Corona-Maßnahmen: Was haben Isolation, Masken und Co. gebracht?
Testen, Lockdown, Maske tragen: Während der Corona-Pandemie gehörten die sogenannten nicht-pharmazeutischen Interventionen zu den am heftigsten diskutierten Maßnahmen. Was weiß die Forschung inzwischen über deren Wirksamkeit?
Zu Beginn der Corona-Pandemie stieg die Zahl der Infektionen exponentiell an, ein Infizierter steckte 2,4 bis 3,3 weitere Menschen an - die sogenannte Reproduktionszahl. Impfstoffe gab es noch nicht, Immunität in der Bevölkerung war nicht vorhanden, also wurde versucht, das Virus physikalisch auszubremsen. Und für Forschende und Mediziner war klar, wie ein Atemwegserreger ohne Medikamente am ehesten einzudämmen ist: mit Masken, Kontaktbeschränkungen und - sobald sie verfügbar waren - Schnelltests.
Wissenschaftliche Evidenz, also Nachweise ganz konkret für das Coronavirus, gab es damals weitgehend noch nicht, denn Daten von vielen Menschen mit und ohne Maske beispielsweise wurden erst nach und nach erhoben. Gegner dieser Maßnahmen argumentierten häufig mit dem Fehlen von hochwertigen Studien. Aber braucht es die zwingend? Und können belastbare Daten dafür überhaupt erhoben werden?
Forscher Meerpohl: Verschieden starke Evidenz

Jörg Meerpohl, Evidenzforscher am Universitätsklinikum Freiburg, spricht von verschiedenen Abstufungen in der Erkenntnissicherheit. Wenn die Wissenschaft keine klaren Daten dafür hat, wie gut das Tragen einer Maske gegen eine Ansteckung mit Covid-19 wirkt, könne trotzdem dazu geraten werden. Denn das Wissen, dass es einen gewissen Schutz bietet bei Erregern, die über die Atemluft übertragen werden, ist bereits vorhanden. "Wir haben andere respiratorische Viren wie Influenza, von denen wir wissen, dass zum Beispiel physikalische Maßnahmen die Übertragung beeinflussen können. Und diese indirekte Evidenz gilt nicht nur für Infektionen und Pandemien, sondern für alle medizinischen Fragestellungen", sagt er.
Gleichwohl liegen fünf Jahre nach dem Beginn der Corona-Pandemie zahlreiche Studien zur Wirksamkeit von Masken und anderen Maßnahmen vor. Das sind größtenteils Beobachtungsstudien, denn während einer Pandemie ist es fast nicht möglich, randomisiert-kontrollierte Studien zu machen, also beispielsweise einer Gruppe von Teilnehmern zu sagen: Ihr dürft all eure Freunde treffen und einer anderen: ihr nicht.
Royal Society: Abstand halten und Lockdowns waren effektiv
Eine häufig zitierte Evidenzsynthese, eine Übersichtsarbeit, die viele verschiedene Arbeiten zu einem Thema auswertet, ist die Studie der britischen Royal Society, unter anderem zu Social Distancing und Lockdowns. Die Forschenden fassten zum Beispiel Erkenntnisse aus 28 Studien zu abgesagten Massenveranstaltungen, 151 Studien zu Ausgehverboten, zwölf zu kontaktreduzierenden Maßnahmen am Arbeitsplatz und 37 zur kompletten Schließung von Arbeitsstätten zusammen. Ergebnis: Die Maßnahmen zur Kontaktreduktion waren die wirkungsvollsten, und je strenger die Interventionen, umso größer war der Effekt auf die Ausbreitung des Virus. Es gab deutliche Hinweise auf einen zeitlichen Zusammenhang mit dem Abflachen der Kurve bei Neuinfektionen.
Coronavirus-Stammbaum: Maßnahmen-Forschung aus Braunschweig

Diese Ergebnisse aus Großbritannien bestätigen die Erkenntnisse aus einer Studie des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig. Dort hat die Biodatenwissenschaftlerin Alice McHardy im Zeitraum von Oktober 2020 bis März 2021 einen Coronavirus-Stammbaum erstellt und untersucht, welche Maßnahmen gerade in Kraft waren, als sich bestimmte Varianten von Sars-CoV-2 in Deutschland verbreitet haben. Auch ihr Fazit: Je strikter die Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung waren, desto weniger konnte sich das Virus verbreiten.
