Wird Flensburger Meerwasser-Wärmepumpe zum Millionengrab?

Stand: 24.01.2025 09:54 Uhr

Die frisch bestellte Großwärmepumpe der Stadtwerke Flensburg soll ein umstrittenes Kältemittel nutzen. Es könnte schon bald in der EU verboten werden. Dabei gibt es Alternativen.

von Peer-Axel Kroeske

R1234ze lautet die Bezeichnung für ein spezielles Stoffgemisch, das künftig in der Flensburger Meerwasser-Wärmepumpe zirkulieren soll. Mit der Anlage wollen die Stadtwerke 2027 den ersten großen Schritt gehen, um die Fernwärme-Versorgung der Stadt von Kohle und Erdgas auf Strom - und damit auf erneuerbare Energien - umzustellen. 70 Millionen Euro kostet die Anlage. Doch das besagte Kältemittel ist in Verruf gekommen. Das Umweltbundesamt (UBA) rät vom Einsatz ab. Ein Verbot in der EU ist in Vorbereitung.

Umweltrisiko PFAS

Sogenannte Kältemittel befinden sich in allen Wärmepumpen und auch in Kühlschränken in einem geschlossenen Kreislauf. Dennoch kann ein Teil entweichen. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wurden besonders schädliche Kältemittel nach und nach durch harmlosere Varianten ersetzt. Substanzen, die die Ozonschicht schädigen und somit den Schutz vor Sonnenstrahlen aufheben, wurden inzwischen verboten. Im Einsatz sind noch immer Substanzen, die besonders klimaschädlich sind.

Auf R1234ze trifft beides nicht zu. Jedoch wurde dieses Mittel als Quelle von Trifluoressigsäure (TFA) identifiziert, die sich in der Umwelt anreichert, erst über Jahrhunderte abbaut und laut UBA ein Risiko darstellt. Dass diese Kältemittel bedenklich sind, wurde in den vergangenen Jahren mit dem Oberbegriff PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) diskutiert.

Stadtwerke hoffen auf baldige Alternative

Für R1234ze ist ein Verbot über die EU-Verordnung REACH in Vorbereitung. Die Bundesfachschule Kälte-Klima-Technik rechnet damit, dass es schon ab 2027 in Kraft tritt - genau in dem Jahr, in dem die Flensburger Großwärmepumpe in Betrieb gehen soll. In bereits laufenden Anlagen darf der Stoff dann voraussichtlich noch mehrere Jahre nachgefüllt werden.

Die Stadtwerke Flensburg schreiben dazu: "Die PFAS-Thematik haben wir (...) bewertet und behalten sie weiter im Blick. Es ist auch noch unklar, ob ein Verbot wirklich kommen wird. Unabhängig davon können wir unsere Großwärmepumpenanlage später jederzeit auf ein anderes Kältemittel umrüsten, sobald es eine insgesamt bessere Alternative gibt."

Experte: Besser gleich mit Alternativen planen

Aus Sicht des Flensburger Experten Peter Schäftlein ist es völlig unverständlich, dass die Stadtwerke hier möglicherweise ein Risiko eingehen. Er arbeitet selbst in leitender Position für ein Unternehmen aus der Branche.

Schäftlein betont: "Es gibt Alternativen. Andere Städte haben es uns vorgemacht." So werde im dänischen Esbjerg CO2 als Kältemittel eingesetzt, das in diesem Zusammenhang als unkritisch gilt. Andere Großanlagen nutzen wiederum Butan oder Ammoniak. Letzteres ist toxisch, beide Stoffe sind entzündlich. Hier sei zumindest mit keinem Verbot zu rechnen.

"Hier will ein Lieferant seinen alten Kram loswerden"

Wenn die Anlage aber erstmal steht, wäre ein Wechsel auf die genannten Alternativen nicht mehr möglich, so der Experte. Die Großwärmepumpe müsste von Anfang an anders geplant werden. Das bestätigt auch das Umweltbundesamt. Schäftleins Schlussfolgerung: "Hier will ein Lieferant seinen alten Kram loswerden." Dabei falle der preisliche Unterschied zu einem natürlichen Kältemittel vermutlich nur gering aus. Schäftlein befürchtet, dass die Großwärmepumpe schon nach wenigen Jahren stillgelegt werden muss.

Stadtwerke Kiel setzen auf natürliches Kältemittel

Die Stadtwerke in Kiel planen ebenfalls eine Meerwasser-Wärmepumpe. Dort teilt ein Sprecher mit: "Unsere aktuellen Planungen sehen die Verwendung eines natürlichen Kältemittels vor. Da es sich bei R1234ze um ein synthetisches und nicht um ein natürliches Kältemittel handelt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt das Kältemittel R1234ze für unsere Wärmepumpe ausschließen."

Stadtwerke Flensburg reagieren auf Veröffentlichung

Am Donnerstag haben die Stadtwerke Flensburg erneut Stellung bezogen - nach den ersten NDR SH Berichten. Der technische Geschäftsführer Karsten Müller-Janßen sagte, die Anlage könne bei Bedarf auf Isobutan umgestellt werden. Dies habe der Hersteller versichert. Hierzu seien dann allerdings Umbauten nötig. Zudem sei der Wirkungsgrad von Isobutan geringer. Entgegen vorheriger Aussagen präzisierte ein Sprecher am Freitag, dass Isobutan in großen Mengen verfügbar sei. Meerwasser-Wärmepumpen dieser Größe mit Isobutan seien aber noch nicht gebaut wurden.

Gegen Ammoniak als Kältemittel spreche neben dem höheren Preis auch die toxische Wirkung. CO2 ist nach Angaben der Stadtwerke nicht geeignet, weil in Flensburg höhere Temperaturen als etwa in Esbjerg benötigt würden. Somit werde die Anlage mit R1234ze starten. Im Falle eines Verbots hoffen die Stadtwerke Flensburg, dass es bis dahin noch eine bessere Lösung als Isobutan gibt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 23.01.2025 | 08:00 Uhr

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