Ein mit Bewegungsunschärfe fotografierter Rettungswagen fährt mit Blaulicht über eine Straße. © NDR Foto: Julius Matuschik
Ein mit Bewegungsunschärfe fotografierter Rettungswagen fährt mit Blaulicht über eine Straße. © NDR Foto: Julius Matuschik
Ein mit Bewegungsunschärfe fotografierter Rettungswagen fährt mit Blaulicht über eine Straße. © NDR Foto: Julius Matuschik
AUDIO: Krankenhausreform: Was bedeutet sie für die Schlaganfall-Versorgung? (4 Min)

Schlaganfall: So schnell werden Patienten im Norden versorgt

Stand: 01.12.2024 10:12 Uhr

Nach einem Schlaganfall zählt jede Minute. Wie gut stehen die Chancen auf Rettung in Norddeutschland - auch nach der Krankenhausreform? Aus welchem Landkreis dauert die Fahrt am längsten? Und wo ist die Versorgung mit spezialisierten Stroke Units in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg am besten?

von Jenny Witt

Als Teil der nun beschlossenen Krankenhausreform sollen mehr Schlaganfallpatienten direkt zu sogenannten Stroke Units gebracht werden, also Kliniken mit Spezialeinheiten für die Behandlung von Hirninfarkten. Denn die Überlebenschancen steigen deutlich, wenn man von hochspezialisierten Ärztinnen und Ärzten behandelt wird. Für einige Patienten verlängert sich dadurch jedoch die Anfahrtszeit - und das, obwohl Schlaganfälle so schnell wie möglich behandelt werden sollten. Time is brain (Zeit ist Hirn), heißt die Notfallformel im Rettungsdienst. Laut Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe erleiden in Deutschland pro Jahr etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall (Apoplex).

Norddeutschland: Längere Anfahrtszeiten zu Stroke Units 

In Teilen Norddeutschlands ist die nächste Stroke Unit viel weiter entfernt als das nächste Krankenhaus. Das geht aus einer detaillierten Recherche des Science Media Centers (SMC) hervor. Je nach Wohnort gibt es massive Unterschiede bei den Fahrzeiten, wie das SMC in interaktiven Landkarten zeigt. Für Menschen aus Deinstedt in Niedersachsen dauert die Fahrt zur Stroke Unit beispielsweise mehr als 35 Minuten. Ein Krankenhaus mit einer weniger spezialisierten Schlaganfallversorgung wäre dagegen in 16 Minuten zu erreichen.

Noch gravierender ist der Unterschied im Nordosten Schleswig-Holsteins. In Emmelsbüll-Horsbüll leben 844 Einwohnerinnen und Einwohner mehr als 54 Minuten entfernt von der zuständigen Stroke Unit. Die Fahrt zum nächsten behandelnden Krankenhaus würde dagegen nur 18 Minuten dauern. Und im niedersächsischen Amt Neuhaus bei Lüneburg steigt die Anfahrtzeit von 27,5 auf mehr als 61 Minuten. 

Richtlinie 30 Minuten wird mancherorts überschritten 

Auch für Menschen in der Mitte und dem Südwesten Mecklenburg-Vorpommerns gibt es große Unterschiede bei der Fahrtzeit zu Krankenhäusern mit und ohne Stroke Unit. Ähnlich betroffen sind die Küstenregionen in Schleswig-Holstein und im nördlichen Niedersachsen. Und die Gemeinden auf beiden Seiten der Elbe, flussaufwärts von Lauenburg, sind ebenfalls sehr viel weiter entfernt von der nächsten Stroke Unit als von anderen Krankenhäusern. 

Regionen wie diese liegen weit über der Richtlinie, die vorgibt, dass nach einem Schlaganfall die reine Fahrtzeit zum Krankenhaus 30 Minuten nicht überschreiten sollte. Denn die Behandlung muss innerhalb von 60 Minuten nach Eingang des Notrufs beginnen.  

Die genannten Regionen bilden allerdings eher Ausnahmen: Gut 94 Prozent der Bevölkerung würde trotz einer Konzentration der Versorgung weniger als 30 Minuten zur nächsten Stroke Unit benötigen. Im Durchschnitt würde sich die Fahrtzeit von 9,5 auf 14 Minuten verlängern.  

