Viele Orte, viel Fake: Auf Spurensuche nach einem Wolfsrudel
In sozialen Medien teilen Nutzer das Video eines Wolfsrudels. Es schürt Ängste. Mal soll es in Schleswig-Holstein aufgenommen worden sein, mal in Niedersachsen, mal in Polen. Eine Spurensuche.
Das Video im Internet zeigt 13 Tiere in der Nacht. Wir finden das Video in einer schleswig-holsteinischen WhatsApp-Gruppe, dazu die Ortsmarke "Wildkamera in Fredesdorf". Das liegt im Kreis Segeberg. Eine Gegend ohne viel Wald in der Landschaft "Barker Heide" - also eine Umgebung, in der Wölfe nicht unbedingt bleiben.
Schäfer bekommt es mit der Angst zu tun
"Ich habe gedacht: Oh mein Gott, wenn es hier in der Gegend auch eine solche Anzahl an Wölfen gibt, dann kriege ich es doch langsam mit der Angst zu tun", sagt Schäfer Detlef Mohr: "13 Wölfe auf einem Haufen, das ist schon heftig. Der Kreis Segeberg ist ja nicht weit weg." Detlef Mohr beweidet das Biosphärenreservat Schaalsee in Nordwestmecklenburg und in Schleswig-Holstein.
Wolfsvideos machen Stimmung im Internet
Wolfsvideos machen immer wieder Stimmung im Netz. Sie sind ein sehr emotionaler Inhalt: Nutzerinnen und Nutzer teilen die Videos sehr häufig, deren Quelle wird meist nicht hinterfragt.
Zweifel: Wo wurde das Video wirklich aufgenommen?
Wir haben Zweifel, dass das Rudel in Fredesdorf aufgenommen wurde, weil die Metadaten Fragen aufwerfen: Die Ortsmarke wurde zusätzlich produziert. Man sieht, dass der Post häufig weitergeleitet wurde, es gibt kein Datum, wann die Bilder entstanden sind. So beginnt unsere Recherche - mit der Google Suchfunktion, mit TinEye und Geolocation-Tools wie Geospy, Geolocation oder Picarta.
Handelt es sich bei den Tieren um die Wölfe aus dem Segeberger Forst?
In Schleswig-Holstein haben sich derzeit zwei Wolfsrudel niedergelassen. Nach Angaben des Umweltministeriums in Kiel leben im Kreis Segeberg zwei erwachsene Wölfe, zwei Jungtiere - sogenannte Jährlinge - und acht Welpen.
Es wäre also realistisch, dass sie es sind, die wir auf dem Video sehen. Unsere Recherche führt zu anderen - und sehr unterschiedlichen - Orten überall in Deutschland. Die Wölfe müssten motorisiert unterwegs sein, um diese Strecken zu überwinden.
Ein Video und viele angebliche Aufnahmeorte
Am 24. September 2024 wurden die Wölfe auf der Plattform reddit hochgeladen - und das mit dem Zeitstempel 9. Mai 2024.
- Am 2. November werden dieselben Wölfe angeblich im Oberwesterwald (Rheinland-Pfalz) gesichtet, gleichzeitig in Polen, was man an dem polnischen Text gut einordnen kann
- Am 3. November 2024 streifen dieselben Wölfe vermeintlich durch lettische Wälder
- Am 15. November ordnen Nutzer das Wolfsrudel in türkischer Sprache wieder in Deutschland ein
All dies sind Uploads auf YouTube mit unterschiedlichsten Hinweisen auf den Ort, wo das Video aufgenommen sein soll.
Niedersachsen: Laut Wolfsbeauftragtem ist das Video nicht aktuell
Mitte November tauchte das Video schließlich auch in niedersächsischen WhatsApp-Gruppen auf: In Bakum und Lohne, Landkreis Vechta. Aber der zuständige Jäger teilte der Gemeinde mit, dass er am Mäuseturm in Bakum keine Wildkamera habe und es auch keine Spuren von Wölfen gebe.
