Stand: 29.03.2018 18:20 Uhr

Gemeinsam beten? Interreligiöse Kreuzwegandacht

von Heide Soltau

Gemeinsam zu beten - das ist für viele Muslime und Christen unvorstellbar. Seit mehr als zehn Jahren findet im Hamburger Stadtteil St. Georg am Karfreitag ein gemeinsame Andacht von Christen und Muslimen statt. Das sei einmalig in Deutschland, betonen die Organisatoren.

Bunt, lebendig, divers - so wirbt Hamburg für den Stadtteil St. Georg. Mehr als 35 Prozent der Menschen haben einen sogenannten Migrationshintergrund. War es da passend, ausgerechnet ein christliches Kunstwerk, die Replik einer spätmittelalterlichen Kreuzigungsgruppe, auf dem Platz vor der Dreieinigkeitskirche aufzustellen? Diese Frage trieb etliche Bewohner um, als sie 2004 davon erfuhren. Pastor Kay Kraack konnte ihre Bedenken verstehen: "Wir sind nicht die prägende kulturelle religiöse Instanz in diesem Stadtteil, sondern nur noch eine unter anderen. Dass man da anfängt, darüber nachzudenken, ob das denn friedensstiftend ist, solch ein Symbol öffentlich zu errichten oder ob es nicht besser wäre, wenn es schon um Kunst geht, etwas aufzubauen, was mehr Identifikationskraft über Kulturgrenzen hinweg hat - den Gedanken finde ich nicht ganz von der Hand zu weisen."

Die Kreuzigungsgruppe – ein Stück Hamburger Geschichte

Christen und Muslime feiern gemeinsam eine Kreuzweg-Andacht in Hamburg. © kein Copyright Foto: Christian Martin
1938 wurde die Kreuzigungsgruppe von den Nationalsozialisten entfernt, seit mehr als 10 Jahren steht sie wieder in Hamburg.

Andererseits hatte das Skulpturenensemble bis 1938 dort gestanden. Bis es den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war und sie es wegräumen ließen. In St. Georg endete der Kreuzweg, der im Mittelalter vom Dom bis zum Siechen- und Pesthaus führte. Warum sollte man an diese Geschichte nicht erinnern? "Im Zuge dieser längeren Gespräche wurde insbesondere von muslimischer Seite gesagt: `Religion gehört in die Öffentlichkeit,` meint Pastor Kay Kraack."Und dieser Position haben wir uns dann angeschlossen." 

Aufeinander zugehen beim interreligiösen Freitagsgebet

Die Skulpturengruppe zeigt Jesus am Kreuz, darunter die trauernde Maria und Johannes, rechts und links die beiden `Verbrecher`. Seitdem sie wieder im Stadtteil steht, findet dort an jeden Karfreitag ein gemeinsames Gebet von Christen und Muslimen statt. Beteiligt sind die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde, die katholische Domgemeinde St. Marien, die African Christian Church und die Centrum Moschee. "Das ist eine gute Möglichkeit aufeinander zuzugehen auch im religiösen Bereich," sagt Mehmet Karaoglu, Imam und Vorsitzender des Bündnisses der islamischen Gemeinden in Norddeutschland. "Häufig werden Konflikte ausgelöst mit religiösen Begründungen, auch wenn diese nur Scheinbegründungen sind. Und da wollen wir ein Zeichen setzen."

Buchtipp

Auch für Muslime spielt Jesus Christus eine wichtige Rolle. Der Koran geht u.a. auf Jesu Tod ein - in fünf von insgesamt 90 Versen. Wer mehr über das Thema erfahren möchte - am 18. April erscheint ein neues Buch von Mouhanad Khorchide und Klaus von Stosch. Das Besondere: Der muslimische und der christliche Theologe werfen gemeinsam einen Blick auf Jesus Christus:  „Der andere Prophet: Jesus im Koran“, (Autoren), Herder Verlag,  2018, 320 Seiten,  28,00 Euro

Den Kreuzestod Jesu liberaler interpretieren

Für die Christen ist der Karfreitag ein hoher Feiertag. Für die Muslime hingegen ist es eigentlich ein Freitag wie jeder andere, er ist ihr Sonntag, sie gehen dann in die Moschee. Doch trotz der Unterschiede beten sie am Karfreitag gemeinsam: "Das Gemeinsame, das wir haben, ist eben unser Zusammenleben hier. Unsere monotheistischen Religionen, das verbindet uns. Wer sich in der islamischen Theologie ein bisschen auskennt, wird wissen, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Und meiner Meinung nach gilt es, diese hervorzuheben, statt die Unterschiede."

Die Muslime glauben nicht, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. Und sie glauben auch nicht, dass er der Sohn Gottes ist. Sie verehren ihn als Propheten. Die Gemeinsamkeiten würden dann sichtbar, wenn man den Kreuzestod Jesu liberaler interpretiere und nicht mehr nur streng als Opferritual, erklärt Pastor Kay Kraack: "Sie verstehen und akzeptieren, dass wir an diesem Tag die Solidarität Gottes mit den Leidenden, also mit Jesus und den anderen, die am Kreuz getötet worden sind, begehen, dass wir daran glauben, dass Gott die Leidenden selbst im Tod nicht allein lässt. Und in der Solidarität mit dem Leid der Welt stehen wir Seite an Seite mit den Muslimen und sicherlich auch mit vielen anderen Angehörigen unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften und Kulturtraditionen."

Der Dialog bleibt oft auf der Strecke

Wer mit dem Imam und dem Pastor spricht, trifft auf verständnisvolle Männer, die das gemeinsame Gespräch schon lange pflegen. So wie Muslime und Christen in zahlreichen Initiativen in St. Georg zusammenarbeiten. Aber vom Karfreitagsgebet haben viele Anwohner auch nach 15 Jahren noch nichts gehört, sei es aus Desinteresse oder aus Gleichgültigkeit. Wieder Mehmet Karaoglu noch Kay Kraack lassen sich davon beirren. In diesem Jahr findet das Gebet unter dem Motto `Hinweg mit Diesem!` statt - einem Zitat aus dem Johannes-Evangelium. Konkretisiert, so Kraack, mit dem Begriffspaar: Dämonisierung und Ausgrenzung: "Wir versuchen damit eine Situation in der Gesellschaft zu beschreiben, wo wir den Eindruck haben, dass der Dialog oft auf der Strecke bleibt zugunsten der Verunglimpfung der Andersdenkenden. Die Etikettierung des Gegners wird sehr schnell vorgenommen und es kommt eigentlich nicht zum Gespräch und zur Verständigung."

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 30.03.2018 | 15:20 Uhr

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