Phänomen Anna Lapwood: Britische "Taylor Swift" an der Orgel
Anna Lapwood gilt als "Taylor Swift der klassischen Musik". Die 28-Jährige hat 2023 in der Elbphilharmonie gespielt und ist Großbritanniens bekannteste Organistin. Einmal im Monat spielt sie nachts in der Royal Albert Hall: auf legendären 9.999 Pfeifen.
Auf TikTok hat Anna Lapwood mehr als 500.000 Follower, bei Instagram sind es 338.000. Ihre Orgel-Reels gehen viral, sie erreicht Millionen junger Menschen. Das will sie auch. Sie ist überzeugt davon, dass ein erster Kontakt über die sozialen Medien wichtig ist, damit die jungen Leute irgendwann in Konzerte gehen, auch, um klassische Musik zu hören. Seit Anfang 2024 hat sie einen Titel vom Order of the British Empire erhalten, den "MBE" für ihre besonderen Leistungen im musikalischen Bereich.
Nicht ohne Grund wird Anna Lapwood gern als die "Taylor Swift der klassischen Musik" bezeichnet. Die Britin ist inzwischen eines der weltweit bekanntesten Gesichter hinter der Orgel und macht dabei nicht nur ihr Instrument, sondern die klassische Musik so populär, wie kaum jemand.
"Bin total schüchtern"
Anna Lapwood ist eine sympathische junge Organistin mit offenem Lachen. Sie wirkt sehr selbstbewusst und spielt sehr selbstbewusst. Im Gespräch verrät sie aber, dass sie sich das erst antrainieren musste: "Das glaubt mir nie einer, aber im tiefsten Innern bin ich total schüchtern. Ich bin nur gut darin, mich zu verstellen, wenn's nötig ist. Das Selbstvertrauen kam mit der Erkenntnis, dass man ansonsten in der Musikindustrie keinen Spaß hat. Denn es ist eine schwierige Industrie, und Dir werden Leute ständig sagen, dass Du etwas falsch machst."
Zur Orgel kam Anna Lapwood erst als Teenager
Lapwood hat schon früh Klavier, Geige und Harfe gespielt, zur Orgel kam sie erst mit 14 oder 15 Jahren. Dass es einmal die große Liebe werden würde, war nicht abzusehen. Ihr Vater war Schulpfarrer, in Kirchen war sie deshalb häufig, aber Orgelmusik habe ihr emotional nichts gegeben, sagt sie. Das änderte sich erst, als sie eines Tages anfing, das Instrument selbst zu spielen. Da spürte sie, wie sich eine ganz neue Welt vor ihr auftat.
Anna Lapwood feierte schon bald Erfolge, stellte allerdings auch fest, dass sie in eine männliche Domäne eingedrungen war: "Ich habe nicht viel über die Geschlechterfrage nachgedacht, als ich angefangen habe, Orgel zu spielen, denn ich ging auf eine Mädchenschule." Erst als sie in die echte Welt vorgedrungen sei, habe sie gemerkt, dass Leute denken, dass Frauen nicht so gut seien. "Das wurde bei einem Orgelwettbewerb sehr offensichtlich. Einer der Juroren sagte mir im Nachhinein, dass sie mein Spiel sehr gemocht hätten, sie würden nur finden, dass ich mehr wie ein Mann spielen sollte. Und ich dachte: 'Was?! Wie können Sie das sagen?!'"
Zwei Solo-CDs, Konzerte bei BBC Proms und im Buckingham-Palast
Lapwood ging ihren eigenen Weg. Sie hat schon im Buckingham-Palast gespielt und bei den BBC Proms, im Herbst hat sie mit "Luna" ihre zweite Solo-CD herausgebracht. Sie erhielt als erste Frau am Magdalen College in Oxford ein Orgelstipendium und wurde 2016, mit gerade einmal 21 Jahren, Musikdirektorin am Pembroke College in Cambridge. So jung ist auf eine solche Stelle noch nie jemand berufen worden. Seither engagiert sie sich in der Frauenförderung. Sie hat einen Frauenchor gegründet und bemüht sich, Mädchen für das Orgelspiel zu begeistern.
Im November 2023 in der Elbphilharmonie gespielt - Videos auf Youtube
Einladungen führen die Britin an alle großen Orgeln dieser Welt, in der Londoner Royal Albert Hall sitzt sie als Associate Artist regelmäßig an dem legendären Pfeifenwunder mit dem Spitznamen "The Voice of Jupiter". Vor kurzem hat sie auch der Elbphilharmonie-Orgel einen Besuch abgestattet. Im zweiten Teil ihrer "Elbphilharmonie Session" spielt sie etwa zum beeindruckenden Lichtdesign im Konzertsaal Maurice Duruflés virtuoses "Prélude et Fugue sur le nom d'Alain" - ein Schlüsselwerk französischer Orgelmusik.
Anna Lapwood übt die meiste Zeit zu Hause auf einer elektronischen Orgel. Einmal im Monat aber lässt sie die Orgel in der Royal Albert Hall mit ihren 9.999 Pfeifen erklingen. Wer dort üben will, muss es nachts tun, von Mitternacht bis sechs Uhr morgens: "Ich weiß, dass ich eines Tages nicht mehr die Energie dafür haben werde, aber im Augenblick bin ich noch jung und komme mit wenig Schlaf aus. Das ist es mir wert, diesen Ort für mich zu haben und die Klangfarben zu erforschen, die das Instrument zu bieten hat. Das ist unbezahlbar."
Zusammenarbeit mit Bonobo
In der Royal Albert Hall hat Anna Lapwood auch ihr Musikrepertoire erweitert. Plötzlich war die Orgel Teil elektronischer Musik: "Bevor ich das Bonobo-Konzert gespielt habe, war ich sehr auf die klassische Musik festgelegt. Vielleicht war ich sogar ein bisschen versnobt. Dann kam das Bonobo-Konzert, und ich habe angefangen zu weinen. Es war so bewegend, und ich habe erkannt, dass auch das großartige Musik ist. Mein Kopf explodierte, und ich dachte: 'Wow, es gibt unendliche Möglichkeiten!' Das hat wirklich meine Augen geöffnet, und ich wusste, dass ich mehr davon will."