"Moralische Ambition": Mit Rutger Bregman die Welt verbessern
Rutger Bregmans Buch "Moralische Ambition" ist ein Aufruf zu mehr Miteinander, mehr Mut, mehr Risiko - von einem idealistischen, ungeduldig-getriebenen Historiker, vor allem aber von einem Menschen, der an das Positive und Gute glauben will.
Die ersten Seiten sind gelesen und dieser eine Gedanke setzt sich fest: Rutger Bregman ist größenwahnsinnig geworden. Schon immer hat der Niederländer seine Leserschaft unverblümt adressiert und herausgefordert. Aber wenn er jetzt behauptet, er hätte dieses eine Buch geschrieben, das die Welt verändern kann, muss er größenwahnsinnig geworden sein.
"Etwa 25 Prozent der Menschen vergeuden ihre Zeit in Bullshit-Jobs"
Fakt ist: Rutger Bregman will die Welt zu einem besseren Ort machen - und er sucht Unterstützerinnen. Von denen gibt es zuhauf, ist er überzeugt. Das Problem sei leider: Wir hätten zwar das Bewusstsein, die Macht und das Wissen, um die drängendsten Probleme unserer Zeit zu lösen, doch wir würden unser Talent für unnütze Arbeit vergeuden, so Bregman: "Es gibt eine bemerkenswerte wissenschaftliche Studie, die besagt: Etwa 25 Prozent der Menschen in wohlhabenden Ländern sagen von sich, dass sie in einem sozial nutzlosen Beruf arbeiten; gesellschaftlich völlig irrelevant. Manche sagen dazu Bullshit-Jobs."
Bregman meint damit nicht die Pflegekräfte, Lehrerinnen, Feuerwehrmänner und Busfahrerinnen. Er spricht von Wirtschaftsanwälten, Börsenmaklerinnen, Werbetreibenden, Influencerinnen - Menschen, die streiken können, ohne dass sich der Lauf der Dinge ändert. Auf ihr Talent hat es der 36-Jährige abgesehen. Sie sollen ihr persönliches Glück hinten anstellen und sich von der "moralischen Ambition" anstecken lassen: "Moralische Ambition ist der Wille, die Welt drastisch zu verbessern. Die eigene Karriere den großen Problemen unserer Zeit zu widmen, seien es der Klimawandel oder Kindersterblichkeit, Steuerhinterziehung oder die nächste Pandemie. Es ist das Bedürfnis, etwas zu bewirken und etwas zu hinterlassen, das wirklich zählt."
Historiker Rutger Bregman sucht seine Argumente in der Geschichte
Da reiche es eben nicht, auf Fleisch und Flüge zu verzichten, Online-Petitionen zu unterschreiben und auf Demos zu gehen. Es gehe auch nicht um Geld und Macht. "Denken Sie an die Abolitionisten, die gegen die Sklaverei kämpften", erklärt Bregman, "oder an die Suffragetten, die sich für das Frauenwahlrecht einsetzten. Waren sie die reichsten oder mächtigsten Gruppen ihrer Zeit? Nein. Aber sie haben die Welt verändert." Wie haben sie das geschafft?
Als Historiker sucht Rutger Bregman seine Argumente und Beweise in den vergangenen Jahrhunderten, zitiert Studien, erzählt von Freiheitskämpferinnen, Quäkern, Erfinderinnen und Unternehmern. Wie kleine Detektivgeschichten lesen sich diese historischen Begebenheiten: Sie beginnen provokant und offenbaren erst nach und nach, worauf der Autor hinaus will. Ein Stilmittel, von dem man als Leserin gelangweilt sein möchte, das einen aber doch immer wieder hineinzieht.
Denn am Ende sind die Erkenntnisse oft überraschend: Etwa wenn Bregman von der Abschaffung des Sklavenhandels in England schreibt: Nicht das Leid der Opfer, also der Schwarzen, bewegte die Herrschenden zum Umdenken, sondern die Tatsache, dass bei den Überfahrten auf einem Sklavenschiff, 20 Prozent der Besatzung, also weiße Seeleute, die Reise nicht überlebte. Ein Argument, mit dem Thomas Clarkson seinen Kampf gegen den Sklavenhandel entscheidend voran brachte, so Bregman.
"Moralische Ambition": Aufruf zu mehr Miteinander, Mut und Risiko
"Sei radikal bei deiner Zielsetzung und pragmatisch bei der Umsetzung." Das habe er von Menschen wie Thomas Clarkson aus der Geschichte gelernt, erklärt er: "Wenn sie sich mit vermögenden Menschen vernetzen müssen, um Geld für einen guten Zweck einzusammeln, dann tun sie das. Wenn sie einen schmerzhaften Kompromiss eingehen müssen, um voranzukommen, beißen sie in den sauren Apfel. Wenn ihr sorgfältig gestylter Schnurrbart der Glaubwürdigkeit schadet, greifen sie zum Rasierer."
Bregman versteht sein Buch als Einladung, sich in den Ring zu werfen, wie er sagt: "Wir müssen uns verbünden! Oft verlieben wir uns allzu sehr in unsere eigenen Methoden: Klimakleber sagen, wir brauchen mehr Klimaaktivisten! Unternehmer sagen, wir brauchen mehr Unternehmer! Lobbyisten: Wir brauchen mehr Lobbyisten! Die Wahrheit ist, wir brauchen alle - und das in einem guten Zusammenspiel."
"Moralische Ambition" ist ein Aufruf zu mehr Miteinander, mehr Mut, mehr Risiko - von einem idealistischen, ungeduldig-getriebenen, und ja, vielleicht auch etwas größenwahnsinnigen Historiker, vor allem aber von einem Menschen, der an das Positive und Gute glauben will. Das ist gerade in der aktuellen Zeit nicht nur beruhigend, sondern auch ermutigend und mitreißend. Die Einnahmen aus dem Buch sollen übrigens komplett in eine von Bregman mitgegründete Stiftung fließen: "The School of Moral Ambition" - ein Ort für Menschen, die sich zusammentun wollen, um die Probleme unserer Zeit zu lösen.
Moralische Ambition
- Seitenzahl:
- 336 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- Rowohlt
- Veröffentlichungsdatum:
- 12. November 2024
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00718-8
- Preis:
- 26 €