Hamburger Cheerleading-Trainer soll jahrelang Mädchen missbraucht haben

Stand: 09.12.2024 15:40 Uhr

Ein Hamburger Cheerleading-Trainer soll jahrelang junge Mädchen missbraucht haben. Es beginnt mit sexualisierten Sprüchen zur Kleidung und geht bis zum Vorwurf der Vergewaltigung. Doch rechtlich blieb der mutmaßliche Täter bislang straffrei. Warum?

von Hendrik Maaßen

Cheerleading ist ein Sport mit viel Körperkontakt, mit anspruchsvollen Turnelementen und Akrobatik. Berührungen sind da ganz normal. Es gibt aber klare Grenzen, und die hat ein Hamburger Trainer offenbar jahrelang missachtet.

Nach NDR Recherchen werfen mindestens acht Mädchen und junge Frauen dem Trainer sexualisierte Gewalt vor. Die meisten Betroffenen waren minderjährig. Das Muster war offenbar immer wieder dasselbe: Der Trainer hat laut Aussagen der Betroffenen seine überlegene Position als Coach ausgenutzt, um emotionale Abhängigkeiten zu schaffen.

"Stutzig wurde ich, weil wir immer nur trainiert haben, wenn keiner in der Halle war."

Als Emmily neu in den Verein kommt, ist sie unsicher. Sie kommt vom Leistungsturnen, die Cheerleading-Elemente sind ihr völlig neu. Dominic L. gibt ihr Einzeltraining. Erst einmal nichts Ungewöhnliches. Doch es ist anders als in ihrem alten Verein: "Stutzig wurde ich, weil wir immer nur trainiert haben, wenn keiner in der Halle war. Oder wenn jemand in der Halle war, haben wir die Halle gewechselt, haben draußen gestunted, sodass uns bloß keiner gesehen hat aus einem anderen Team, oder Außenstehende, Eltern."

Tätigkeitsverbot durch den Hamburger Sportbund

Die Heimlichtuerei hat einen Grund: Der Trainer war schon aufgefallen. Der Hamburger Sportbund hat zu dem Zeitpunkt ein Tätigkeitsverbot ausgesprochen. Doch der weicht offenbar in Hallen im Hamburger Umland aus. Nutzt Autofahrten, um Emmily mutmaßlich zu missbrauchen. Dominic L. bestreitet alle Vorwürfe. Doch das Gesamtbild in dem Fall ist eindeutig.

Lange Zeit ist Christina ebenfalls Trainerin in dem Verein. Heute beschämt sie, dass sie erst viel zu spät realisiert habe, wie manipulativ der Trainer vorgegangen sei. "Am Anfang habe ich gedacht, er könnte sich wirklich verliebt haben in eines der Mädchen. Aber wenn du so einen Verdacht hast, wie sagst du das jemandem, den du eigentlich magst?"

Sie und viele weitere Personen aus dem Umfeld des betreffenden Vereins beschreiben L. als engagiert, freundlich und sportlich kompetenten Trainer. "Ich habe ihn dann angesprochen und gesagt, pass doch ein bisschen auf, die Mädchen sind in der Pubertät, aber er hat sich dann nur kurz geändert", sagt die Ex-Trainerin Christina. In regelmäßigen Abständen habe er sich junge Mädchen für Einzeltrainings ausgewählt. Dominic L. gibt an, aus rein sportlichen Gründen.

Kritik an der schleppenden Ermittlungsarbeit

Nach NDR Informationen wird der Trainer in den vergangenen Jahren viermal angezeigt. Mindestens zwei Ermittlungsverfahren laufen noch gegen ihn. Die Rechtsanwältin Mona Sandten betreut einige der Betroffenen und hat keinen Zweifel an den Vorwürfen. "Es gibt eine Vielzahl von Betroffenen, die auch teilweise gar nicht zeitgleich in dem Verein als Sportlerin aktiv waren", sagt sie. Die schleppende Ermittlungsarbeit der Hamburger Behörden kann sie nicht nachvollziehen: "Gerade, weil es um jugendliche Mädchen geht, sollte es eigentlich auch im Interesse der Polizei und der Staatsanwaltschaft sein, da mehr zu tun, intensiver zu arbeiten und genauer hinzugucken. Denn es ist leider so, dass, je länger strafrechtliche Verfahren dauern, desto mehr spielt das dem Täter der Täterin in die Hände."

"Ich habe meine Hose dann richtig festhalten müssen, weil er weiter daran gezogen hat. Und dann meinte ich, ich möchte aber wirklich nicht. Und er hat halt einfach nicht aufgehört."