Modellierer Brockmann: Wissen über Kontaktnetzwerke fehlt
Interessant auch für die Debatte um das restriktive Vorgehen in Pflegeeinrichtungen: Die Royal Society stellte fest, dass Maßnahmen dort besonders wirksam waren, wo Bewohner in Gruppen eingeteilt und von festem Pflegepersonal betreut wurden. Modellierer wie Dirk Brockmann erklären die Gruppenlogik dahinter: 10 Menschen in einem Raum = 90 Kontakte = 45 Ansteckungsmöglichkeiten. Nur 5 Menschen in einem Raum = 20 Kontakte = 10 Ansteckungsmöglichkeiten. Bei zwei Fünfergruppen kommt man also auf insgesamt 20 Ansteckungsmöglichkeiten, nur halb so viele wie in der doppelt so großen Gruppe. Bei größeren Gruppen wird der Effekt noch deutlicher: Teilte man 200 Menschen in zwei 100er-Gruppen auf, würden sich die Ansteckungsmöglichkeiten auf ein Viertel reduzieren.
Brockmann befürchtet, dass es mit Blick auf Kontaktbeschränkungen in einer neuen Pandemie ähnliche Diskussionen geben könnte wie während der Corona-Zeit: "Diese Debatten ernähren sich von unserem Unwissen über unsere Kontaktnetzwerke, und da müsste sich etwas ändern", sagt er. In Deutschland ist es auch wegen des Datenschutzes in der Regel nicht erlaubt, Bewegungsdaten aus digitalen Trackern in Apps oder Mobiltelefonen zu erfassen. Ein Ausweg wären freiwillige Datenspenden über Fitnesstracker oder Telefone. Nur mit einer Vielzahl von Mobilitätsdaten wäre es möglich, Kontaktbeschränkungen besser zu erforschen und dann zielgerichteter einzusetzen, so Brockmann.
Masken - lästig oder wirksam?
Die britische Royal Society hat auch Beobachtungsstudien aus verschiedenen Ländern zum Tragen von Masken ausgewertet. Bei allen Unschärfen wie unterschiedlichem Studiendesign oder dem Zusammenwirken mit anderen Maßnahmen deutet die Evidenz darauf hin, dass eine Maskenpflicht mehr bringt als freiwilliges Maskentragen und dass FFP2-Masken besser wirken als einfache OP-Masken. Die Braunschweiger Bioinformatikerin Alice McHardy stellt fest: Die Pflicht zum Maskentragen an öffentlichen Orten wie Bus und Bahn hatte einen deutlichen Effekt auf die Eindämmung des Infektionsgeschehens.
Epidemiologe zu Masken: Am effektivsten unter Laborbedingungen
Entscheidend ist dabei natürlich, dass Masken korrekt getragen werden. Auf dieses Problem weist der Epidemiologe Philipp Wild hin, der die Gutenberg-Gesundheitsstudie und die Covid-19-Studie an der Universitätsmedizin in Mainz leitet: "Das Maskentragen selbst ist effektiv, wenn Sie unter Laborbedingungen die Maske sauber tragen, Ihren Mund und Nase damit sauber abdecken, wenn Sie sie regelmäßig austauschen, nicht in der Hosentasche tragen, nicht die Innenseite mit den Händen berühren, dann haben Sie einen Schutz", sagt er. Auf Bevölkerungsebene sei das aber oft nicht so gewesen. Das mag auch an mangelnder Aufklärung über die korrekte Handhabung gelegen haben.
Wild stellt jedenfalls fest, dass auf den Intensivstationen die Viruslast beim Personal deutlich geringer gewesen ist als beim Rest der Bevölkerung, "trotz der Tatsache, dass sie dort tagtäglich Menschen mit Sars-CoV-2-Infektionen ausgesetzt waren".
Kriegel: Aerosole mit Viren verteilen sich überall
Wie Atem an Masken vorbeiströmt, wenn sie nicht richtig getragen werden, und wie sich Atemwegserreger in der Raumluft verteilen, dazu forscht der Ingenieur Martin Kriegel am Hermann-Rietschel-Institut der TU Berlin. Er und seine Kollegen haben die Ausbreitung von Aerosolen - feinen Partikeln in der Luft, die auch Viren transportieren können - während der Corona-Pandemie nachgestellt. Die Wissenschaftler simulierten zum Beispiel Luftströme in Operationssälen und Flugzeugen. Sie können nachweisen, dass es nicht viel bringt, in Innenräumen Abstand zu halten, wenn sich dort ein Infizierter befindet, weil sich die Viren über die Raumströmung recht schnell überall verteilen.