Luftrettung und Telemedizin - Alternativen für entlegene Regionen 

Für die verbleibenden sechs Prozent der Bevölkerung, die nicht in der Lage sind, eine Stroke Unit innerhalb der vorgegebenen halben Stunde zu erreichen, müsse es daher zwingend Versorgungsalternativen geben - "wie etwa die Luftrettung oder telemedizinische Netzwerke", fordert die Deutsche Schlaganfallgesellschaft (DSG).

In solchen Netzwerken, die schon jetzt existieren, werden Ärzte und Ärztinnen in kleineren Krankenhäusern per Videolink bei der Behandlung von Schlaganfällen von zugeschalteten Neurologen unterstützt. Um die 30.000 Fälle können jedes Jahr so behandelt werden. Nur Patienten, die eine Operation oder eine Katheter-Behandlung im Hirn benötigen, werden weiterverlegt. 

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Grundsätzlich unterstützt die Deutsche Schlaganfallgesellschaft die Reform, aber ihre Vertreter warnen, dass die Details noch ausgearbeitet werden müssten, vor allem für Gebiete ohne flächendeckende Versorgung mit Stroke Units.  

Der Hamburger Neurologe Peter Michels, leitender Oberarzt in der Stroke Unit der Asklepios-Klinik Altona, kann Sorgen wegen der längeren Anfahrten nachvollziehen. Aber die Behandlungsmöglichkeiten der Stroke Units würden diese Nachteile kompensieren. 

Der Neurologe Peter Michels, leitender Oberarzt in der Stroke Unit der Asklepios-Klinik Hamburg-Altona © Asklepios Klinik Altona
Der Hamburger Neurologe Peter Michels sagt, bessere Behandlungsmöglichkeiten können zeitliche Nachteile kompensieren.

"Wenn Sie nach 9,5 Minuten eine Klinik erreichen und die dann feststellt, dass es ein komplexer Fall ist, den sie gar nicht adäquat behandeln kann, dann haben sie diesen Vorteil der schnellen Anfahrt natürlich ganz schnell wieder verloren", sagt er. 

In Stroke Units arbeiten rund um die Uhr Fachärzte - von Neurologinnen bis hin zu Anästhesisten und speziell ausgebildetem Pflegepersonal. Die Units bieten modernste Therapien wie die Thrombektomie, bei der ein Gerinnsel in den Blutgefäßen des Gehirns mit einem Katheter aufgelöst wird. Dies sei eine Behandlungsmethode, die in kleineren Kliniken kaum möglich sei, so Michels. 

Studien: Stroke Units steigern Überlebenschancen 

Im vergangenen Jahr zeigte eine Regierungskommission, dass 5.000 Menschen zusätzlich den Schlaganfall überleben würden, wenn ihre Behandlung in Stroke Units stattfände. Auch wissenschaftliche Studien belegen, dass diese Kliniken die Überlebenschancen der Patienten steigern und dass sie nach dem Schlaganfall weniger Gesundheitsschäden davontragen.  

Rettungsdienste: Ressourcen nicht rausreichend

Die DSG gibt allerdings zu bedenken, dass die Kapazitäten der Rettungsdienste für die Umstrukturierung bei Weitem nicht ausreichten. "Bei aktuell bereits bestehendem Personalmangel erscheint es utopisch, innerhalb so kurzer Zeit die Ressourcen derart aufzustocken, wie wir sie bei diesen Transportentfernungen bräuchten", warnte der Berliner Neurologe und DSG-Experte Heinrich Audebert. 

Ohne genügend Rettungstransporte und Telemedizin könne die Schlaganfallversorgung auf dem Land zusammenbrechen, so die DSG. Welches Krankenhaus künftig welche Leistungsgruppen anbieten darf, entscheiden die Behörden der Länder. Das Gesetz zur Krankenhausreform tritt zum 1. Januar 2025 in Kraft. Umgesetzt werden soll die Reform stückweise bis 2029.

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