In den vergangenen Jahren hat der Kampf gegen sexualisierte Gewalt - ausgelöst durch diverse Skandale - für viele Sportverbände an Bedeutung gewonnen. Auch der Cheerleading und Cheerperformance Verband Deutschland (CCVD) schult seine Trainerinnen und Trainer und legt viel Wert auf eine umfassende Präventionsarbeit. "Wir haben eine Verhaltensvereinbarung und die regelt wirklich sehr speziell, wie sich Trainer und Trainerinnen zu verhalten haben", sagt die Präventionsbeauftrage Franziska Hoffmann. "Unser großer Wunsch ist, dass die viel mehr in die Fläche getragen wird, dass auch Vereine diese nutzen und auch unterschreiben lassen." Dort wird beispielsweise klar formuliert, dass es zu keinen Beziehungen zwischen Trainer oder Sportlerin kommen soll, oder dass Trainer Athletinnen nicht alleine fahren sollen.

"Safe Sport Code" soll helfen

Bei laufenden Ermittlungsverfahren wie im Fall von Dominic L. oder strafrechtlich nicht relevanten Vorfällen sind den Verbänden bislang die Hände gebunden. Doch das soll sich jetzt ändern. Jüngst hat der DOSB den sogenannte "Safe Sport Code" verabschiedet. Ein Regelwerk gegen jede Form von Gewalt im Sport. Er soll dazu führen, dass viel früher interveniert werden kann und Personen auch ohne Gerichtsurteil vom Sport suspendiert werden.

Eine weitere Betroffene spricht mit uns ausführlich, will ihren Namen aber nicht öffentlich nennen. Wir nennen sie Lena. Sie berichtet von einem Ereignis, das rund zehn Jahre her ist. Der Trainer gab vor, sich in sie verliebt zu haben. Lena hat Vertrauen, die beiden kommen sich näher. Unter einem Vorwand bringt L. sie dazu, bei ihm zu übernachten. Es kommt zu einem Übergriff, den sie später als Vergewaltigung zur Anzeige bringt.

"Nein, ich möchte das nicht"

"Er hat mich dann angefasst und versucht, meine Hose runterzuziehen. Und dann meinte ich: 'Nein, ich möchte das nicht.' Dann hat er sich aufgesetzt, meine Hose aber nicht losgelassen und meinte: 'Ja, warum denn nicht?' Es sei ja nicht schlimm, weil, es ist ja jetzt sowieso schon so viel passiert. Ich habe meine Hose dann richtig festhalten müssen, weil er weiter daran gezogen hat. Und dann meinte ich, ich möchte aber wirklich nicht. Und er hat halt einfach nicht aufgehört."

Er habe dann mit ihr geschlafen. Obwohl sie immer wieder "Nein" gesagt habe. Als sie wieder zuhause ist, habe sie sich übergeben müssen. Doch das Verfahren gegen L. wird eingestellt. Der Geschlechtsverkehr sei im Einvernehmen gewesen, schreibt der Anwalt des Trainers. Lenas Pech: Der Paragraph 177 im Strafgesetzbuch wurde erst 2016 reformiert. Heute würde ein "Nein" für eine Verurteilung ausreichen.

Mutmaßliche Übergriffe bis in die jüngere Vergangenheit

Später bekommt Lena dann mit, wie Dominic L. sich in ein anderes Mädchen "verliebt". "Ich konnte dann in Echtzeit beobachten, wie er dasselbe mit einer anderen im Verein gemacht hat. Ich habe ihr dann vorsichtig davon berichtet. Er hat ihr dann erzählt, dass das alles nicht stimme. Ich dachte, genau so habe ich mich gefühlt. Genau diese Art von Manipulation hat er mit mir gemacht. Er liebt nur mich. Und das, was alle anderen sagen, stimmt überhaupt nicht." Die mutmaßlichen Übergriffe geschehen bis in die jüngere Vergangenheit.

LKA räumt mangelnde Sensibilität gegenüber Betroffenen ein

Mindestens zwei Ermittlungsverfahren laufen aktuell noch gegen den Trainer. Eines seit knapp drei Jahren, ohne, dass nennenswerte Fortschritte erzielt werden. Auch eine Betroffenen-Organisation schaltet sich zwischenzeitlich ein. Denn die Beratungsstelle und der CCVD hatten wiederholt heftige Kritik von Betroffenen bekommen. Sie seien bei den polizeilichen Vernehmungen nicht ernst genommen worden, heißt es. Auf Nachfrage räumt das LKA damals ein, dass die Sensibilität gegenüber den Betroffenen gefehlt habe. Man wolle daran arbeiten. Passiert ist seitdem nichts.

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