Für Flugzeuge gilt: Ansteckungsgefahr besteht nicht nur im unmittelbaren Nahbereich, trotz guter Lüftungssysteme. "Die Luft wird oben eingebracht und abgesaugt, aber sie dreht sich zehnmal vorher im Kreis, bevor sie unten abgesaugt wird", erklärt Kriegel. "Das heißt, die ganze Sitzreihe ist betroffen und die Sitzreihe davor und dahinter." Daten zu Infektionsgeschehen auf Flügen belegen das.
Schnelltests - eine Errungenschaft der Pandemie
Als eindeutige Errungenschaft der Corona-Pandemie werden von der Wissenschaft Antigen-Schnelltests eingestuft. Als sie verfügbar waren, gelang es schneller, Infektionen zu entdecken und Ansteckungsketten zu unterbrechen. "Nicht alles, was an Test-Strategien gelaufen ist, war auch sinnvoll, aber insgesamt haben wir gesehen, dass der Effekt solcher Test-Strategien relativ hoch sein kann", sagt Berit Lange vom Helmholtz-Institut für Infektionsforschung in Braunschweig.
Möglicherweise sei sogar zu lange gewartet worden, bis die Tests als marktreif angesehen wurden. Das sieht sie als Lerneffekt für die nächste Pandemie: Auch wenn die diagnostische Güte von Tests für klinische Anforderungen noch nicht hoch genug sei, könnte man sie außerhalb von kritischen Situationen wie Krankenhäusern schon einsetzen, um zumindest einen Teil der Infektionen in der Bevölkerung zu entdecken und darauf reagieren zu können.
Covid-19 immer noch gefährlicher als Influenza
Corona-Schnelltests sind übrigens noch immer hilfreich, denn: Das Risiko, wegen einer Covid-19-Erkrankung ins Krankenhaus zu kommen, ist statistisch gesehen immer noch mehr als doppelt so hoch wie bei Grippe. Eine dänische Studie hat das gerade erst aufgezeigt.
Käsescheiben-Prinzip: Kombination von Maßnahmen
Worauf es im Pandemie-Fall vor allem ankommt, ist die Kombination von Maßnahmen. So hat die Royal Society auch die Wirksamkeit von Tests im Setting "Testen, Kontakte nachverfolgen, isolieren" untersucht. Für Antigen-Schnelltests in Verbindung mit dem Einsatz von Corona-Warnapps wurde eine starke Evidenz nachgewiesen. Alice McHardy stellt in ihrer Studie fest, dass Schnelltests in Verbindung mit Masken die höchste Effizienz entfaltet haben.
In der Corona-Pandemie wurden solche Maßnahmen-Kombinationen bereits als Multilayer- oder Käsescheiben-Prinzip etabliert: Wenn eine Käsescheibe Löcher hat, legt man dahinter eine mit anderen Löchern. Auf diese Weise sind einige Löcher und damit Schlupflöcher für das Virus verdeckt.
Nächste Pandemie: Neues Epidemiegesetz in der Schublade
Dieses Prinzip dürfte auch in der nächsten Pandemie Anwendung finden. Wie die konkreten Maßnahmen dann aussehen würden, hängt allerdings vom Erreger ab. Gegen einen Erreger wie das Dengue-Virus, das von Mücken übertragen wird, könnten beispielsweise Moskitonetze zum Einsatz kommen. Und bei einem Magen-Darm-Erreger, der sich schnell ausbreitet, könnten zum Beispiel vermehrt Schutzhandschuhe getragen werden.
Für die Handlungsfähigkeit der Politik zur Eindämmung einer nächsten Pandemie halten Experten ein überarbeitetes Infektionsschutzgesetz für entscheidend. Es wurde während der Pandemie angepasst, seither aber nicht mehr angerührt. "Es ist auf jeden Fall unaufgeräumt. Regelungen, die sich auf Corona beziehen, stehen immer noch da drin. Man fragt sich, warum man da jetzt nicht einen klaren Schnitt macht", sagt Andrea Kießling, die an der Goethe-Universität in Frankfurt zu Gesundheitsrecht forscht.
Die Rechtswissenschaftlerin gehörte der Sachverständigenkommission zur Evaluation der Corona-Maßnahmen in Deutschland an und hat gemeinsam mit Kollegen den Entwurf für ein neues Gesetz geschrieben, das das Infektionsschutzgesetz ersetzen könnte. Politisch diskutiert wird das "Epidemiegesetz" momentan nicht, aber der Text ist frei im Internet verfügbar.
Die neuen Folgen des Coronavirus-Update von NDR Info sind immer dienstags in der ARD Audiothek verfügbar. Kommende Woche geht es um Schulschließungen und den Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Pandemie.
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