Mouhanad Khorchide © NDR
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AUDIO: Reise zu sich selbst: Ein Muslim auf dem Jakobsweg (6 Min)

Reise zu sich selbst: Ein Muslim auf dem Jakobsweg

Stand: 27.09.2024 06:00 Uhr

Der Muslim Mouhanad Khorchide hat Mekka schon mehrfach besucht. Er wollte aber auch den Geheimnissen des christlichen Pilgerns auf die Spur kommen. Was ihm in Mekka nicht möglich war, fand er auf dem Jakobsweg.

von Ulrike Hummel

Im Islam gehört das Pilgern nach Mekka zu den fünf Säulen der Religion. Es ist die Pflicht aller Musliminnen und Muslime, einmal in ihrem Leben die Wallfahrt zu machen - wenn sie finanziell und gesundheitlich dazu in der Lage sind. Man unterscheidet den Haddsch, die große Wallfahrt, die nur zu einer bestimmten Zeit gemacht werden darf und verpflichtend ist, von der Umra, die freiwillig ist.

Hussein El Chehade © NDR
"Ich habe gemerkt, dass Gott sehr nah war", erzählt Hussein El Chehade von seiner Pilgerfahrt nach Mekka.

So wie für viele Muslime, war es für Hussein El Chehade ein Traum, einmal die Kaaba mit eigenen Augen zu sehen. "Als ich die Kaaba gesehen habe, habe ich das Gefühl bekommen, dass ich langsam die Balance verliere. Ich wollte mich irgendwo festhalten. Ich habe gemerkt, dass Gott sehr nah war. Ich bete fünfmal am Tag, aber ich hatte dieses Gefühl weder beim Beten noch im Ramadan."

Ausschlaggebend für die Pilgerfahrt Anfang dieses Jahres war für den 40-jährigen Familienvater der plötzliche Tod seiner Schwester. Er suchte Zuflucht und Trost.

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Erfahrungen eines Muslimen vom Jakobsweg

Im Christentum ist Pilgern seit einigen Jahren stark im Trend. Obwohl es viele Pilgerstätten gibt, ist der Jakobsweg nach Santiago de Compostela besonders gefragt. So machte sich auch der Muslim und Professor für Islamische Theologie in Münster, Mouhanad Khorchide, mit dem Rucksack auf den Weg: "Was mich wirklich irritiert hat: Ich war neugierig, welche Rituale die Menschen vollziehen, aber die Leute haben mir gesagt: 'Es gibt keine Rituale, wir gehen einfach.' Das ist sehr individuell, jeder gestaltet das, wie er möchte. Jeder geht in sich hinein und macht sich Gedanken über sein Leben. Ganz anders als in Mekka, wo alles ganz streng ritualisiert ist. Das andere, was mich irritiert hat, war, dass nicht Wenige, mit denen ich geredet habe, mir gesagt haben, sie seien auf dem Pilgerweg nicht aus religiösen Motiven."

In einem Buch verarbeitet der Islamprofessor seine Pilgererfahrungen in Spanien. "Ein Muslim auf dem Jakobsweg" gibt Einblicke über Spiritualität, Begegnungen und das Scheitern auf dem "Camino". In Saudi-Arabien aufgewachsen, hatte Mouhanad Khorchide Mekka schon mehrfach besucht. Was ihm in Mekka nicht möglich war, fand er auf dem Jakobsweg: "In Mekka konzentriert man sich auf die Rituale, auf Gott. Auf dem Jakobsweg ist es die Reise nach innen: Man führt viele Selbstgespräche. Ich rede im Buch von der 'lauten Stille' - das habe ich selbst erfahren: Je stiller es geworden ist, desto lauter ist es im Kopf. Man beginnt automatisch sich im Selbstgespräch nach dem Sinn des Lebens, nach den großen Fragen zu erkunden: Warum bin ich da? Was soll das Ganze? Wo geht die Reise hin? Darum geht es eigentlich im Buch: Um die Frage nach dem Sinn des Lebens."

Eine zentrale Erkenntnis bei seiner Sinnsuche fand Khorchide auf den verschiedenen Etappen des Pilgerwegs. Eine ständige Aufgabe des Menschen sei es, sowohl den kleinen Schritten als auch den großen Abschnitten des Lebens Sinn zu verleihen. Ob nun auf dem Weg nach Mekka, dem Jakobsweg oder in den eigenen vier Wänden, sei zweitrangig.

Viele Pilger auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Der Pilgerboom in Deutschland habe 2006 nach dem Erscheinen des Buchs von Hape Kerkeling begonnen, so Tourismusforscher Christian Antz. Zwar gebe es keine wissenschaftlichen Daten dazu, doch die Zahl der Pilgerurkunden stiegen ständig. Aber warum boomt Pilgern? In unserer modernen Welt mit hohen Anforderungen in der Arbeitswelt, weltweiten Krisen, Kriegen und steigendem Radikalismus suchten die Menschen nach dem Sinn des Lebens. Ähnlich sieht es Mouhanad Khorchide: "Ich habe den Eindruck, dass uns diese Frage immer mehr beschäftigt und beschäftigen wird, in einer Welt, in der uns Social Media bestimmt, uns aber zugleich den Sinn nimmt. Ich glaube, da gehen viele Menschen solche Wege. Sie lassen gerade Social Media liegen und beschäftigen sich mit der Person, die sie die ganze Zeit vermissen: sich selbst."

Der Pilgerboom hat sich offenbar auch in Bezug auf die Motivation der Menschen entwickelt. Die größte Gruppe, so Tourismusforscher Antz, seien die "Sinnsucher". Sie seien auf der Suche nach Gott, auf der Suche nach sich selbst. Sinnsuche und Aktivtourismus oder Sinnsuche und Naturtourismus seien neue Mischformen, die sich seit 2006 entwickelt hätten.

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Hussein El Chehade hat nicht nur die Nähe zu Gott gesucht - seine Pilgerreise hat er auch für seine Schwester gemacht. Obwohl Mekka für ihn ein unvergessliches Erlebnis bleibt, hat ihm nicht alles gefallen: "Eine Sache ist mir aufgefallen: Da, wo die Türme sind, ist eine Riesen-Passage mit Restaurants und Klamottengeschäften. Das hätten sie sich wirklich überlegen sollen. Man soll dort keine Einkaufsmöglichkeiten bauen, einfach frei lassen - die Leute beten auf der Straße, es ist kaum Platz da!"

So unterschiedlich die Pilgerreisen auf dem Jakobsweg oder nach Mekka sind, eine Gemeinsamkeit haben beide: die Kommerzialisierung. Kaum ein Muslim kann sich die Haddsch-Reise noch leisten: Mit etwa 10.000 Euro pro Person müsse man von Deutschland aus rechnen. Und auch den Jakobsweg kann man mittlerweile im Reisebüro buchen - in vielen Varianten.

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