"Das Dorf Ding" in Siedenbollentin: Bachs "Weihnachtsoratorium" all inclusive
In der Dorfkirche von Siedenbollentin bei Neubrandenburg wurde das "Weihnachtsoratorium" von Johann Sebastian Bach aufgeführt, für Menschen mit und ohne Behinderung, für Groß und Klein - ehrenamtlich organisiert und durchgeführt.
Dirk Andresen bringt sich ein, wo er kann. Neben seinem Hof in Schleswig-Holstein hat er hier nach der Wende eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft übernommen. Weil ihm die Dorfgemeinschaft so gut gefällt, pendelt er seitdem manchmal mehrmals die Woche hierher.
"Das Orchester sitzt überall, wo Stühle sind", erzählt Andresen. "Auf den Podesten stehen dann die Sänger, also 58 Aktive insgesamt. Ich frage mich jedes Mal: Wie geht das hier eigentlich alles rein?" Er hat hier schon richtig geklotzt und überall Kameras und Mikrofone aufgestellt. Übertragungstechnik ist sein Hobby.
Großevent in Siedenbollentin als Gemeinschaftsprojekt
Bei so einem Großevent wollen alle mit anpacken, auch die Kleinsten aus der Kita Landmäuse. Bis zum Abend ist noch viel zu tun, zum Beispiel im Gemeindehaus. In Siedenbollentin gibt es keinen Laden. Der Chor, die Profi-Musiker und Solisten müssen den ganzen Tag verpflegt werden. 120 Brötchen müssen dafür geschmiert werden. Nur 650 Menschen leben im Dorf, aber es gibt es viele Vereine. Darauf sind sie hier sehr stolz.
Um ein Uhr beginnt die Generalprobe. Chorleiter David Beier hat auch Sänger und Sängerinnen der Diakoniewerkstatt Dahlen eingeladen, mitzumachen. Gerade proben der Dorfchor und die Profimusiker zum allerersten Mal miteinander. David Beier ist eigentlich Chirurg, aber er hat auch Kirchenmusik studiert: "Für mich persönlich ist die Herausforderung, den Chor gerade bei diesen großen Chören mitzunehmen und die Einsätze komplett korrekt zu geben", sagt Beier. "Das ist für die eine Herausforderung, diese Einsätze dann auch zu kriegen."
Sonja Reincke ist hier die Pastorin. Sie freut sich, dass Kirche und Dorfgemeinschaft so eng zusammengewachsen sind. Das ist nicht selbstverständlich, findet sie. "Ich denke, dass das dem Ort Selbstbewusstsein geben kann und das auch tut - dieses Gefühl: Wir können was. Zumindest ist es auch ein bisschen mein Ziel, dass wir gemeinsam anpacken und sagen: Wir müssen nicht immer jammern, wir haben nichts, wir können nichts. Wir sind hier irgendwo im Osten, auf irgendeinem Dorf, aber wir können auch große Sachen machen, die sonst vielleicht eher in großen Städten verortet werden."
Durch Musik die Dorfgemeinschaft stärken
Es ist beeindruckend, wie sich alle mit so viel Leidenschaft einbringen und was sie neben ihrem Alltag mit Jobs und Familien stemmen. "Ich brauche zu diesem wahrscheinlich auch sehr erfüllenden Job der Chirurgie noch ein ganz großes anderes Betätigungsfeld", erklärt Beier. "Ich liebe die Musik, insbesondere Barockmusik und die Musik von Johann Sebastian Bach. Ich sehe darin ganz viel Zuversicht - in den tollen Texten, in der Musik, in der man einfach zur Ruhe kommen kann. Ich habe da etwas, durch das ich alles um mich herum vergessen kann. Man sagt ja nicht umsonst: Musik verbindet. Man hat gemeinsam ein großes Ziel vor Augen: etwas für die Menschen zu tun, dass sie Freude haben und dass die Dorfgemeinschaft enger zusammenwächst. Wir haben viele sehr engagierte Ehrenamtler. Man muss immer vier, fünf Leute haben, die vorangehen und die die Massen mitreißen."
Die ersten Konzertbesucherinnen und -besucher kommen. In einer halben Stunde geht es los. Jeder hier weiß genau, was zu tun ist. Es gibt nicht den einen Koordinator - alles verzahnt sich wie von selbst. Alle packen mit an, weil sie diesen Tag wichtig und wertvoll für ihr Dorf finden.
Der große Moment, auf den alle hingearbeitet haben, ist gekommen. Hannah ist die Tochter von Chorleiter David Beier: "Ich bin unglaublich stolz auf ihn, dass er das auf die Beine stellt. Er steht schon seit Tagen im Wohnzimmer und dirigiert zu einer Spotify-Aufnahme." "Das ist jetzt der Abschluss von einem Vierteljahr harter Arbeit", sagt David Beier. Siedenbollentin hat Unglaubliches auf die Beine gestellt.