Mercosur-Handelsabkommen unterzeichnet: Warum gibt es Protest?

Stand: 06.12.2024 14:34 Uhr

Für Milchbauern in Schleswig-Holstein dürfte das Mercosur-Handelsabkommen interessant sein, denn viel Milchpulver, Butter und Käse werden nach Südamerika exportiert. Schleswig-Holstein ist ein Milchland.

von Nicola von Hollander

Die EU-Kommission hat sich mit den Mercosur-Staaten auf ein Freihandelsabkommen geeinigt. Das teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) nach einer finalen Gesprächsrunde mit Vertretern der Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay mit. Zuvor hatten unter anderem Frankreich, Italien und Polen Bedenken geäußert. Auch in Schleswig-Holstein gab es Proteste.

Das Mercosur-Handelsabkommen zwischen Europa und den Staaten Lateinamerikas (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) soll Zollschranken fallen lassen. Das heißt, dass Agrarprodukte aus diesen Ländern kostengünstiger in die EU importiert werden können. Aber auch Agrarprodukte aus der EU haben leichtere Zugänge zu den Märkten dieser Länder. Die protestierenden Bauern in Schleswig-Holstein sehen eine Wettbewerbsverzerrung zwischen ihren Erzeugnissen und den Agrarprodukten der Mercosur-Staaten. Wir machen einen Faktencheck für Soja und Fleisch.

Soja ist im Kraftfutter für schleswig-holsteinische Mast- und Milchviehbetriebe

Die Sojabohne hat Eiweiß und Energie. Kraftfutter besteht zu etwa 40 Prozent aus Soja. Brasilien gehört weltweit zu den größten Erzeugern: Auf Flächen, größer als Schleswig-Holstein, wird die Bohne mit viel Pestizideinsatz und weitgehend unreguliert für den Weltmarkt billig in großen Mengen angebaut. Das Mercosur-Handelsabkommen könnte den Handel mit Soja noch billiger machen und damit auch das Kraftfutter. Rechnerisch profitieren dann vor allem große landwirtschaftliche Betriebe mit mehr Tieren davon. Protestieren jetzt darum Landwirte vor allem mit kleineren und mittelgroßen Höfen? Aber: Brasilien ist zur Zeit nicht mehr der größe Sojalieferant für Deutschland. Seit 2021 kommt Soja für unsere Landwirtschaft zunehmend und fast nur noch aus den USA und der Ukraine. Mit neuen Zollschranken der USA und fallenden Handelsbarrieren in Lateinamerika könnte sich das allerdings auch schnell wieder ändern.

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Argentinien und Brasilien produzieren Rindfleisch und Schweinefleisch in großen Mengen

Mit Mercosur würden 15.000 Tonnen Fleisch im Jahr zusätzlich in die EU importiert. Der Einsatz von Wachstumsförderern und Antibiotika unterliegt dort keinen Regeln wie hierzulande. Fleisch kann deshalb billiger sein, ist aber in der Qualität nicht unbedingt besser. Die weniger strengen Auflagen im Marcosur-Raum können den Wettbewerb verzerren. Landwirte, die in Schleswig-Holstein Fleisch produzieren, fürchten billigere Angebote.

Gewinner und Verlierer des Freihandelsabkommens

Fazit: Vor allem Tier- und Fleischerzeuger in Schleswig-Holstein bekommen mit dem Handelsabkommen Mercosur Konkurrenz. Aber die Nachfrage nach regionalen Produkten steigt und seit Februar 2024 gibt es eine Kennzeichnungspflicht - auch für zum Beispiel unverpacktes Schweinefleisch und Geflügel. Seit BSE muss verpacktes, unverpacktes, frisches und gefrorenes Rindfleisch in jeder Form gekennzeichnet werden. Vor allem große Mast- und Milchviehbetriebe in Schleswig-Holstein könnten von billigerem Kraftfutter profitieren.

Bauernverband geht nicht auf die Straße

Der Deutsche Bauernverband macht Politik für größere Agrarstrukturen, so der Vorwurf vieler kleinerer Betriebe. Hat er deshalb nicht zu Protesten gegen das Mercosur-Handelsabkommen aufgerufen? Im Gespräch mit NDR SH sagt Schleswig-Holsteins Bauernverbandspräsident, Klaus-Peter Lucht, dass der Bauernverband durchaus fordere, den Agrarteil des Abkommens neu zu verhandeln. Das geschehe aber auf der politischen Ebene, nicht auf der Straße. Lucht kritisiert: "Wir wollen kein Chlorhuhn in schleswig-holsteinischen Tiefkühltruhen" - und meint damit die unterschiedlichen Standards der Produktion. Bauernpräsident Lucht sagt gegenüber NDR SH, dass es den Demonstrierenden wohl um Aufmerksamkeit und einen "Protest um des Protestierens willen" gehe.

Agrarökonom: "Politisches Versagen seit über 20 Jahren"

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"Wachse oder Weiche", ist das Schlagwort vieler Landwirte, die eine Übermacht großer Höfe befürchten.

Der Agrarökonom Christian Henning von der CAU in Kiel sieht den Wettbewerbsdruck für schleswig-holsteinische Bauern durchaus, sagt aber auch: "Das wird von Landwirten übertrieben wahrgenommen." Die Auswirkungen seien geringer als befürchtet. Henning vermutet hinter den Protesten der mittelständischen Bauern eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Agrarpolitik: immer neue Regeln, immer mehr Bürokratie. Auch der Agrarökonom spricht von einem Versagen der Politik seit über 20 Jahren. Seine Kritik: keine Rücksicht auf soziale Härten.

LSV: "Hütet Euch vor Sturm und Wind und Bauern, die in Rage sind"

"Land schafft Verbindung" organisiert den Protest auf der Straße und kritisiert am Mercosur-Abkommen: "Wir sind dagegen, dass niemand nachvollziehen kann, welche Waren wir importieren. Es finden nicht dieselben Kontrollen statt wie bei uns", so Uta Schmidt-Kühl, selbst Landwirtin und im Vorstand der Initiative. "Hütet Euch vor Sturm und Wind und Bauern, die in Rage sind", stand auf dem Banner der demonstrierenden Landwirte. Mischt sich da mit der Kritik am Mercosur-Handelsabkommen auch eine alte Wut? Vielleicht zeigen sich am Beispiel des Handelsabkommens auch Gräben innerhalb der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 02.12.2024 | 19:30 Uhr

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Landwirtschaft

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