Wie sieht es im Islam mit Sex vor der Ehe aus?
"Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?" Mit einem großen Schild hat sich Michel Abdollahi auf den Hamburger Jungfernstieg gestellt - und viele haben sein Gesprächsangebot angenommen. Eine Lehrerin aus Amrum hat die Aktion in ihr Klassenzimmer getragen und über die Anschläge auf die Redakteure von "Charlie Hebdo" sowie über die islamfeindliche Bewegung Pegida gesprochen. Die Schülerinnen und Schüler der achten Klasse haben nun ihre Fragen zum Islam gesammelt und an Michel Abdollahi geschickt.
Moin Herr Abdollahi,
heute morgen hörte ich im NDR-Info-Radio die Ankündigung zu Ihrer Aktion und habe mir jetzt den Beitrag im Internet angesehen. Danach habe ich mit meiner 8. Klasse darüber gesprochen. Auf die Frage: "Was wollt ihr wissen?", fanden sie zahlreiche Themen. Vielleicht können Sie uns bei der Beantwortung dieser Fragen helfen?
Ihre Anna Grütte
Lehrerin für Französisch und Englisch an der Öömrang Skuul, Amrum
Liebe Frau Grütte,
ich freue mich über das Interesse Ihrer Klasse und versuche die Fragen zu beantworten - immer aus meiner eigenen Sicht, denn ich spreche hier für mich.
Schülerfrage 1: Was halten Sie von den Anschlägen in Paris?
Das, was jeder zivilisierte Mensch davon halten sollte: entsetzlich, grausam und nicht zu rechtfertigen.
2: Muss man in einigen Ländern Angst vor den Islamisten haben?
Man kann sicher Angst vor Menschen haben, die versuchen mit Gewalt ihr eigenes Meinungsbild durchzusetzen, wie man auch Angst vor allen anderen Menschen haben kann, die versuchen etwas mit Gewalt durchzusetzen. Ich glaube nicht, dass man vor einer Religion Angst haben muss. Wie man an die Thematik herantritt, bleibt jedem selbst überlassen, aber Probleme bereiten in manchen Ländern immer die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen, die am Ende dazu führen, dass beispielsweise Menschen entführt werden. Das Auswärtige Amt gibt für viele Regionen der Welt Reisewarnungen aus, von Südamerika bis China, mir ist aber bisher nicht bekannt, das diese religiöser, sondern stets politischer Natur sind.
Islamisten sind ja keine normalen Gläubigen, sondern politisch motiviert, radikal und oft auch militant. Demnach ist es sicher empfehlenswert, Länder oder Gebiete, wo gerade militärische Konflikte ausgetragen werden, zu meiden. Das gilt aber nicht nur für die islamischen Staaten, sondern für viele Teile der Welt.
3: Was außer Schweinefleisch ist im Islam verboten?
Ich glaube, diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, da es, wie im übrigen in sämtlichen Religionen, eine Bandbreite an verschiedenen Ge- und Verboten gibt, die in den zahlreichen islamischen Strömungen diskutiert und teilweise auch ganz unterschiedlich ausgelegt werden. Zudem ist nicht alles gleich verboten. Der berühmte ungarische Orientalist Goldziher verbildlicht es sehr treffend: "Nach der Auffassung der muslimischen Theologen wohnt nicht allem, was in den überlieferten Quellen des islamischen Gesetzes in Form von Geboten und Verboten angeordnet beziehungsweise untersagt ist der gleiche Grad imperativer oder prohibitiver Kraft inne." Von diesem Gesichtspunkte aus unterscheidet die Gesetzeswissenschaft des Islam im Großen und Ganzen fünf Kategorien:
- religiöse Verpflichtung (Wādschib oder Farḍ)
- empfohlen (Mandūb auch:mustaḥabb oder Sunna)
- indifferent (mubāḥ oder Ḥalāl) erlaubt
- verpönt (Makrūh)
- verboten (Ḥarām)
Das zeigt, wie differenziert man mit Ge- und Verboten umgehen muss und wie verschieden auch die Interpretationsmöglichkeiten sind.
4: Wie sieht es mit Sex vor der Ehe aus?
Aus religiöser Sicht nicht anders als im Christentum. Wer sich wie daran hält, ist dann sicher wieder eine persönliche Frage. Außerdem muss hierzu auch gesagt werden, dass die Regeln unterschiedlich ausgelegt werden und es wiederum islamische Strömungen gibt, die versuchen die Problematik zu umgehen. Das schiitische Prinzip der vom Imam erlaubten Zeitehe ist im sunnitischen Islam beispielsweise nicht verbreitet.
Zeitehe bedeutet hier die Ehe auf eine bestimmte Zeit, und das kann von wenigen Stunden bis zu vielen Jahren sein. Das in manchen islamischen Ländern rechtlich anerkannte Instrument dient dazu, das Zusammenkommen, aber auch insbesondere das Auflösen des Verhältnisses rechtlich und religiös zu legitimieren, die rechtlichen Verpflichtungen, die aus einer regulären Scheidung entstehenden würden, aber möglichst gering zu halten.