Zudem kam es Gemeindemitgliedern in Bakum sowie Jägern komisch vor, dass die Bäume im Video noch so viele Blätter hatten. Auch wenn sie den Ort der Aufnahme nicht kannten, waren sie sich sicher, dass das Video bereits älter ist und versuchten, die Bürger zu beruhigen.
Der Wolfsbeauftragte der Landesjägerschaft Niedersachsen, Raoul Reding, sagt schließlich, dass es sich um ein Video handele, dass schon vor einiger Zeit aufgenommen worden sei.
Facebook: Wolfsrudel in Brandenburg und im Westerwald
Auch auf Facebook kursiert seit Wochen ein- und dasselbe Video dieser Wölfe: am 31. Oktober mit der Ortsmarke Westerwald. Dann wieder sind dieselben Wölfe in Brandenburg gesehen worden - angeblich.
Die Recherche führt uns zu einem Truppenübungsplatz in Grafenwöhr in der Oberpfalz. Dort sind Wölfe bekannt. Wir fragen nach und bekommen eine negative Antwort.
Derweil kursiert das Wolfsvideo mit immer größeren Reichweiten im Netz. Es gibt Nutzer, die warnen, dass es sich bei den Ortsangaben um Fakes handelt. Dennoch wird kommentiert und geteilt.
Unreflektiertes Weiterleiten von Videos wird kritisiert
Jens Matzen, Koordinator Wolfsbetreuung in Schleswig-Holstein, kritisiert, dass die Ortsmarke am Wolfsvideo, "Fredesdorf", niemanden stutzig macht. "Die Landschaft dort grenzt an die Barker Heide, das ist eine Heidelandschaft und das passt nicht zu dem Video, das geteilt wird", sagt er. Ihm mache es Sorgen, dass Menschen solche Videos unkritisch in den sozialen Medien verbreiten.
"Ich finde, die Leute müssen sich ein paar mehr Gedanken machen, bevor sie irgendetwas ins Netz stellen, und auch mal kritisch drauf gucken - ist das überhaupt realistisch, was da abgeht, was da gefilmt worden ist? Ist das überhaupt bei mir in der Gegend? Und dann mal überlegen, ob es Not tut, das noch mal zu zeigen." Jens Matzen, Koordinator Wolfsbetreuung in Schleswig-Holstein
Fakes von Fakten unterscheiden
Pascal Siggelkow prüft täglich Fakes in sozialen Medien für die ARD-Faktenfinder. Wie erkennen Nutzerinnen und Nutzer den Fake, bevor sie ihn teilen? Er sagt: "Im Endeffekt hilft es, nach einer zweiten Quelle zu suchen. Also wenn behauptet wird, dass es in einem bestimmten Ort stattgefunden hat, kann man in der Suchmaschine mal gucken: Wolfsrudel plus Ort - weil gerade bei so einem Wolfsrudel ist es ja wahrscheinlich, dass beispielsweise lokale Nachrichten darüber berichtet haben."
Darüber hinaus empfiehlt er die Rückwärtssuche von Bildern über Google und auch Geolocation-Tools. Werden Videos via WhatsApp weitergeleitet, sollte nachgeschaut werden, ob der Inhalt sehr häufig weitergeleitet wurde.
Ursprung des Wolfsvideos aus dem Netz liegt in Sachsen
Unsere Recherche führt uns schließlich zu offiziellen Stellen, wie dem Bundesamt für Naturschutz, das die Zahl der Wölfe beobachtet und die Vorkommen kartiert. Dort gibt es eine "Fachstelle Wolf" - und es gibt das LUPUS, das Institut für Wolfsmonitoring und Forschung in Deutschland. Hier werden Videos aus Wildkameras archiviert.
Und hier kann die Quelle eindeutig identifiziert werden: Das Wolfsvideo stammt aus Sachsen und wurde im Frühjahr von einer Wildkamera nordwestlich von Kamenz (Landkreis Bautzen) aufgezeichnet. Die Wildkamera gehört einer Privatperson, die anonym bleiben möchte. Wie das Video in die sozialen Medien kam, ist unbekannt, heißt es vom LUPUS.