, der anlässlich des 75. Geburtstages im September 2014 sagte: "Er war ein Weltklasse-Linksaußen, ein Flankengott. Er hat einmal den Kopf hochgenommen und der Ball kam da an, wo er hinsollte.“
- Teil 1: Steiler Aufstieg bis in die Nationalelf
- Teil 2: Schillerndes Original mit losem Mundwerk