NachGedacht: Zeitgeschenke und zweckentfremdetes Schuhwerk
Welcher Tag heute ist? Ein Tag zum Innehalten, empfiehlt unsere Kolumnistin Lena Bodewein, schon leicht hysterisch ob der Weltlage.
So, meine Damen und Herren, es ist Freitag der 13.! Das kann nichts Gutes bedeuten! Oder? Mooooment! War nur ein Scherz, es ist erst Freitag der 6., und Sie hatten schon echt Panik, dass diese vermaledeite Vorweihnachtszeit Sie schon wieder vor lauter Hektik um eine Woche betrogen hat, ha! Gemach. Die Zeit rast gerade im Advent, aber so doll dann doch nicht. Ich gebe Ihnen diese vermeintlich hinweggeraste Woche zurück - nutzen Sie sie gut.
Dankbar für einen Platten
Halten Sie inne. Überlegen Sie mal, wofür und wem Sie dankbar sein können. Außer mir für diese tolle geschenkte Woche. Ich zum Beispiel bin dankbar, weil mein Fahrrad einen Platten hat. Und zwar hat es den erst heute Morgen bekommen, im Hellen, als der ÖPNV meine Alternative war. Und nicht schon gestern Abend, als ich im Stockdustern eine Stunde durch Hafengelände radeln musste, wo kein Bus mehr hielt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Und Sie so? Wofür sind Sie dankbar? Es gibt einiges, das dürfen auch Kleinigkeiten sein: Toilette. Mülltrennung. Heizung. Demokratie (keine Kleinigkeit). Ja, auch Demokratie, egal wie verrotzt und zerstritten sie gerade scheint. Immerhin dürfen wir uns zanken, miteinander auseinandersetzen, lieber konstruktiver als destruktiver, aber wie in einer lebendigen Familie, wo laute Argumente im freien Austausch fliegen. Wo es Streit gibt. Oder Streik, wenn einem etwas besonders wichtig ist. Und kein Patriarch alle zur Ruhe zwingt. Das ist wertvoll. Wollte ich nur mal sagen.
Ruhe statt Einkaufsstress
Wenn Sie nicht für Demokratie dankbar sein wollen, könnten Sie die geschenkte Zeit auch nutzen, um nochmal genau darüber nachzudenken, wie Sie die Feiertage verbringen wollen. Ob Sie sich dem Geschenkstress aussetzen wollen. Oder ob Sie sich nicht einfach mal - gerne auch mit den liebsten Menschen - einfach mal gegenseitig ein paar Momente Ruhe schenken.
Ich fang an: ------------------------- So, das muss reichen. Ich nehme das mit der Ruhe nämlich zurück. Gehen Sie lieber zu einem Menschen, von dem Sie wissen, dass er oder sie einsam ist. Vielleicht direkt heute - es ist schließlich Nikolaus. Allüberall blankgeputzte Stiefel vor den Türen, gefüllt mit Herrlichkeiten. Wenn möglich. Auch das keine Selbstverständlichkeit, siehe Dankbarkeit, siehe Einsamkeit. Sie könnten auch jemandem einen Nikolaus vor die Tür stellen, fällt mir da ein.
Das mit Schokolade dressierte Kind
Apropos: Wie finden Sie das eigentlich mit dem Stiefel? "Nur, wenn er schön blankgeputzt ist, gibt es auch Süßigkeiten!" Was ist das denn bitte für eine Konditionierung? Das dressierte Kind? Ich hatte eine entfernte Tante, die sagte auch immer: "Gib das schöne Händchen, sonst gibt es keine Schokolade!", bevor sie mit ihrer Klaue nach meiner - rechten - Hand griff. Als ich alt genug war, hab ich dann nur noch lässig gewunken: "Hi!", und auf die Schokolade verzichtet.
Will sagen: Natürlich ist es nichts Schlimmes, wenn man Anreize setzt. Aber, siehe Patriarch, siehe Autokratie: Blindes Gehorchen der dressierten Bürger und Familienmitglieder kann’s ja auch nicht sein. Irgendwann kommt es zum Aufstand. Und die Kinder putzen ihre Stiefel nicht mehr blank, sondern nehmen sie und werfen sie in die Maschinerie, wie die französischen Arbeiter während der industriellen Revolution! Sabotage! Na gut, Sabot ist ein Holzschuh, aber es ist trotzdem ein wirksames Mittel. Ziviler Ungehorsam! Wenn nötig! Im Kampf für die Demokratie! Dafür können Sie Ihre geschenkte Woche nämlich auch nutzen. Und den Nikolausstiefel zweckentfremden. Ganz wie Sie wollen. So viele Möglichkeiten. Bis Sie damit durch sind, ist dann doch Freitag der 13.
Anmerkung der Redaktion: Liebe Leserin, lieber Leser, die Trennung von Meinung und Information ist uns besonders wichtig. Meinungsbeiträge wie diese Kolumne geben die persönliche Sicht der Autorin / des Autors wieder. Kommentare können und sollen eine klare Position beziehen. Sie können Zustimmung oder Widerspruch auslösen und auf diese Weise zur Diskussion anregen. Damit unterscheiden sie sich bewusst von Berichten, die über einen Sachverhalt informieren und unterschiedliche Blickwinkel möglichst ausgewogen darstellen sollen.