Flüchtlingsrat kritisiert Debatte über Bleibeperspektive von Syrern
Der Niedersächsische Flüchtlingsrat weist Forderungen aus der Union zurück, asylsuchende Syrer schnell in ihr Heimatland zurückzuführen. Er mahnte am Dienstag, die Situation dort sei auch nach dem Ende des Assad-Regimes alles andere als befriedet.
"Es ist eine Zeit der Freude", sagte Kai Weber, Geschäftsführer des Niedersächsischen Flüchtlingsrats, auf NDR Info über die Stimmung der Syrerinnen und Syrer nach dem Sturz von Machthaber Assad. Gleichzeitig herrsche eine Beklommenheit, "weil die Situation in Syrien hochgradig volatil ist". Nach wie vor sei zu befürchten, dass ein Bürgerkrieg neu aufflammt.
Diskussion über deutsche Flüchtlingspolitik
Weber kritisierte die kurz nach dem Sturz von Assad von Unionspolitikern angestoßene Diskussion über die deutsche Asylpolitik. "Wer so redet, Stunden nach einem solchen historischen Ereignis, disqualifiziert sich aus unserer Sicht als seriöser Politiker." Die Debatte über Rückführungsprogramme sei auch aus innenpolitischer Perspektive kurzsichtig. "Wir haben allein 5.000 syrische Ärzte im Land, die wir dringend brauchen", so Weber. Oliver Müller, Leiter von Caritas International, berichtet ebenfalls, dass die Lebensbedingungen für die Menschen in Syrien nach wie vor schwierig seien.
Auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese betonte auf NDR Info, dass die Situation vor Ort noch sehr unübersichtlich sei. Die Vorschläge aus der Union zur schnellen Rückführung von Syrern nannte er "unanständig". Besonders scharf kritisierte er die Aussage von CDU-Fraktionsvize Jens Spahn, der vorgeschlagen hatte, ausreisewillige syrische Bürger mit einer finanziellen Starthilfe in ihr Heimatland fliegen zu lassen.
Bayerns Innenminister Herrmann mahnte einen differenzierten Umgang mit der Frage der syrischen Flüchtlinge an. Der CSU-Politiker sagte im Deutschlandfunk, niemand habe gesagt, dass morgen mit Abschiebungen begonnen werden sollte.
Mehrere Länder setzen Asylverfahren von Syrern aus
Der Flüchtlingsrat in Mecklenburg-Vorpommern warnte ebenfalls vor voreiligen Konsequenzen. Wer Syrern und Syrerinnen das Bleiberecht in Deutschland deswegen entziehen wolle, kenne das Land Syrien nicht, sagte die Vorsitzende Ulrike Seemann-Katz dem NDR am Montag. Wegen der unklaren Lage in Syrien stoppte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterdessen vorerst alle Entscheidungen über Asylanträge von Syrern. Auch Italien, Österreich, Dänemark, Schweden, Norwegen und Großbritannien haben die Asylverfahren von Syrern ausgesetzt.
"Es darf nicht zu einer Spaltung des Landes kommen"
Für den Extremismusforscher Peter Neumann vom Londoner King's College London gibt es keine Zweifel darüber, dass es sich bei der Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die die Rebellengruppen beim Sturz von Baschar al-Assad angeführt hat, um eine islamistische Gruppierung handelt. "Auch wenn sie sich in den letzten Jahren sehr bewegt hat in Richtung Toleranz und Respekt für Minderheiten, sind das nach wie vor Islamisten", sagte er auf NDR Info. Zugleich müsse es um Versöhnung auch unter den Mitgliedern der verschiedenen Rebellengruppen gehen. "Es darf jetzt nicht zu einer Spaltung des Landes kommen."
Angst vor neuen Repressionen in Syrien
Ähnliche Überlegungen stellte auch der SPD-Außenpolitiker Michael Roth in einem Interview auf NDR Info an. Das Schwierige sei nun, wie sich "diese bunte Truppen von Aufständischen" einige und welchen Weg sie einschlage. "Islamistische Gruppierungen spielen da weiterhin eine wichtige Rolle, auch wenn sie sich zur Zeit relativ konstruktiv präsentierten."
Bente Scheller, Politologin bei der Heinrich-Böll-Stiftung, gab im Interview auf NDR Info zu bedenken, dass nun von vielen Syrerinnen und Syrern eine große Furcht abgefallen sei, die in den vergangenen 13 Jahren geherrscht habe. Gleichzeitig hätten viele Menschen nun Angst, dass sie nach dem Sturz von Assad in eine neue Repression rutschten.
Menschen feierten Sturz im ganzen Norden
Nach Bekanntwerden des Sturzes von Assad waren am Sonntag Tausende Menschen im Norden auf die Straße gegangen. Fahnenschwenkend versammelten sich etwa in in Hannover rund 1.000 Menschen am Steintor, in Hamburg kamen rund 3.000 Menschen am Hauptbahnhof zusammen, um ihre Freude und ihre Erleichterung kundzutun. Unter dem Motto "Freiheit für Syrien" versammelten sich nach Angaben der Polizei 600 Menschen am Hauptbahnhof in Kiel. Und in Mecklenburg-Vorpommern kam es in Rostock, Schwerin und Güstrow zu spontanen Kundgebungen.