5: Und mit Ehen unter Männern oder unter Frauen und von Cousin zu Cousine?
Mit Homosexualität im Islam verhält es sich ähnlich. Auch dieses Thema wurde über die Jahrhunderte immer wieder behandelt und ausgelegt, bis wir zum heutigen Stand gelangt sind, in dem Homosexualität in den meisten islamischen Staaten strafbar ist. Die Auslegung der urislamischen Gesetze dazu kommt aber zu ganz verschiedenen Schlüssen, sodass gesetzliche Regelungen des 21. Jahrhunderts mehrheitlich Auslegungen der jeweiligen islamischen Staaten sind. Es sollte bei diesem Punkt nie vergessen werden, dass selbst in unserem aufgeklärten Deutschland und dem Staatsgebiet der DDR homosexuelle Handlungen bis in die 70er-Jahre unter Strafe stand. Der Paragraph 175 StGB wurde erst 1994 gestrichen.
Die Heirat zwischen Verwandten zweiten Grades ist, genauso wie nach deutschem Recht, im Islam erlaubt. Die katholische Kirche hingegen lehnt diese Heiratsform ab, bietet aber teilweise Sonderregeln. Auch hierzu muss dennoch immer die Gesetzgebung des jeweiligen Staates geprüft werden. Nicht alle mehrheitlich islamischen Staaten vertreten gerade im Erb- und Familienrecht gleiche Auffassungen und haben hierfür eigene kodifizierte Gesetze.
6: Wie wird Hochzeit gefeiert und wie wäre bei Strenggläubigen die Strafe fürs Fremdgehen?
Die Frage ist nicht ganz so leicht zu beantworten, da es von Land zu Land sehr unterschiedliche Gesetzte gibt. Zudem wird auch unterschieden, ob es sich um Ehebruch eines Verheirateten handelt oder um das "Fremdgehen" unverheirateter Paare. Der Islam unterscheidet nämlich nur zwischen erlaubtem und unerlaubtem Geschlechtsverkehr, wobei erlaubt immer eine Eheschließung vorsieht. Die Strafe für den unerlaubten Geschlechtsverkehr ist nach klassischem islamischen Recht, wie übrigens im Judentum auch, die Steinigung, die beispielsweise im Sudan noch angewendet wird. In vielen anderen islamischen Ländern, wie beispielsweise in der Türkei, Ägypten und Indonesien ist der unerlaubte Geschlechtsverkehr kein Straftatbestand.
Und wie Hochzeiten gefeiert werden, sollte man am besten selbst erleben. Denn die Sitten und Bräuche sind sehr unterschiedlich und das Ehepaar hat sicher auch seine eigenen Vorstellungen von der eigenen Hochzeit.
7: Wie viele Frauen darf ein Mann haben, gibt es noch etwas wie einen Harem?
Auch diese Frage wird sehr verschieden diskutiert, erlaubt sind nach herrschender Meinung vier Frauen, wobei es hierfür sehr genaue Regeln gibt. Die Vorstellung, dass ein Mann sich einfach vier Frauen nehmen kann, ist sicher nicht richtig, denn mit jedem Recht kommt auch eine Pflicht, was insbesondere die Gleichbehandlung aller geheirateten Frauen angeht: die Zahlung von Unterhalt, Verbot der Vernachlässigung von ehelichen Pflichten und so weiter. Die Regeln hierzu sind sehr verschieden und die in der Praxis ausgeübten Fälle ebenso. Auch hier gilt der Hinweis, die jeweiligen Gesetze der Einzelstaaten zu prüfen, pauschalisieren kann man das nämlich nicht, da es auch islamische Staaten gibt, die die Vielehe grundsätzlich verbieten. Wie es mit dem Harem aussieht, weiß ich leider nicht. Aber die Vorstellungen aus 1.001 Nacht sind sicher nicht mehr wirklich aktuell.
8: Warum gab es eigentlich diese Radikalisierung und die Anschläge im Namen des Islam? Was geht uns das eigentlich an, wir wohnen doch so weit weg und hier gibt es (fast) keine Muslime?
Ich denke, diese beiden Fragen lassen sich am besten mit viel Hintergrundwissen und gemeinsamen Diskussionen klären, da die Gründe weit tiefer liegen, als schlicht in der Religion. Warum werde ich wütend? Warum verliere ich manchmal die Kontrolle? Warum handele ich manchmal falsch, bis hin zu schweren, schlimmen Taten wie in Paris? Menschen sind immer verschieden, ihre Beweggründe oft sehr individuell und mit dem Erlebten, den eigenen Erfahrungen und dem Umfeld verbunden.
Und ob man nun irgendwo lebt, wo es Menschen anderer Herkunft oder anderen Glaubens gibt, spielt in unserer modernen Welt, wo sich jeder mit jedem vernetzen kann, sicher auch keine große Rolle mehr. Man sollte vielleicht mal umgekehrt fragen: Was ist, wenn mich mein Job irgendwann irgendwo hinführt, wo ich selbst fremd bin?
Beste Grüße an die Klasse und nach Amrum.
Michel Abdollahi